Ein geflügelter Aal als Stadtwappen. Das bei einer Stadt, die, wie mir scheint, mehr irdische Schwere hat, als gut für sie ist, einer Stadt, die manchmal im Boden zu versinken scheint und wenn man genauer hinschaut, vielleicht auch gute Gründe dafür hätte. In Ahlen gab es mal Bergbau, erst Strontianit, dann Steinkohle. Strontianit* – ja, ich musste auch nachschauen, was das ist und wofür das gut war – ist nach rund 125 Jahren vergessen. Ob das mit der Steinkohle auch mal so sein wird? Ahlen zeigt uns exemplarisch, dass es viel zu vergessen gab und gibt und dass wir uns gern an die Helden und weniger gern an die Schurken erinnern.
Zu den Helden gehört für mich Paul Rosenbaum, der Ahlen 1945 kampflos den Amerikanern übergab. Ein großer Platz, wenn auch nicht gerade im Zentrum der Stadt, erinnert an den Mann. Für ihn mache ich mal eine Ausnahme und akzeptiere, dass Straßen und Plätze nach Menschen benannt werden, die sich bei näherer Betrachtung oft genug als unwürdig erweisen, jedenfalls als unwürdiger als ein Gänseblümchen oder ein Knollenblätterpilz. Eine öffentliche Namensziehung wäre für mich gerade noch okay, da käme ein deutlich kleinerer Teil von zweifelhaften Gestalten zu unverdienten Ehren.
Die Namen der Schurken kenne ich nicht, aber ich habe mir auch nicht die Mühe gemacht, in den Archiven nach denen zu suchen, die in Ahlen Hexen und Wehrwölfe foltern und verbrennen ließen.
Gleich denke ich, dass auch unter den Schurken sicher verängstigte Bürger waren, die nur das Beste für ihre Stadt wollten, die nur die geständigen Monster gerecht bestraft sehen wollten. Menschen, die eigentlich zu den Guten zu zählen wären, oder „… ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, wie Goethe das den Mephisto im Faust sagen lässt. Ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft, so wird ein Schuh draus.
Ich merke gerade, ich muss noch lange schreiben, ich bin noch nicht mal mit den Schurken der Vergangenheit durch, bei denen der Gegenwart werde ich dann wohl spuken müssen. Und nein, ich kann nicht einfach ein paar hundert Jahre Grausamkeit und Ungerechtigkeit überspringen, das macht meine Tastatur nicht mit.
Doch zum Ahlen der Gegenwart will ich dann doch noch kommen. Ich habe da lange gearbeitet, in der Nähe des Paul-Rosenbaum-Platzes, da, wo es die türkischen Geschäfte gibt, die Moschee, die Handyläden und die Wettbüros, aber auch die Kirmes, da, wo mein alter Chef gelebt hat, wo es bunt und lebhaft war, ganz anders als in der Innenstadt, die so aussieht, als hätte der Bergbau gestern zugemacht und alle Beteiligten seien sofort abgereist. Sind sie nicht, sie waren nur bei dem Mistwetter nicht auf den Straßen und es war Donnerstag, wer muss da schon in die Stadt, wenn die Läden sowieso zu sind und nie wieder aufmachen.
Puh, so schlimm ist Ahlen auch wieder nicht. Es gibt schöne Ecken, Kultur und Sport und nette Leute, ich weiß das, wie gesagt, ich habe da gearbeitet und mein Freund Rainer kommt daher und die Stadt, nein, nicht die Stadt, die Menschen haben gelitten unter den Folgen des Krieges, für den sie auch nicht mehr konnten als zum Beispiel die Warendorfer, die trotzdem besser davongekommen sind. Problemlos ist das Leben in Ahlen auch heute nicht, nicht einfach multikulturell entspannt. Der Fußball ist nur noch viertklassig, nach allem, was man hört, hat die niederländische Thronfolgerin sich auch von dem jungen Mann aus der Badewannendynastie getrennt.
Nein, leicht ist es nicht, dem Fisch das Fliegen beizubringen.
*Strontianit ist ein Mineral, das bei der Zuckerproduktion eingesetzt wurde.