Lauter Leise

Es ist stiller geworden. Das ist vermutlich nicht nur mir aufgefallen. Ich sitze am Rechner und höre Männer, die sich draußen unterhalten. Es dürfte noch stiller sein, denke ich, weil ich, nachdem ich die Stimmen gehört habe, sie nicht mehr nicht hören kann. Als hätte ich meine Ohren wie eine Satellitenschüssel in ihre Richtung gedreht.

Wie still muss es sein, damit ich mich konzentrieren kann? Arno Schmidt war Bargfeld zu laut. Irgendwo habe ich gelesen, er sei bereits um 1 Uhr aufgestanden, um zu arbeiten. Das stimmt so wohl nicht, es war ihm dort, in der Heide, da, wo die Straße aufhörte, tagsüber einfach zu laut.

Jetzt habe ich doch gerade nichts mehr von all den Stimmen draußen gehört, weil ich mich konzentriert habe. Wie ist das nun, kann ich mich nicht konzentrieren, weil da die Stimmen sind, oder sind die Stimmen weg, wenn ich mich konzentriere? Ach, vermutlich gilt mal wieder beides. Es ist nicht der leise Lärm, der mich stört, ich brauche die innere Ruhe und die lässt sich nicht herstellen, indem ich um Ruhe bitte.

Schmidt brauchte Kaffee und Schnaps und Tabletten, um an den Ort zu gelangen, an dem die Wörter sind. Die richtigen Wörter. Ich will da auch hin, auch wenn ich fürchte, dass Schmidt einen Ort kannte, den ich nicht finden werde. Sätze finde ich, gern auch bei dem alltäglichen Sound der Welt, aber Wörter Weiterlesen

Gemeinschaftsprojekt

Von wetwebwork – Keyboard and Cress, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1576198

Christiane Nitsche, die ich aus dem Buchprojekt über die Vechte kenne, hat ein  Projekt gestartet, ich zitiere mal:

„Die Liebe in Zeiten von Corona“

soll ein Gemeinschaftsprojekt werden – eines, in dem wir einander von der Liebe erzählen, von den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die sie in der Zeit der weltweiten Krise erfährt. Das Ziel: ein Kanon der Liebe aus allen möglichen Kulturen, damit wir uns später nicht nur an die Schrecken und Ängste erinnern, sondern an das, was uns stark und menschlich macht.
Ich freue mich auf viele Beobachtungen, Erzählungen, Alltäglichkeiten, auf Dramatisches, Lustiges und Unglaubliches, was Ihr dazu zu erzählen habt.

Die Beiträge werden von mir literarisch bearbeitet, anonymisiert und in einem täglich erweiterten Blog veröffentlicht.

Es haben sich schon ein paar gemeldet, die mitmachen. Aber es dürfen gerne mehr werden.
Darum bitte auch gerne teilen!

Kontakt: loveisallyouneed.corona@googlemail.com

Schreibblockade

Left rj [Public domain], von Wikimedia Commons

Der Urlaub war vorbei. Ein Text musste her. Ich betrat mein Arbeitszimmer und setzte mich an den Schreibtisch.  Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war mein Rechner hochgefahren und das Textverarbeitungsprogramm gestartet. Erwartungsvoll legte ich die Finger auf die Tastatur. Nichts. Probehalber drückte ich ein paar Tasten. ASDF JKLÖ.

„Guten Tag, ich bin wieder da.“

Immer noch nichts. Ich sah aus dem Fenster. Grün. Ich sah auf den Monitor. Weiß.

„Hallo? Fertig zum Diktat! Jetzt. Es eilt.“

Stille.

Ich fuhr den Rechner wieder runter, ging raus und kam noch einmal rein. Gleiche Prozedur. Möglichst geräuschvoll. Rechner wieder hochfahren. Finger auf die Tasten.

Stille.

Ich fuhr den Rechner erneut runter, schloss die Fenster und Türen. Es war still, so still, dass ich nichts mehr hörte und mir deshalb auch sicher war, dass ich nichts überhörte. Es sprach nicht. Was war denn während meiner Abwesenheit passiert? Oder mit mir, während der Reise! Das Flugzeug. Natürlich, der Druck in großen Höhen, dass musste es sein, damit hatte ich schon oft Probleme gehabt. Vorübergehend eingeschränktes Hörvermögen. Ich presste meine Nasenflügel zwischen Daumen und Zeigefinger und gab Luftdruck auf die Nase. Ein kurzes Knacken und das Gefühl, das meine Trommelfelle sich nach außen stülpten. Erneutes Lauschen. Wieder Weiterlesen

Und dann doch

Julius Ludwig Sebbers [Public domain], via Wikimedia Commons

Wir waren in Weimar. Ich betone das mal, klingt ja viel besser als z. B. wir waren am Ballermann. Viel gebildeter. Weimar also. Stadt der Klassiker, der Weimarer Republik, der Nazis und Buchenwalds. Natürlich auch eine Stadt mit DDR-Geschichte. Das lässt sich überhaupt nicht alles erzählen. Das will ja auch keiner wissen.

Residenzstadt, Thüringer Bratwurst, Ginko-Blätter und Goethe- und Schillerbüsten in allen Größen. Rappelvolle Cafes und Restaurants. Es ist das Wochenende vor dem Reformationstag, da nimmt ganz Deutschland einen Brückentag und NRW hat auch noch den Mittwoch frei, Allerheiligen.

Eigentlich zog mich nichts nach Weimar. Nichts, bis auf meine Frau. Nicht mal Goethe. Oder Goethe schon überhaupt nicht. Ja, ich weiß. Er hat wunderschöne Lyrik geschrieben, aber die kann ich auch zuhause lesen. Und dann passiert es doch wieder: Die Stadt, die in großen Teilen immer noch seine Stadt ist, sein Haus, seine Häuser, sein Sarg schaffen eine Nähe, die ich nicht erwartet hätte. Der Mensch hinter dem Werk wird greifbarer, wozu auch eine hervorragende Stadtführung beiträgt. Und die Menschen in der Masse sind dann doch nicht so stumpf, so Weiterlesen

Wortmeldung

Von Sandro Botticelli – The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148170

„Bevor wir anfangen, hätte ich noch eine Frage. Wir werden einander auch eigene Texte vorlesen, nicht wahr?“
Nicken. Zustimmendes Gemurmel.
„Zu diesen Texten wird es dann Anmerkungen geben. Lob aber auch Kritik. Deshalb sind wir ja hier.“
Der Blick in die Runde zeigt, bisher alles im grünen Bereich.
„Die Kritik wird konstruktiv sein…“
„Natürlich!“ sagt jemand. Weiterlesen

Leseerfahrung

Ich wollte nicht schreiben. Jedenfalls nicht, wenn es bedeutete, einen Griffel in die Hand zu nehmen und damit Zeichen auf eine Schiefertafel zu kratzen. Aber Sechsjährigen hört ja niemand wirklich zu. Der spätere Übergang auf den Füllfederhalter machte mir das Schreiben auch nicht leichter, denn dieses Schreibgerät, das regelmäßig aus einem kleinen Tintenfässchen betankt werden konnte Kleckse produzieren, nein, hinterließ ganz zuverlässig Kleckse.
Hätte ich damals schon von Murphys Law gewusst, mir wäre klar gewesen, dass Tinte immer erst ganz am Ende der Seite aufs Papier tropft., dann nämlich, wenn die ellenlange Hausaufgabe so gut wie fertig geschrieben ist. Die großflächigen blauen Sprenkel auf meinen Arbeiten hinderten meine Lehrer jedoch keineswegs daran, noch ihre eigenen Anmerkungen daneben zu setzen.
Ob ich damals wohl daran gedacht habe, nur noch mit roter Tinte zu schreiben, weil alle anderen, die sich mit meinen schriftlichen Leistungen befassten, das ja auch taten?
Kurz gesagt, ich schrieb weder schön noch richtig. Weiterlesen

Eine Nummer kleiner

Inzwischen habe ich mich auf allerlei Seiten umgesehen und festgestellt, dass viele Schreibende einen Roman verfassen möchten.

Warum muss es denn immer gleich ein Roman sein?

Dagegen ist zunächst mal ja auch überhaupt nichts zu sagen. Eine eigenständige Veröffentlichung ist eine tolle Sache, die Spiegel-Bestsellerliste, der deutsche Literaturpreis oder eine lobende Erwähnung bei Denis Scheck: Ich will das alles auch, am liebsten sofort.

Mir geht es allerdings so, dass ich Texte mit einer Länge von zehn oder auch zwanzig Normseiten gerade mal bewältigen kann – also die Figuren zusammenhalten, die Geschichte vorwärts bringen und am Ende mit einem Knalleffekt und heiler Haut wieder aus der Nummer raus komme. Natürlich missgönne ich jedem seinen Erfolg und würde schon gern ein allgemeines Schreibverbot verhängen, damit die Nachfrage nach meinen Texten dramatisch ansteigt, doch auch bei mir ist es so, dass ich ganz hervorragende Anfänge für Geschichten in meinen digitalen Schubladen aufbewahre. Ein weißes Blatt kann Angst machen – aber ein guter Anfang ist auch nicht mehr als ein guter Anfang.

Schreiben ist vielleicht eine Kunst aber ganz sicher auch ein Handwerk, da sollten wir nicht gleich mit einem Meisterstück beginnen wollen.

Puh… jetzt ist es raus. Nun die frohe Botschaft: Es ist auch viel leichter, eine Kurzgeschichte in einer Anthologie zu veröffentlichen. Schaut euch im Netz um, es werden ständig Texte gesucht und nichts ist geiler, als sich das erste Mal gedruckt zu sehen (doch, da war noch …*)
*bitte selbst ergänzen

Schreiben?

Blöde Frage.

Warum überhaupt malen, warum aus einem Felsblock eine Skulptur erschaffen? Aha, da ist es ja schon: das Schaffen, das Erschaffen. Der göttliche Funke, der Kuss der Muse, der Schöpfer eines eigenen kleinen Universums sein.

Darf es auch eine Nummer kleiner sein? Kreativität, und darum geht es hier natürlich, ist zunächst doch wohl etwas sehr Alltägliches, keineswegs den Künstlern Vorbehaltenes. Wir haben Ideen, wir finden Lösungen für Probleme. Ich mach hier nicht das ganz große Fass auf und versuche, die eine richtige Definition für Kreativität zu geben, nicht einmal zu finden.

Wichtig ist mir die Freude an der Erfahrung der eigenen Kreativität. Weil aber diese Erfahrung nach meiner Überzeugung nicht nur vom Wollen abhängt, sondern schon auch ein wenig mit dem Können zu tun hat, tummeln wir uns in der Regel eben nicht auf allen denkbaren Feldern. Das Komponieren überlasse ich den Musikern, das Malen den Malern, aber Schreiben, das kann doch jeder. Klar, es kommen unterschiedlichste Texte dabei heraus, manche werden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, andere sind die Lachnummer überhaupt.

Im Ernst, auch das mit dem Schreiben kann nicht jeder, hoffe ich. Ich höre jedenfalls immer mal wieder, dass jeder Mensch singe könne. Ich nicht. Dafür erlebe ich Momente beim Schreiben, für die mir spontan das Wort beglückend einfällt. Manchmal, hinterher, weiß ich, dass es zwar gefunkt hat, aber trotzdem nicht funktioniert. Das nimmt dem vergangenen Moment ein wenig von seinem Glanz, aber nach jedem Rausch wird man ja irgendwann wieder nüchtern.

Alles andere, meine Texte einem wie auch immer gearteten Publikum präsentieren, kommt später, hat auch seine Reize – aber deshalb schreibe ich nicht.