Lose Endchen

Lose Endchen

 

Ich habe wieder nichts geträumt. Dabei läuft die Zeit. Ich mag überhaupt nicht mehr wach sein, damit vergeude ich nur wertvollen Schlaf. Dabei klang die Aufgabe so einfach. Einen Traum aufschreiben. Babyleicht. Vielleicht habe ich ja was geträumt, aber wenn, dann in einer Schlafphase, die dem Bewusstsein entzogen war. Die Familie sieht mich mit großen Augen an und man erinnert mich an frühere Träume, die ich zum Besten gegeben habe. An die erinnere ich mich auch nicht mehr. Eine Art Traumamnesie muss das sein.

Ich habe alles versucht. Zettel und Stift auf den Nachttisch, das Nachtlicht aufgeladen, das ist so ein USB-LED-Zeugs. Von den drei Wörtern könnte ich nur Zeugs erklären. Glaube ich jedenfalls. Lenkt aber nur ab. Das Kopfkissen etwas erhöht. Oder ist das falsch? Gibt es eine optimale Position für das Träumen und ist das zugleich die optimale Haltung für das Erinnern an das Geträumte? Ich kann das jetzt unmöglich recherchieren, dafür habe ich einfach keine Zeit.

So früh war ich lange nicht  mehr im Bett, ich bin schon super ausgeschlafen, diese morgendlichen Phasen, in denen man nicht mehr schläft und noch nicht ganz wach ist, habe ich jetzt schon um halb vier und um fünf könnte ich frühstücken. Ich kann mich aber nicht auf die Zeitung konzentrieren, weil ich immer noch hoffe, das Endchen eines verlorengeglaubten Traumes aufspüren zu können. Nichts. Alle meine Endchen sind substanzlos, keine Musterländer Mettendchen, die Geschichten von Erbsensuppe und Grünkohleintopf erzählen könnten.

Das Lesen habe ich aufgegeben. Ich lasse mir nur noch vorlesen, höre mit geschlossenen Augen zu Weiterlesen

Schreiben, lesen, hören, reden

Eigenes Bild

Puh, das ist aber abgelegen. Sage ich, denke ich, höre ich. Muss also stimmen. Obwohl es mit dem Auto mal gerade eine halbe Stunde braucht, um das Westfälische Literaturmuseum Haus Nottbeck zu erreichen. Eine halbe Stunde, das ist doch nicht viel. Um die zu vertrödeln, brauche ich höchstens eine halbe Stunde, wenn nicht weniger. Schön, Nottbeck liegt etwas einsam. Man könnte auch sagen: Es liegt da sehr schön einsam. Ruhig. Still sogar. Spätsommersonne, zwei Gänse watscheln, nee, sie bewegen sich einfach träge über den Rasen vor dem Gartenhaus.

Literaturmuseum klingt komisch, als ließe sich Literatur besichtigen. Ansehen wie Gemälde. Autorenbilder sind tatsächlich auch zu sehen, Bücher, Textauszüge, Geschichte der westfälischen Literatur. Viele Namen, die ich kenne, viele Namen, die ich nicht kenne. Viele Bücher, die ich nicht gelesen habe und wohl auch nie lesen werde. Aber hier begegnen sie mir. Männer und Frauen, die sich mit Sprache beschäftigt haben oder die es drängte, etwas zu erzählen.

Nottbeck pflegt immer auch die Begegnung mit Autoren. Literatur wird Weiterlesen

Knoten im Programm

Endlich Freitag. Beinahe genügend Zeit, die Dinge zu tun, die dringend getan werden mussten, wie immer zu wenig Zeit für alles andere. Doch es blieb ja der Abend, um in der Stadt ein Bier zu trinken oder einfach nur die Füße hochzulegen, irgendein Fernsehprogramm einzuschalten und fast sofort wegzudämmern.

Wohl auch deshalb blieb es im großen alten Gebäude der Volkshochschule an solchen Abenden besonders ruhig. Nur zum Beginn des Semesters trafen sich in Raum 222 die Beobachter lokaler Wettbüros, wenn wieder einmal entschieden werden musste, ob es genügend Anmeldungen für die Schreibwerkstatt gab, ob eine jahrzehntealte Tradition fortgesetzt werden konnte oder ob die Stifte zerbrochen, die Blöcke zerrissen und die Kursleiterin in eine ungewisse Zukunft entlassen werden musste.

Kevin und Jannik hatten an diesem Freitagabend nichts vor. Beine hochlegen und Fernsehen war total uncool,  in der Stadt Bier trinken und chillen einfach zu teuer. Wenn es aber an Geld mangelte und der Geldautomat ablehnend reagierte, war Kreativität gefragt. Kevin und Jannik hatten also nach kurzer Überlegung beschlossen, der VHS eine Art Inkassobesuch abzustatten. Freitagabend, alles dunkel, auch Overberg sah von seinem Sockel aus in die andere Richtung. Warum der olle Bildungsreformer das Alte Lehrerseminar keines Blickes würdigte, interessierte die beiden kein Stück. Ihre Aufmerksamkeit galt der Vordertür, die keinen großen Widerstand leistete. Okay, der Hintereingang wäre offen gewesen, aber die zwei verfügten über keinerlei Insiderinformationen.

Es war nur wenig später am gleichen Abend, in Raum 222 brannte noch nicht einmal Licht, als Verena Eichholt das Alte Lehrerseminar durch die Vordertür betrat. Sie dachte sich nichts dabei, konnte ja  nicht ahnen, dass diese Tür gewöhnlichen Kursteilnehmern verschlossen blieb, seit Paul Schallück sie hinter sich zugeworfen und Warendorf den Rücken gekehrt hatte. Und das war lange her.

Verenas Mutter hatte ihr den Kurs Makramee für Anfänger empfohlen, den einzigen Kurs dieser Art, der im Münsterland noch lief. Nicht, weil es Bedarf gegeben hätte, sondern weil Agnes Große-Hufnagel, die zuständige Dozentin, sich einfach geweigert hatte den Kurs aufzugeben, als niemand mehr kam. Die Veranstaltung stand auch nicht mehr im Programm, sondern Frau Große Hufnagel erwartete einfach jeweils zu Semesterbeginn in einem der freien Räume ihre künftigen Teilnehmerinnen. Freie Räume gab es schließlich zur Genüge.

Während sich die ersten Schreibwilligen gerade langsam auf den Weg machten, suchte Verena bereits nach ihrem Kursraum. Das Programmheft, Weiterlesen

Wortmeldung

Von Sandro Botticelli – The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148170

„Bevor wir anfangen, hätte ich noch eine Frage. Wir werden einander auch eigene Texte vorlesen, nicht wahr?“
Nicken. Zustimmendes Gemurmel.
„Zu diesen Texten wird es dann Anmerkungen geben. Lob aber auch Kritik. Deshalb sind wir ja hier.“
Der Blick in die Runde zeigt, bisher alles im grünen Bereich.
„Die Kritik wird konstruktiv sein…“
„Natürlich!“ sagt jemand. Weiterlesen

Bild und Ton

Foto: Elfie Voita

Bild: Elfie Voita

Im Hauptbahnhof Lummerland, den Räumlichkeiten, die alltäglich von einer Initiative örtlicher Tagesmütter genutzt werden, begann am Freitag eine Ausstellung, die heute – am Sonntag – um 17:00 Uhr endete. Eine Warendorfer Malerin – Chris Dargel Kleman und zwei Künstlerkollegen – Klaus Feidicker und Swen Maximiliandt Bäumker- stellten ihre Bilder aus und hatten uns, die Schreibwerkstatt der Volkshochschule Warendorf, dazu eingeladen. Damit stellten sie sich in die Tradition einer leider eingeschlafenen Veranstaltungsreihe. Bis vor wenigen Jahren gab es in Warendorf nämlich die Kulturey, ein Forum für die örtliche Kunstszene, das alljährlich einen Kultursommer organisierte. Musik, Malerei, Schauspiel, Tanz und Literatur: Wer wollte, konnte sich mit einer selbst organisierten Veranstaltung einbringen. Es war schön, vielfältig und bunt, fand im Garten oder Wohnzimmer statt, im Hinterhof oder auf der Straße, vor hundert Zuschauern oder fünf. Es war wohl der Erfolg, der die Kulturey dann an ihre Grenzen brachte.
Ich versuche mal, als am Rande Beteiligter, zu beschreiben und zu interpretieren, was da passiert ist. Die Veranstaltungen wurden größer und es reichte nicht mehr, dass jeder seinen eigenen Beitrag organisierte. Jemand musste die gesamte Reihe im Blick behalten, Termine koordinieren, Plakate drucken lassen und was auch immer an zeitraubenden und vermutlich nervigen Aufgaben zu erledigen war. Umsonst war auch nur die eigene Arbeit… und an einem bestimmten Punkt reichte es den Hauptverantwortlichen: Aus. Das ist schade, aber verständlich. Es war wohl nie geplant, ein Festival professionell zu planen und durchzuführen – plötzlich wurde es aber erwartet, auch wenn diese Erwartungen vielleicht nicht so ausgesprochen wurden.
Früher hatten wir also die Kulturey – jetzt haben wir eine Lücke. Und genau deshalb war es gut, dass es am Wochenende diesen kleinen Ableger der Kulturey gab. Es hat Spaß gemacht, die Räume der Volkshochschule und den eigenen Schreibtisch zu verlassen und mit der Malerin und den Malern ins Gespräch zu kommen, den Besuchern der Ausstellung unsere Texte zu präsentieren und sich als Teil einer offenen, vielfältigen Kulturszene zu erleben.

Schreibwerkstatt: Läuft!

Das VHS-Semester läuft und es ist schön, dass wir neue Schreiberinnen in der Gruppe haben. Es macht einfach mehr Spaß, wenn mehr Leute ihre Geschichten vorlesen und damit natürlich auch mehr Kritiker in der Runde sitzen.

Ich schreibe natürlich wieder mehr, denn es gibt Hausaufgaben. Vermutlich geht es mir da so wie vielen anderen auch: Sobald es einen Termin und eine Aufgabe gibt, ist es viel leichter, sich an den Schreibtisch zu setzen und etwas zu tun.

Niemand verlangt einen Text von mir, aber schließlich bezahle ich den Kurs, da will ich doch auch was für mein Geld haben. Irgendwas stimmt da nicht mit meiner Logik, ich weiß, und ich werde auch noch dahinter kommen! Aber bis dahin klappt es.

Lesungen

Lesung Brigitta Brand mittel

Foto: Thomas Esche

 

Vor einiger Zeit fand die angekündigte Lesung im Mehrwerk in Telgte statt. Eingeladen hatte Brigitta Brand. Unter

http://querzeit.org/kulturvisite/das-mehrwerk-in-telgte

ist ein Bericht mit vielen sehr gelungenen Fotos zu finden. Deshalb schreibe ich jetzt auch nicht über diese Lesung, sondern darüber, wie wir Textarbeiter auf ein Publikum treffen.

Schreibt man für Leser oder Zuhörer? Als ich meine ersten Texte verfasste, machte ich mir keine Gedanken über die Frage, wer auf welche Weise diese Texte konsumieren könnte. Ich dachte nicht einmal an die Möglichkeit, dass jemand meine Texte zur Kenntnis nehmen würde – und behielt Recht. Daraus lässt sich nicht auf prophetische Fähigkeiten oder Hellsichtigkeit schließen: Wer die Schublade ordentlich geschlossen hält, gerät nicht in die Verlegenheit, Kontakt zum Publikum zu bekommen.

Das änderte sich in den achtziger Jahren, als ich einige Sketche für die Musik- und Comedyserie Bananas des WDR schrieb. Menschen sahen, was ich mir ausgedacht hatte – allerdings von professionellen Schauspielern dargestellt.

Erst als ich mich an der Schreibwerkstatt beteiligte, zeigte sich, dass meine Texte vorgetragen werden mussten, entweder dem kleinen Kreis der Mitschreiberinnen und Mitschreiber oder dem – manchmal – etwas größeren bei Lesungen. Ich schrieb und schreibe nach wie vor Lese- und nicht Vorlesetexte, aber inzwischen ist mir der Unterschied sehr klar. Nicht alles, was sich gut liest, lässt sich auch gut vorlesen.

Jedenfalls nicht von mir. Es gibt Leute, die hervorragende Interpreten ihrer eigenen oder auch fremder Texte sind, ich gebe mir Mühe. Lauter, deutlicher, langsamer, mit mehr Betonung, mit der richtigen Betonung, mit ein wenig schauspielerischem Talent…, nein, so weit geht es dann doch nicht.

Manchmal lege ich einen vorgetragenen Text aus der Hand und bin zufrieden, weil das Publikum reagiert hat. Es ist nämlich seltsam, wenn man ins Nichts hinein vorträgt. Hallo, ist da jemand? Hört jemand zu? Versteht mich jemand? Applaus ist nett, ich will totale Begeisterung, frenetischen Jubel, Hochrufe. Nicht, dass ich damit rechnen würde, aber den Antrag kann ich doch trotzdem mal stellen, oder?