Abgehängt

Abgehängt

Wir waren mit der Bahn unterwegs, mit dem Verkehrsmittel der Wahl, wenn man irgendwohin will, aber nicht unbedingt muss, wenn man über Zeit und Geduld verfügt und liebe Menschen kennt, die einen zur Not auch wegbringen oder abholen.

1994, als aus der Deutschen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG wurde, gab es in Deutschland noch ein Schienennetz von 44.600 km. Inzwischen ist es um rund 12 % auf 39.200 km geschrumpft, davon befinden sich 33.400 km, gut 85%, im Eigentum der InfraGO AG, die seit ein paar Monaten für das Netz und die Bahnhöfe zuständig ist. Etwa 5.700 Bahnhöfe und Haltepunkte gibt es im Lande, davon  2.300 Bahnhofsgebäude, von denen aber nur noch rund 700 der DB InfraGO gehören. Und um Bahnhöfe soll es diesmal gehen, schon wieder um Bahnhöfe, wir fahren gerade öfter mit der Bahn.

Von Warendorf aus, einem Haltepunkt ohne Empfangsgebäude – das ist 1995 abgebrannt, seither steht, wer auf Bahnfahren steht oder angewiesen ist, ohne Bahnhof da – ging es nach Münster. Der dortige Bahnhof wurde 2017 renoviert und modernisiert und ist jetzt ein Schmuckstück. Würden auch noch die Züge pünktlich fahren, es wäre überhaupt nicht mehr auszuhalten. Wir wollten nach Oberhausen und mussten dafür in Wanne-Eickel umsteigen. Das geht, also rein technisch funktionierte das ganz okay. Der Zug nach Oberhausen kam ziemlich pünktlich, nur hatten wir eben noch einen recht langen Aufenthalt in Wanne-Eickel, also eigentlich in Herne, denn inzwischen gehört Wanne-Eickel zu Herne, was bisher aber meines Wissens nicht dazu geführt, hat, dass der berühmte Mond von Wanne-Eickel seinen Glanz auch auf Herne ausgedehnt hat. Ich lese gerade, dass der Megahit von Friedel Hensch und den Cyprys eigentlich eine Coverversion eines französischen Tangos war und überhaupt nur so heißt, weil die Band gerade zu einer Autogrammstunde in Wanne-Eickel war.

Mit den Wörtern Band und Cyprys ist es wie mit diesem Hund und dem Ball, beide magnetisch, aber gleich gepolt: Sie stoßen sich ab. Was nicht heißt, dass ich die Cyprys abstoßen finde. Sie waren nur keine Band. Eine Band hatte lange Haare, ein Schlagzeug, einen Bass und zwei Gitarren. Und die Cprys? Eben! Die guckten in den Mond.

Wanne-Eickel also: Kultbahnhof, heißt es in den Medien. Nicht nur der Mond, nein, sogar Heinz Rühmann – der mit der Feuerzangenbowle – hat seine Spuren hier hinterlassen. Nein, er hat da nichts verschüttet. Seine Eltern pachteten einst die Bahnhofsgaststätte, der Bahnhofsvorplatz trägt deshalb, nein, nicht den Namen der Pächter, sondern den des Sohnes, der dort als Kind auch seine ersten Auftritte hatte.

Der Namensbestandteil Wanne stammt sogar aus der Eisenbahngeschichte, denn die Orte der Region konnten sich auf keinen Namen für den Bahnhof einigen, sodass die Bahnverwaltung eine Flurbezeichnung der Gegend für den Bahnhof übernahm. Später wurde sie für das das Amt Wanne übernommen und dann zum Ortsnamen für Wanne-Eickel.

Der Bahnhof war von seiner Größe und Funktion her ein Riese im Ruhrgebiet. Jetzt ist er ziemlich deprimierend. Das Wartegebäude auf unserem Bahnsteig hatte keine Türklinken, weder innen noch außen, es ließ sich mit etwas gutem Willen und den Fingernägeln öffnen, wenn man denn unbedingt rein wollte. Wir wollten nicht, obwohl es kalt und zugig war. Zugig ist für einen Bahnhof natürlich nur angemessen. Aber es ist eben auch eng, marode und unerfreulich. Außerdem regnete es. Die Botschaft, die dieser Bahnhof vermittelt, ist sehr deutlich: Wenn ihr schon keine Geld für ein Auto habt oder vielleicht nicht mal einen Führerschein, dann nehmt das, ihr Loser.

Das Netz – nein, nicht das Schienennetz – tobt. Nein, nicht wegen des Bahnhofs, nicht wegen der drittklassigen Behandlung der ÖPNV-Nutzer. Nein, es gibt Pläne und damit auch die Hoffnung, dass der Bahnhof noch in diesem Jahr modernisiert wird. Dann bekommt er auch einen neuen Namen: Herne-Wanne-Eickel-Hauptbahnhof. Darüber tobt das Netz, aber wann täte es das nicht?

11 Gedanken zu “Abgehängt

  1. Interessant die Statistik zu Beginn des Beitrages. Die erweiterte meinen Horizont. 😇
    Ja, alte Bahnhofsgebäude. An den meisten fahre ich auf meiner üblichen Strecke, wenn ich meine Familie besuchen will, vorbei. Die einst schöne Gebäude im typischen Baustil für die Bahn, sind nur noch ein Trauerspiel. Sie stehen nur noch einsam verlassen an den Bahnstrecken und einige von ihnen werden nicht mal mehr als Durchgang genutzt. Sie sind dem Verfall geweiht. Ich finde es schade, das diese alten Gebäude sich so selbst überlassen sind. Bevor nahezu jedermann ein Auto nutzte, war die Bahn mit der guten alten Dampflok ja das wichtigste Verkehrsmittel um von A nach B zu kommen.
    Nun gut, auf die Dampflok kann man gut verzichten, aber um so viele kleine Bahnhofsgebäude tut es mir leid, stellen sie doch die Geschichte der Bahn dar.

    Ich wünsche noch schöne Ostertage
    LG Ostseemaus 🙋🏻‍♀️

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    • Die Bahnhöfe dokumentieren auch das Versagen der Politik, die Fixierung auf die Schuldenbremse bzw. die Frage der Staatsverschuldung. Was damals gespart wurde, muss jetzt für viel mehr Geld nachgeholt werden. Vieles wurde stillgelegt und verkauft, jetzt sollen Strecken reaktiviert werden.

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      • Zu DDR-Zeiten sprachen wir immer von einer Warendecke, die stets zu kurz und zu schmal war. Zog man an der einem Ecke, dann zog man damit an der anderen Ecke die Decke weg.
        Heute kann man dieses Sinnbild auf die Finanzdecke anwenden. Was die alten historischen Gebäude der Bahnhöfder betrifft, wäre es wirklich sinnvoll. sie zu restaurieren, Aber auch das kostet jede Menge Geld.

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  2. Dein Text enthält wissenswerte Bahn-Daten. Auch warum der Schlager „Nichts ist so schön, wie der Mond von Wanne-Eickel“ so heißt wie er heißt, habe ich gelernt. Erinnert mich ein bisschen an „Wissenswertes über Erlangen“ von Foyer des Arts, in der der Kolumnist Max Goldt mitmachte.

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    • Die Bahn ist leider zu einem Witz auf Gleisen heruntergewirtschaftet worden. Dass es anders und besser geht beweisen die Niederlande, die Schweiz und andere Länder. Aber Deutschland setzte noch auf die Straße, als es dort immer enger wurde. .

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      • Das ist ja kein Wunder. Die letzten Verkehrsminister waren allesamt Autolobbyisten. Die Vernachlässigung der öffentlichen Verkehrsmittel hat System. Wenn auf dem Land die Bahnstrecken stillgelegt sind und kaum Busse fahren, brauchen Familien zwei Autos.

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