Klein war die Welt und unermesslich groß, als ich ein Kind war. Klein war sie und vertraut, weil ich alles kannte, jedes Kind und jeden Erwachsenen, jeden Hund und unsere Katze, jedes Fahrrad und das Auto auf dem kleinen Parkplatz. Den Feldweg hinter der Treppe, den, auf dem ich der Frau vom kleinen Meyer mein Guten Morgen entgegenrief, kaum dass ich sie gesehen hatte, um dann stumm an ihr vorbeizutrödeln. Die Gärten hinter der Hecke und die Straße nach links und nach rechts, in die Stadt und runter zum Wald.
Und die Welt war groß, denn ich ahnte mehr, als dass ich es wusste, dass da noch anderes war. Afrika. Amerika. Kina. Kina, wie mein Vater sagte und ich auch und womit ich den Spott des Lehrers auf mich zog. Kina, Kina, Kina. Jetzt hab ich’s dem aber gegeben! Der Dschungel und die Hochhäuser, Cowboys und Indianer. Entdecker und Missionare. Dabei begann die große fremde Welt eigentlich schon hinter der nächsten Häuserzeile in der Stadt, begann dort, wo ich noch nie war und wo ich nach der Hand meiner Mutter griff.
Eine seltsame Landkarte wäre das geworden, hätte ich sie zu zeichnen versucht. Mit unserem Haus in Hagen-Eppenhausen im Mittelpunkt und als fernstem Ort der bekannten Welt das Haus meiner Oma in Leer, verbunden durch die Schienen der Eisenbahn. Dann ein paar Namen, Orte, die mit meinen Eltern verbunden waren. Ostpreußen und das Sudetenland. Namen wie Dortmund und Haspe. Wie Berlin und New York. Unbestimmbar weit weg und für mich so fern wie der Mond.
Einmal, auf dem Weg zur Donnerkuhle, einem Ortsteil, der seinen Namen vielleicht den Sprengungen im Steinbruch verdankte, war da ein schwarzer Mann. Einer, für den wir Bleichgesichter sicher schon vertraut waren, aber der für mich ganz unfassbar war, wie konnte das sein? Gab es Wege nach Afrika? Straßen oder Eisenbahngleise, die in die Wüste oder in den Dschungel führten? Ein unvergessliches Erlebnis, größer und aufregender als die Kinderstunde im Fernsehen und die Leseratten im Radio.
Eines Tages war da plötzlich ein Fahrrad in meiner Welt. Ein kleines Rad, eins in meiner Größe. Mein Fahrrad sollte das sein und ich hatte es mir nicht gewünscht, weil ich nicht wusste, dass das geht, dass man sich sowas wünschen kann. So ein Fahrrad kann man gut abstellen, das hat einen Ständer und, obwohl es eine Klingel hat, es ruft nicht, meldet sich nicht und sagt: Fahr mich. Ich war nämlich schon damals, noch vor meiner Einschulung, ein Guckkind, ein Habekind und kein Machkind.
Wozu sollte das gut sein, alles immer auszuprobieren, alles zu lernen, was andere doch schon konnten? Aber nein, meine Eltern, in diesem Fall mein Vater, bestanden darauf, dass ich mit dem Fahrrad fuhr. Bald sogar ohne Stützräder.
Jeder kennt die Geschichte vom Festhalten und Loslassen und von dem Moment, in dem man merkt, dass man betrogen wurde und ganz allein das Gleichgewicht hält und fährt und es ist schrecklich und es ist schön, weil man das jetzt kann, aber den Betrug, den vergisst man nicht. Rechts in Richtung Wald, aber es kann doch nicht sein, dass ich jetzt weiter und weiter geradeaus fahre, zur Bundesstraße und dann in die Welt hinein, vielleicht bis nach Afrika, vielleicht bis nach Leer. Nein, ich muss abbiegen, wenden und da kommt auch schon die Hovestadtstraße und ich ziehe nach links, halte den Lenker, halte mich am Lenker fest und da ist auf einmal ein Auto, das auch die Straße beansprucht und mein Vater ruft mir meine erste Verkehrsregel zu. Nicht die Kurve schneiden. Das mit dem Schneiden habe ich dann trotzdem wieder getan, aber das ist eine andere, eine blutige Geschichte, die von dem Fahrtenmesser, dass ich mir so gewünscht hatte.