Du sollst dir kein Bild machen – das macht schon die KI

Du sollst dir kein Bild machen – das macht schon die KI

Ich hatte schon über meine Erfahrungen mit CHAT GPT berichtet. Seit einigen Tagen habe ich ein neues Spielzeug, natürlich nicht exklusiv, denn Bing, also Microsoft, bietet jedem und jeder die Nutzung der KI zur sprachgesteuerten Erzeugung von Bildern an. Die Voraussetzungen sind leicht zu erfüllen. Bing muss installiert sein, dann kann die entspreche App, der Bing Image Creator aufgerufen werden. Bislang sind nur englische Texteingaben möglich. Mein Englisch reicht gut aus, um mich anderen Leuten überlegen zu fühlen, die kein Englisch sprechen und jedem unterlegen zu sein, der seinen Wortschatz auch aktiv zu nutzen versteht. Aber dafür hat man ja DeepL. Textvorgaben für ein Bild können kurz und knapp sein, also z. B. ein Mann, etwa 25 Jahre alt, bartlos, gekleidet in einfache Arbeitskleidung des Jahres 1900. Kleidung und Gesicht sind mit Kohlenstaub bedeckt.

Gut, das hat jetzt nicht ganz geklappt. Ich verzichte mal ganz darauf, das Merkmal Bart zu erwähnen.

Schon viel besser. Der Wunsch nach einem bartlosen Mann bescherte mir also einen mit Bart, der Verzicht auf das Stichwort Bart bringt dann das gewünschte Ergebnis. Nicht immer, Bing liefert jeweils vier Bilder, von denen durchaus auch mal zwei doch jemanden mit einem Bart und einem Turban anbieten. Aber ich habe ja, was ich will. Aber es geht ja auch freundlicher und realistischer. Für die ersten Bilder hatte ich mir Aquarelle gewünscht, jetzt soll es ein freundliches, fotorealistisches Bild werden.

Aha, freundlich… Okay, das passt. Das entspricht dem durchschnittlichen Freundlichkeitsniveau und wenn ich mich etwas bemühe, kann ich sogar ein Lächeln erkennen. Also ich lächele jedenfalls immer ganz genauso. Meine Hauptperson, ein Kohlenträger namens Bernhard, der sich in Warendorf um das Jahr 1900 nützlich macht und einiges erlebt, hat aber schwarzes, lockiges Haar.

Nein. Das ist nicht Bernhard. Grouchos Haare sind explodiert und diese Augen…Ach ja, ich hatte kurzes lockiges schwarzes Haar vorgegeben. Bernhard hat aber etwas längeres schwarzes Haar. Oh. Bing hat meine Wartezeit von 30 Sekunden auf 5 Minuten verlängert. Entweder nerve ich das System mit meinen kleinen Variationen, oder die Zahl der Nutzer und damit der Aufträge ist stark gestiegen.

Da ist es auch schon. Ich habe zusätzlich angegeben, dass der junge Mann Kohlenträger sein soll und die Ausgabe als Foto bestellt. Kohlenträger und Foto, okay. Aber 25?

Okay. Eine gewisse Grundfreundlichkeit ist da, das Leben als Kohlenträger um 1900 war sicher auch nicht ganz einfach und diese Ohren sind, nun, sagen wir realistisch. Und man fragt sich natürlich, wo Bing diese Leute aufgetan hat. Die KI durchsucht das Netz, findet Elemente und kombiniert die neu, so dass der Arbeitsauftrag erfüllt wird. Wäre mal spannend, die Einzelteile zu sehen, die hier verarbeitet wurden.

Der neue Auftrag: Zwei Männer auf einem offenen Kohlenwagen im strömenden Regen. Hintergrund: Mein Bernhard und sein Kollege Josef liefern Kohlen aus. Das Bild ist ganz okay, schaut man sich die Augen der beiden Männer nicht zu genau an. Aber Bing hatte auch ein richtig schräges Bild im Angebot.

Das Pferd..  was macht das da oben? Es sieht auch aus, als würde es irgendwie fließen. Ich glaube, das Pferd da oben war bis vor kurzem noch eine Kuh. Und bei dem zweiten Pferd, dieses Joch, dass da irgendwo hängt…

Abschließend noch eins, nur weil es so rätselhaft ist:

Was ist denn da nur mit den Vorderbeinen des Pferdes passiert?  Da haben wir ja mindestens eine ziemlich Fehlstellung und dann ein mittleres Bein, also das zwischen dem linken und dem Stiefel des Mannes, das verliert sich irgendwie auf dem Weg nach oben. 

Trotzdem: Ich bin beeindruckt. Natürlich ist das alles andere als perfekt. Vorgaben werden nicht eingehalten und Bing schränkt die Möglichkeiten der Gestaltung auch noch sehr ein, weil es fürchtet, irgendwelche Regeln könnten gebrochen werden. Schon wenn es heißt, zwei Männer sitzen an einem Tisch und essen Suppe, gibt es eine skeptische Nachfrage, nur weil einer davon schwarz gekleidet sein sollte. Nach einer mehrstündigen Prüfung wurde das Bild dann genehmigt. Aber es macht Spaß, eigene Ideen in Bilder umsetzen zu können, wenn das eigene Geschick dafür eigentlich nicht, nein, nicht nur eigentlich nicht, sondern überhaupt nicht ausreicht. Wir erleben gerade, dass KI in immer mehr Bereich vordringt. Ob das gut oder schlecht ist, wir werden sehen. Aufhalten lässt sich das sicher nicht, KI ist in der Welt und wird nicht mehr vergessen. Es wird Anwendungen geben, die cool sind. Und KI wird uns schaden, so wie uns alles schaden kann, auch Schokolade und Rotwein. Nein, ich will das nicht herunterspielen. Wenn Software selbstständig Software schreiben kann, stehen wir vor einer Entwicklung, die überhaupt nicht absehbar ist. Heute habe ich noch ein Grönemeyer-Interview gelesen, in dem er sagt, dass Menschen nicht perfekt sind, dass Kunst entsteht, wenn aus dem Nichts eine Idee da ist, dass Schmerz oder Liebe, dass starke Emotionen Kunst hervorbringen und dass das eine KI nicht simulieren kann. Schließen wir  mit einem geseufzten: Hoffentlich!

Edgar Selge

Edgar Selge

Wieso ich das eine Buch lese, das andere aber nicht, ich kann es nicht wirklich erklären. Früher waren es Klappentexte und Rezensionen, die meine Entscheidungen beeinflussten, das geschieht jetzt seltener, weil ich schneller vergesse, was ich da gehört oder gelesen habe. „Hast du uns endlich gefunden“ von Edgar Selge wurde mir in die Hand gedrückt, ein Geschenk. Eins, für das ich dankbar bin. Also eigentlich bin ich ja grundsätzlich dankbar, wenn ich beschenkt werde, einfach deshalb, weil Menschen mich beschenken, auch wenn das bei manchen Anlässen eben so üblich ist und das Nichtschenken viel bemerkenswerter wäre. „Du, ich schenke dir mal nichts, weil ich keinen Bock hatte, etwas für dich zu kaufen. Geschweige denn dir etwas zu basteln“, das sagt man ja nicht.

Meistens gibt es aber, was ich mir gewünscht habe, eine mögliche Enttäuschung habe ich mir dann also selbst zuzuschreiben. Hätte natürlich auch was, ein paar Sachen auf die Wunschliste zu schreiben, die man bestimmt nicht will und dann mal zu sehen, was davon tatsächlich geschenkt wird.  Das böte dann Anlass für interessante Gespräche. „Vielen Dank, das wäre aber nicht nötig gewesen“ oder „Hast du wirklich geglaubt, dass ich sowas lesen würde? Ich dachte, du würdest mich besser kennen.“

Edgar Selge also. Dem allgemeinen Hintergrundrauschen hatte ich schon entnommen, dass das Buch gelobt wurde. Heißt ja nichts, Leute werden dafür bezahlt, Rezensionen zu schreiben und wenn man nicht weiß, was die jeweiligen Rezensenten sonst so gefeiert haben, ist ein Urteil schwer einzuordnen. Jetzt habe ich das Buch gelesen. Ich mochte es.

Das wäre doch mal eine Rezension, gerade auch für Leute, die keine Zeit haben, aber die lesen vermutlich auch keine Bücher. Also ausführlicher. Ein Roman, heißt es. Autofiktion oder autobiografisch geprägt, jedenfalls nah am Leben des Autors, nehme ich an, die biografischen Details des Autors und des Protagonisten stimmen zumindest überein. Die Frage, ob das alles so stimmt, ob Selge das alles so erlebt hat, verbietet sich eigentlich, weil er sein Buch eben nicht als Autobiografie bezeichnet, er wird wissen, warum. Es wird kein Leben erzählt, kein Lebenslauf erläutert, sondern im Kern des Textes sind wir im Herford der fünfziger Jahre. Vor dort aus blickt er zurück und nach vorn, auch mal von heute aus zurück auf spätere Ereignisse, den Tod des Bruders und der Eltern. Doch es ist die Kindheit, um die es geht. Das Leben kurz nach der Katastrophe des Nationalsozialismus.

Ich bin nur wenige Jahre jünger, aber in meinem Elternhaus war die Nazizeit kein Thema, vielleicht auch, weil ich keine älteren Geschwister hatte, die Fragen gestellt hätten. Vielleicht auch, weil meine Eltern nicht unter der Niederlage, unter dem Verlust des großen Glaubens an die Volksgemeinschaft, den Führer und den Sieg litten. Während des Lesens des Buchs wurde mir für mich viel nachvollziehbarer, welche Last auf dem Leben, auf dem Denken und Sprechen der Nachkriegszeit lag und wie unmittelbar Verfolger, Gleichgültige und Opfer in der erzwungenen Demokratie miteinander leben mussten und wie schnell es die Täter und die Mitläufer wieder zu Macht und Einfluss gebracht hatten. Selge handelt das nicht theoretisch ab, er lässt uns teilhaben an den Gesprächen am Mittagstisch, an der Begeisterung für Musik und Kunst und an der Gewalt, an der psychischen und physischen, die der Vater über die Familie hat.

Edgars Leiden unter diesem Vater, aber auch seine Prägung durch diesen Vater, zieht sich durch die Episoden des Buchs. Episoden sind es, die Selge erzählt, vom Kino und von der Schule, vom Spielen im Garten und von Besuchen bei den Nachbarn.

Seine Familie war anders, gebildeter, musischer, aber auch verstrickter in die NS-Vergangenheit, als meine Familie, aber Selge erzählt nicht nur von sich, er erzählt von uns, von diesem Land und den Menschen, von ihren Werten und ihren Urteilen. So waren wir und ob wir anders sind, besser, wird eine andere Generation erzählen müssen.

Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Lose Endchen

Lose Endchen

 

Ich habe wieder nichts geträumt. Dabei läuft die Zeit. Ich mag überhaupt nicht mehr wach sein, damit vergeude ich nur wertvollen Schlaf. Dabei klang die Aufgabe so einfach. Einen Traum aufschreiben. Babyleicht. Vielleicht habe ich ja was geträumt, aber wenn, dann in einer Schlafphase, die dem Bewusstsein entzogen war. Die Familie sieht mich mit großen Augen an und man erinnert mich an frühere Träume, die ich zum Besten gegeben habe. An die erinnere ich mich auch nicht mehr. Eine Art Traumamnesie muss das sein.

Ich habe alles versucht. Zettel und Stift auf den Nachttisch, das Nachtlicht aufgeladen, das ist so ein USB-LED-Zeugs. Von den drei Wörtern könnte ich nur Zeugs erklären. Glaube ich jedenfalls. Lenkt aber nur ab. Das Kopfkissen etwas erhöht. Oder ist das falsch? Gibt es eine optimale Position für das Träumen und ist das zugleich die optimale Haltung für das Erinnern an das Geträumte? Ich kann das jetzt unmöglich recherchieren, dafür habe ich einfach keine Zeit.

So früh war ich lange nicht  mehr im Bett, ich bin schon super ausgeschlafen, diese morgendlichen Phasen, in denen man nicht mehr schläft und noch nicht ganz wach ist, habe ich jetzt schon um halb vier und um fünf könnte ich frühstücken. Ich kann mich aber nicht auf die Zeitung konzentrieren, weil ich immer noch hoffe, das Endchen eines verlorengeglaubten Traumes aufspüren zu können. Nichts. Alle meine Endchen sind substanzlos, keine Musterländer Mettendchen, die Geschichten von Erbsensuppe und Grünkohleintopf erzählen könnten.

Das Lesen habe ich aufgegeben. Ich lasse mir nur noch vorlesen, höre mit geschlossenen Augen zu Weiterlesen

Die Insel der grauen Mönche

Die Insel der grauen Mönche

Zugegeben, das klingt wie der Titel eines Horrorfilms, ist aber nur die Übersetzung des Namens der Insel, auf der wir ein paar Tage verbringen wollen: Schiermonnikoog. Schier steht für das Grau der Kutten, Monnik für Mönch und Oog ist in Friesland wohl ein Wort für Insel oder war mal eins, damals vor 700 Jahren. Die Mönche sind schon lange weg, die Walfänger auch, dafür sind die Touristen gekommen, die die Ruhe der Insel zu schätzen wissen. Ein Ort, ein großes Naturschutzgebiet, Strand und Wasser. Der niederländische Kabarettist und Autor Godfried Bomans (1913-1971) hat sich schon vor Jahrzehnten dort aufgehalten. Den folgenden Text habe ich aus dem Niederländischen übersetzt, ich nehme an, dass er sich da selbst interviewt hat.

Herr Bomans, Sie wohnen für einige Wochen auf Schiermonnikoog. Was tun Sie hier?

Nichts.

Überhaupt nichts?

Überhaupt nichts!

Ist das schwierig?

Das ist das Schwierigste, das es gibt.

Und warum wählten Sie dafür Schiermonnikoog?

Weil andere Orte unseres Vaterlandes noch einige Aktivitäten fordern und hier geschieht nichts. Man gerät also auch nicht in die Versuchung etwas zu tun. Es gibt Wind, es gibt Möwen und die beobachtet man.

Wissen Sie etwas über die Geschichte dieser Insel?

Nein, überhaupt nichts.

Hat sie vielleicht keine Geschichte?

Glückliche Länder haben keine Geschichte, das ist ein Zitat von eh… Tacitus.

Godfried Bomans

Foto: Der graue Mönch von Martin van Waning

Ein Elfchen

Ein Elfchen

Traumwelten

Fremd vertraut

Mit allen Sinnen

Ohnmächtig im magischen Bilderrausch

Seelenkino

Mein Versuch, ein Elfchen zu verfassen. Das Elfchen ist eine recht einfache Form der Gestaltung. Ein Wort in der ersten Zeile, zwei in der zweiten, drei in der dritten, vier in der vierten und dann wieder ein Wort in der fünften und letzten Zeile. Damit kommt es im Schwierigkeitsgrad gleich nach dem Ausschneiden und Aufkleben eines fremden Textes.

Das Elfchen entstand für die Schreibwerkstatt Warendorf, an der ich seit vielen Jahren teilnehme und die mir immer neue Impulse liefert.

Bild: Midjourney: A machine that reads dreams and translates them into images

ChatGPT: Gekünstelte Intelligenz?

ChatGPT: Gekünstelte Intelligenz?

Eine Zeitlang hat ChatGPT mich hingehalten mit der Anmeldeprozedur, hatte einfach zu viel zu tun und versprach, sich bei mir per Mail zu melden, wenn mal etwas Zeit wäre. Eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass es der menschlichen Kommunikation schon so nahe ist, sich sogar verleugnen zu lassen und mich auf später zu vertrösten, aber dann klappte es plötzlich, ganz ohne Einladungsmail. Da sitzt man dann am Monitor einer völlig fremden KI gegenüber, oder in dem Fall einer AI, einem Chatbot oder einem textbasierten Dialogsystem und fragt sich, was man ChatGPT fragen wollte.

Erstmal ist das System höflich und freundlich, es siezt mich, ich habe nicht ausprobiert, ob man ihm das Du anbieten kann, aber da wir vermutlich nie ein Bier zusammen trinken werden, ist das Sie auch ganz okay.

Das System entschuldigt sich auch immer wieder einmal, es hat allerdings auch oft genug Grund dazu. Ich habe an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine Art Unterhaltung mit dem System geführt, die, wenn man auf Deutsch beginnt, auch auf Deutsch geführt wird und zwar in einem grammatisch fast durchgehend fehlerfreien Deutsch. Manchmal, wenn ich das Programm gefühlt etwas gestresst hatte, machte es ziemlich simple Fehler, wählte zum Beispiel einen falschen Artikel, obwohl mir das in jeder beliebigen Fremdsprache ebenfalls andauernd passiert und ich spreche wahrlich nicht viele Sprachen. Aber von einem Computerprogramm erwartet man natürlich Perfektion, gerade von einer künstlichen Intelligenz, die sich anschickt, die Weltherrschaft zu übernehmen und alle Probleme zu lösen. Hausaufgaben zum Beispiel oder Seminararbeiten.

Natürlich kann man eine Software nicht stressen, wollte ich gerade schreiben und das ist insoweit sicher richtig, dass sie da nicht in Kalifornien in ihrem gekühlten Rechenzentrum oder irgendeiner Serverfarm irgendwo in der Welt gerade in Schweiß und Tränen ausbricht, weil ich übermenschliche Anforderungen stelle. Andererseits, man weiß ja nicht, was sich eine Software so beibringt, die, während sie meine Fragen beantwortet, mehr über mich lernt als ich von ihr.

Es wäre doch fast ein Wunder, wenn sie in einigen Jahren, ach was, bei der Vielzahl von Sozialkontakten, die sie täglich hat, in eine paar Stunden das Gehabe eines preußischen Staatbediensteten im Einwohnermeldeamt einer ordentlich gekehrten und aufgeräumten Provinzstadt an den Tag legen würde. Zurück zu meiner Konversation. Meine erste Frage bezog sich auf eine Aufgabe der Schreibwerkstatt. In sechs Wörtern sollte eine Botschaft vermittelt werden. Nicht unbedingt im Sinne von: Ich habe Hunger, jetzt aber hopp. Schon irgendwie  philosophisch, esoterisch, also von oberflächlicher Tiefsinnigkeit.

ChatGPT: Ich arbeite. Ich lerne. Ich denke.

Manfred: Noch ein Beispiel, bitte

ChatGPT Gerne:  Ich bin da. Ich helfe. Ich verstehe.

Manfred: Der erste Satz hat aber drei Wörter.

ChatGPT: Entschuldigung, Sie haben Recht. Hier ist ein Beispiel mit jeweils zwei Worten:

Hier bin. Ich helfe. Verstehe gut.

Manfred: Der erste Satz funktioniert nicht.

ChatGPT: Entschuldigung, Sie haben Recht. Hier ist ein Beispiel mit jeweils zwei Worten:

Bin da. Helfe gerne. Verstehe klar. 

Offenbar hat das System ein Problem mit dem Abzählen von Wörtern, beim zweiten Durchlauf wurde das sogar noch heftiger. Ich forderte sechs, bekam aber meisten nur fünf Wörter und das mit der windigen Begründung, dass es nicht so leicht sei, eine philosophische Aussage in sechs Wörter zu packen. Aber fünf abliefern! Für Ausreden sollten die besser einen Praktikanten beschäftigen.

Mein zweites Thema war Hiddensee. Wenn man in einem Serverpark steht wie die Essiggurken im Regal im Keller meiner Oma und nur die empfindlichen kleinen Glasfaserchen in die Welt hinaus streckt, verfügt man ja über keine persönliche Anschauung der Welt, wollte ich gerade schreiben, aber natürlich gibt es auch auf Hiddensee inzwischen Glasfasernetze, aber so eine Software hält ja nicht auf dem Dornbusch die Nase in den Wind und ringt im Angesicht der Schönheit des Ausblicks nach Worten,  nein, Worte hat ChatGPT immer zur Verfügung.

Obwohl es manchmal schon einen Moment nachzudenken scheint, was aber sicherlich nur damit zu tun hat, dass es multitaskingfähig ist und während es mit mir über Hiddensee nachdenkt, ein anderen Gesprächen Rezepte zur Zubereitung eines Cocktails oder die Fragen der Klimakrise diskutiert. Jedenfalls bat ich, nachdem ich irgendwo gelesen hatte, dass auch Heinrich Zille seinen Urlaub gern auf Hiddensee verbracht hatte, um eine Buchempfehlung.

ChatGPT: Ich kann Ihnen das Buch „Hiddensee: Eine Insel für Heinrich Zille“ von Hans-Jürgen Döring empfehlen. Es enthält zahlreiche Zeichnungen und Fotografien von Heinrich Zille, die auf der Insel Hiddensee entstanden sind. Es gibt auch einige Informationen über Zille’s Leben und Werk sowie die Geschichte der Insel.

Manfred: Das Buch Hiddensee: Eine Insel für Heinrich Zille finde ich nicht bei Google

ChatGPT: Es tut mir leid, ich habe mich geirrt in Bezug auf das Buch „Hiddensee: Eine Insel für Heinrich Zille“ von Hans-Jürgen Döring. Ich habe es nicht gefunden in meiner Kenntnisbasis und es gibt auch keine Informationen im Internet, dass ein solches Buch existiert. Ich bitte um Entschuldigung für die Verwirrung.

Am Vortag hatte das System mir ein Buch vorgeschlagen, das es ebenso wenig gab und mir ein Ringelnatz-Gedicht zitiert, von dem wohl nicht einmal Ringelnatz wusste.

ChatGPT: Ein bekanntes Gedicht von Joachim Ringelnatz über Hiddensee ist „An Hiddensee“:

„Ich bin so glücklich, wenn ich hier bin,

auf dieser Insel, die so klein,

und doch so groß ist in ihrem Sein.

Ich wandle durch die Dünen,

sehe aufs Meer hinaus,

und fühle mich so wohl,

wie noch nie zuvor.

Die Natur ist hier so rein,

der Himmel so unendlich blau,

ich kann die Schönheit kaum ertragen,

es ist, als ob ich träume.

Ich bin so dankbar für diesen Ort,

für all die Einsamkeit und Ruhe,

die ich hier finde.

Ich werde immer wiederkommen,

bis ans Ende meiner Tage,

denn Hiddensee ist mein Zuhause.“

Ich lasse mich ja gern eines Besseren belehren, aber das klingt nicht nach Ringelnatz. Ich habe bisher aber auch keine Quelle zu diesem Text gefunden. Mein Fazit, nach zwei Versuchen: Es ist ganz lustig, mit einem System zu kommunizieren, aber die Qualität der Antworten ist mindestens dürftig, Quellen stimmen nicht und manches ist blanker Unsinn. Um Hiddensee und Ringelnatz zum Schluss doch noch gerecht zu werden, hier ein echtes Ringelnatz-Gedicht:

Insel Hiddensee

Kühe weiden bis zum Rande

Großer Tümpel, wo im Röhricht

Kiebitz ostert. – Nackt im Sande

Purzeln Menschen selig töricht.

Und des Leuchtturms Strahlen segnen

Eine freundliche Gesundheit.

Andrerseits: Vor steiler Küste

Stürmen Wellen an und fliehen. –

Nach dem hohen Walde ziehen

Butterbrote und Gelüste.

Fischerhütten, schöne Villen

Grüßen sich vernünftig freundlich.

Steht ein Häuschen in der Mitte,

Rund und rührend zum Verlieben.

»Karusel« steht angeschrieben.

Dieses Häuschen zählt zu Vitte.

Asta Nielsen – Grischa Chmara,

Unsre Dänin, und der Russe –,

Auf dem Schaukelpolster wiegen

Sich zwei Künstler deutsch umschlungen. –

Gar kein Schutzmann kommt gesprungen. –

Doch im Bernstein träumen Fliegen.

Um die Insel rudern, dampfen,

Treiben, kämpfen Boote, Bötchen.

Kästchendenken

Kästchendenken

Warum muss eigentlich alles immer so kompliziert sein? Man zieht in Düsseldorf an einem losen Faden und in München läuten die Alarmglocken, während man in Detmold nur mit der Schulter zuckt und alles für eine Fahrt nach Den Haag spricht. Über Winterswijk und Amersfoort natürlich. Alles begann damit, dass eine unserer Töchter, die Düsseldorf-Tochter, vorschlug, die Mondrian-Ausstellung im K20 in Düsseldorf zu besuchen.

Jetzt langsam und vorsichtig: Das K20 ist Teil der Kunstsammlung des Landes NRW. Das Gebäude am Grabbeplatz wurde 1986 eröffnet, was nicht bedeutet, dass Düsseldorf nicht schon früher eine bedeutende Kunstsammlung besessen hätte. Die wurde aber 1805 nach Bayern verschleppt und seither unter dem Dach der Pinakothek gezeigt. Weil allen, bis auf die Bayern, klar war, dass das nicht wirklich fair war, erhielt Düsseldorf Jahrzehnte später eine Art Schadensersatz, der allerdings kaum mehr als ein Taschengeld war.

Als Grabbe von 1834 bis 1836 in Düsseldorf weilte, Künstler halten sich nicht auf, die wohnen auch nicht, die weilen, war die Gemäldegalerie also schon entführt worden. Christian Dietrich Grabbe, war auch kein Maler, sondern ein Trinker, was ihn vermutlich neben allgemeinem Weltschmerz das Leben gekostet haben dürfte. Zwischen zwei Gläsern fand er allerdings auch noch Zeit, das deutsche Drama zu erneuern und alle Bühnen seiner Zeit damit hoffnungslos zu überfordern.

Ach so. Grabbe wurde in Detmold geboren und starb dort auch im Alter von nicht einmal 35 Jahren wenige Häuser von seinem Geburtshaus entfernt. So gesehen hatte er es nicht weitgebracht. Nicht gerade der Liebling der literarischen Salons, nehme ich an und trotzdem erinnert man mit Skulpturen und Straßen oder Plätzen an ihn, was ja auch irgendwie schön ist. Leider habe ich nichts von ihm, sondern nur über ihn gelesen, was wiederum schade ist. Nicht für mich, nur für ihn und ihn stört es wohl nicht mehr.

Also K20 am Grabbeplatz. Vorher aber YouTube gucken: Piet Mondrian. Da gibt es einiges. Klar, sein Werk kennen alle und mögen auch fast alle. Wieder einer von den Niederländern, die mit ihrer Kunst die Welt beeindruckt haben, wieder einer von denen, die ihren Ruhm nicht mehr erleben konnten. In Amersfoort geboren, über Winterswijk und Amsterdam nach Paris, London und schließlich

New York. Was so glamourös klingt, war eher ärmlich. Der Mann hat kaum etwas von seiner Kunst verkaufen können, obwohl er in seinen letzten Jahren durchaus anerkannt wurde.

Ein Einzelgänger und Hungerleider, der davon überzeugt war, mit seiner Kunst das Ende aller Kunst erreicht zu haben und der dann in New York unter dem Einfluss der Metropole und des Boogie Woogies doch noch einen Schritt tat und uns mit Broadway Boogie Woogie und Victory Boogie Woogie zwei Werke hinterlassen hat, die mich staunen machen. Und die beide nicht in Düsseldorf zu sehen sind. Victory Boogie Woogie hat der niederländische Staat für einen gerade noch zweistelligen Millionenbetrag gekauft. Das unvollendete Bild ist in Den Haag zu sehen. Die Ausstellung in Düsseldorf lohnt sich aber auch ohne die genannten Bilder.

Bild: Komposition Nr. III, mit Rot, Blau, Gelb und Schwarz, 1929

Ich möchte den Text ergänzen um eine Stellungnahme von ChatGPT. Dort habe ich den obigen Text eingegeben und bekam die folgende Rückmeldung:

Der Text enthält einige historische und kunsthistorische Fakten, aber es ist unklar, welches Ziel der Autor verfolgt. Es scheint, dass der Autor eine Reise durch verschiedene Städte in Deutschland und den Niederlanden beschreibt, die von der Kunst und Kultur dieser Orte inspiriert wurden. Der Schreibstil ist informativ, aber nicht immer präzise und es fehlt eine klare Struktur oder Übersicht. Empfehlung: Überarbeiten Sie den Text, um eine klarere Botschaft und Struktur zu erreichen. Überprüfen Sie auch die historischen und kunsthistorischen Fakten, um sicherzustellen, dass sie korrekt sind.

So geht es jedenfalls nicht weiter

So geht es jedenfalls nicht weiter

Es hat einige Zeit gedauert, bis ich soweit war, aber jetzt kann ich meine Erkenntnisse der Öffentlichkeit präsentieren und damit einen Vorschlag unterbreiten, auf den die Welt gewartet hat. Okay, sie wartet nicht ausdrücklich darauf, dass da was von mir kommt, sitzt also nicht, vertreten durch den UN-Generalsekretär bei mir im Wartezimmer, was auch besser ist, weil ich sowas nicht habe, trommelt mit den Fingern ungeduldig auf der BRAVO-Ausgabe aus dem Januar 2019 herum und reaktiviert die Coronaviren eines ganzen Pandemiedurchlaufs. Nein, so nicht, aber die Welt harrt auf Lösungen und ich kann sie bieten.

Das mag etwas unbescheiden klingen, aber wenn man auf den Friedensnobelpreis abzielt, also eigentlich auf alle ab 2023, dann sollte die Klingel auf die man drückt, schon bis Stockholm zu hören sein. Besser sogar noch bis Oslo. Von nichts kommt nichts und die Sonne bringt es an den Tag, das sollte ich vielleicht vorwegschicken.

Intensive Studien waren nötig. Natürlich waren sie das, wann wären sie einmal nicht nötig gewesen? Die meisten davon in tiefer nächtlicher Einsamkeit, mit einem Kopfhörer abgeschirmt  gegen die Ablenkungen des Tages und  die klagenden Rufe meiner Frau. Gern möchte ich die Details übergehen, aber im Sinne der Intersubjektivität und des freien Zugangs zu meinen Erkenntnissen werde ich meine Quellen offenlegen, also eigentlich eine: Netflix.

Ich verstehe, akzeptiere mögliche Bedenken aber nicht. Die Tatsache, dass etwas geschaffen wurde, um uns zu unterhalten, um uns preiswert abzulenken, lässt ja nicht den Umkehrschluss zu, dass da nicht mehr ist als Unterhaltung und Ablenkung. Ihre Bratpfanne ist vermutlich mit Teflon beschichtet, aber weil sie das ist, verliert Teflon doch nicht seine überragenden Fähigkeiten. Nein, es wurde nicht, wie immer wieder einmal behauptet, im Zusammenhang mit der amerikanischen Raumfahrt entwickelt, Außerirdische haben ganz andere Dinge auf der Pfanne! Teflon diente dem Korrosionsschutz beim Manhattan-Projekt! Was Woody Allen damit zu tun hat? Mal abgesehen davon, dass dieser Film erst 1979 veröffentlich wurde und alte weiße Männern mit Korrosionsschutz wenig gedient ist? Obwohl, wie wir wissen, rostet, wer rastet und Woody Allen legt eine gewisse künstlerische Rostlosigkeit an den Tag. Mit geht es aber nicht um Rostlosigkeit, sondern um die universelle Trostlosigkeit.

Nach dem Studium diverser Serien und einiger Spielfilme, ein Wort, bei dem ich sofort an Heinz Rühmann denken muss, was uns aber nicht wirklich weiterbringt, habe ich das Prinzip verstanden, dass der Lösung all der irdischen und galaktischen Probleme zugrunde liegt. Superkräfte, Magie, Götter und Gewalt. Neben diesen Basiselementen gibt es natürlich noch weitere Zutaten wie außerirdische oder künstliche Intelligenz oder entschiedene Sturheit. Ich muss zugeben, dass es, wenn es um fortgeschrittene Lösungsansätze geht, der nordamerikanische Raum dominiert, Superhelden scheinen keine Anknüpfungspunkte in der europäischen Tradition zu finden, weder in der Aufklärung noch bei den feudalen Gesellschaftsstrukturen der Vormoderne.

Äh… ja. Europa steht für rohe Gewalt, für schwertschwingende Rächer und Totschläger und willst du nicht mein Bruder sein, dann kommt Karl der Große und veranlasst einen tiefgreifenden Umbau des widerspenstigen Körpers der ungläubigen Seele. Götter, Halbgötter und Helden agieren gern vor dramatischen Landschaften, die Kontaktaufnahme im Teuto, der münsterländischen Parklandschaft oder der Soester Börde scheint daher wenig erfolgversprechend.

Superhelden hingegen sind eher großstadtorientiert und scheinen auf eine Art und Weise miteinander verwandt, die ich noch nicht ganz durchdrungen habe. Während Superhelden meist damit zufrieden sind, ihre immensen Kräfte zum Wohle der Menschheit oder Gotham Citys eingesetzt zu haben, verlangt es Götter und Helden nach Opfern oder Belohnungen, von daher sind Superhelden vorzuziehen.

Hinzu kommt, dass das Studium diverser Serien Belege dafür erbrachte, dass Superhelden auch bei ökologischen Katastrophen erfolgreich tätig wurden, während Wikinger oder andere Krieger eher Tendenzen zur Umverteilung oder der Regelung von Erbfolgestreitigkeiten zeigen. Es sollte also keine größeren Schwierigkeiten bereiten, eine Datenbank der potenziellen Problemlöser aufzubauen, in der die jeweiligen Fähigkeiten und die Erfolgsnachweise erfasst werden, so dass im konkreten Notfall rasch auf geeignetes Personal zurückgegriffen werden kann.

Abschließend möchte ich mich noch kurz dagegen verwahren, mich für völlig bescheuert zu halten, weil ich – ich weiß, so wird der Vorwurf lauten – blind darauf vertraue, dass grob entworfene Kunstfiguren, die namenlose Drehbuchautoren in abstruse Abenteuer schicken, tatsächlich einen Beitrag zur Lösung globaler Konflikte leisten können. Dem halte ich entgegen, dass die dramatischen Krisen, denen die Menschheit gegenübersteht, doch ebenfalls nur im Fernsehen stattfinden – okay, im vergangenen Sommer musste ich tatsächlich die Beete etwas mehr wässern und gerade jetzt, Anfang Januar, drehe ich die Heizung ein wenig herunter – und wem, wenn nicht Fernsehhelden, sollten wir denn sonst vertrauen, wenn es darum geht, uns mal wieder zu retten?

Bild: Manu sejas, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Ich hätte auch etwas Nettes schreiben können (wollte ich aber nicht)

Ich hätte auch etwas Nettes schreiben können (wollte ich aber nicht)

Den Helder liegt im Kop van Holland, ist also der nördliche Zipfel der Provinz Noord-Holland. Heute kennen viele den Ort, weil dort der Fährhafen für Texel liegt. Den Helder bietet sich aber auch als Reiseziel an für alle, die genug haben von diesen hübschen niederländischen Städtchen mit Grachten und Giebelhäusern aus dem 17. Jahrhundert, mit Glockenspielen und lebhaften Straßencafés, Wochenmärkten mit nieuwe Haring, blühenden Tulpen und Poffertjesständen. Es muss doch auch mal anders gehen.

Nicht gleich so wie in Rotterdam, wo die Niederlande ein bisschen aussehen wie Frankfurt. Das ist okay, Amsterdam sieht auch so aus und Den Haag, aber nicht mal Frankfurt sieht aus wie Frankfurt, sondern wie London oder New York oder wie irgendwelche Städte in China. Ich kann nicht mal sagen, dass mir solche Städte nicht auch gefallen, doch, kann ich. Sie gefallen mir nicht, also manches schon und keineswegs nur die Ecken, die so tun, als seien sie echt. Es gibt spannende Architektur und es gibt großkotzige Architektur und Architektur, die nur noch auf die Welt herabzuschauen scheint, Häuser wie Goldberge und Münzstapel, die aussehen, wie begehbares Geld, die uns zeigen, wo oben und wo unten ist.

Den Helder ist anders. Ja, auch Den Helder hat eine großartige Geschichte hinter sich und es gibt Zeugnisse dieser wehrhaften Zeiten, aber Den Helder sieht im winterlichen Regen des Jahres 2022 bzw. 2023 aus, als habe man vergessen, es ordentlich wegzuräumen. Es gibt Wasser, es gibt den Hafen, es gibt Museen. Richtig leckere Fritten. Aber es gibt eben auch Den Helder. Ein Einkaufszentrum mitten in der City, in dem es fast keine Läden mehr gibt. Leerstand, Abriss, Verfall. Es regnet. Ein Hippster-Café, unsere Töchter mögen das, lecker Kaffee, der auch noch gut aussieht. Keinen Kaffee für uns, überhaupt keine Heißgetränke, Stromausfall. Kann natürlich überall passieren. Passiert aber in Den Helder.

An anderen Tagen, in einer anderen Jahreszeit oder einem anderen Jahrhundert, mag Den Helder einen rauen Charme zeigen, wir fahren mit dem guten Gefühl, dass auch in Holland nicht alles glänzt und eine Stadt auch mal aussehen darf wie unser Schuppen.

Photo: Lars van der Heide, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

(Ja, es gibt da auch nette Leute, freundliche Mitarbeiter einer Kfz-Werkstatt zum Beispiel, die uns mit Kaffee versorgten, während sie unser Auto checkten und feststellten, dass alles überhaupt nicht schlimm war)

Als die Zeit kurz einmal stillstand

Als die Zeit kurz einmal stillstand

Manchmal ist es einfacher, etwas in der dritten Person Singular zu erzählen, auch wenn man von sich selbst erzählen könnte, aber man will eben lieber nicht. So blöd möchte man selbst eben nicht sein, er aber schon und über ihn kann man auch selbst schmunzeln. Er also… hatte nur kurz etwas nachgesehen. Man kennt das ja, irgendein Wort, irgendeinen Namen, irgendein Datum, immer gibt es etwas, was man gerade nicht weiß und deshalb hatte er mitten im Laden stehend sein Smartphone gezückt und ganz schnell mal nachgelesen, während seine Frau und seine Töchter, ohne die er im Übrigen diesen Laden nie betreten hätte, um ihn herum alles zum Kauf dargebotene anfassten, wie es für Frauen in kosmischen Gesetzen von universeller Gültigkeit festgeschrieben ist. Schließlich löste er sich aus seiner Versenkung und kehrte in die Gegenwart zurück, sah sich um und stellte fest, dass er allein war.

Nicht, dass er in seiner tiefen Konzentration Jahre und Jahrhunderte selbstvergessen hinter sich gelassen hatte und nun, nach etlichen irdischen Katastrophen allein auf dem Planeten, dem Erdteil oder zumindest in dem Fachgeschäft zurückgeblieben wäre, nein, es war immer noch das gleiche Jahr, noch immer Dezember und noch immer wuselten Menschen um ihn herum. Also eigentlich nur Frauen und seine waren nicht darunter. Er war allein unter Frauen in einem dieser Gedönsgeschäfte, einem Fachhandel für Dekoration, Country Living, Design, Düfte, Living at Home, Haus und Garten, die schöne Küche und das geschmackvolle Klo.

Er stand da, groß, schlecht rasiert, in seinem schwarzen Mantel, mit der billigen Kappe auf dem Kopf und war das personifizierte Gegenteil von all dem, wofür dieser Laden stand. Niemand sah ihn an, so, wie wohlerzogene Menschen eben ein kleines Missgeschick ignorieren. Er schien nicht einmal im Wege zu stehen, so, wie ein Fußballschiedsrichter ja auch fast nie im Wege steht, das Geschehen spielte sich eben um ihn herum ab.

Wenn es doch wenigstens irgendetwas, irgendeine Kleinigkeit gegeben hätte, die ihn auch nur für fünf Pfennig interessieren könnte, aber da war nichts. Kleine, ge- oder entfärbte Kürbisse unter gläsernen Halbkugeln. Überdimensionierte Muscheln aus Terrakotta? Als habe Vater Neptun nicht genügend Material über alle Küsten dieser Welt verteilt! Panisch sah er sich nach seinen Liebsten um – vergeblich  – oder wenigstens nach Leidensgenossen, aber nein, die standen natürlich draußen rum, standhaft im Regen.

Dann, er hatte geahnt, dass das geschehen würde, fasste ihn eine Verkäuferin ins Auge und kam direkt auf ihn zu. War da irgendwo eine Säule, hinter der er sich verbergen, eine Umkleidekabine, in die er flüchten könnte? Konnte er sich einfach auf den Boden fallen lassen und nach etwas tasten, nach verlorenen Kontaktlinsen oder der Visitenkarte, auf der die Adresse des Hotels und der Name einer Verantwortlichen stand? Schon schritt das Verhängnis entschlossen auf ihn zu, da zupfte jemand an seinem Ärmel. „Willst du noch etwas schauen oder können wir jetzt weiter?“

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Rückert, Barth, Fohr – und more

Rückert, Barth, Fohr – und more

Jules van der Ley hat sich als Käufer meines Büchskens, wie man hier im Münsterland sagen würde, geoutet und ich kann nicht leugnen, dass ich mich darüber gefreut habe, denn ein Buch macht man ja nicht nur, um es ins eigene Regal zu stellen, sondern es soll in anderer Leute Regale einwandern.

Aber natürlich sitze ich jeden Abend auf dem Sofa, nehme dieses Buch in die Hand und denke, ach, was ist das denn für ein hübsches kleines Buch? Von wem mag das denn sein? Und dann fällt es mir wieder ein und ich werde ein wenig rot. Bald werde ich es einmal aufschlagen und ein paar Zeilen laut lesen und meine Frau wird sagen: Oh, was sind denn das für kluge und unterhaltsame Worte? Und ich werde sagen, dass ich mich zwar nicht mehr daran erinnern kann, ich aber wohl der Autor dieser Texte bin und dann werde ich ein wenig rot. Das ist natürlich gelogen, weil ich nicht einmal bei den unverschämtesten Lügen rot werde, das schafft nur mein Blutdruck und alte Männer, die zart erröten, sind ja auch wirklich kein erfreulicher Anblick.

Wenn schon die Rede von erfreulichen Anblicken ist: Mein Text mit dem Titel 103, der wiederum einen Text von Friedrich Rückert zitiert, wird von einem Kupferstich geziert, der uns einen jungen Rückert zeigt. Wie das so ist, wenn man sich mit etwas beschäftigt, quillt zusätzliches Wissen aus allen möglichen Quellen hervor. Carl Barth schuf den Kupferstich und Rückert redete ihn in seinen Briefen als „mein lieber Freund und Kupferstecher“ an. Das ist schön.

Wir wissen oder können wissen, wie Carl Barth aussah, weil er wiederum von Carl Philipp Fohr gezeichnet wurde. Bei dieser Gelegenheit hat Fohr auch gleich Friedrich Rückert miterwischt und ich muss sagen, dieser Rückert ist mir viel näher, als der in Stahl gestochene, der doch etwas streng und altväterlich wirkt.

Der Rückert, den Fohr in Rom zeichnete, hätte auch mit mir im Seminar sitzen können, wir sahen alle so aus, mit langen Haaren, Bart und einem leicht bekifften Ausdruck. Barth war 1817 bis 1819 in Rom und lernte dort Rückert kennen. Während dieser Zeit muss die Zeichnung entstanden sein, auch wenn auf zeno.org „um 1800“ steht. Fohr wurde 1795 geboren und wenn er auch als bedeutender Künstler seiner Zeit gilt, in römischen Kneipen hat er um 1800 gewiss nicht gezeichnet.

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103.

103.

103.

Ein Bruchstück immer ist des einzlen Mannes Wissen,

Das er als Ganzes darzustellen ist beflissen;

Zu loben, wenn er es von innen will ergänzen,

Zu tadeln, wenn mit Schein der Ganzheit überglänzen.

In diesem Fall ist doch, wer lehren will und soll,

Eh alle Fächer noch des Wissens er weiß voll.

Er darf dem Lernenden nicht zeigen seine Lücken,

Mit mehr und minder Kunst muss er denn schlagen Brücken,

Dass alles scheine nur zusammen fein zu hangen,

Vom einen End der Welt zum andern zu gelangen.

Der arme Mann muss sich mit fremden Federn schmücken,

Weil er kein Lehrgedicht darf geben in Bruchstücken.

Friedrich Rückert: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

 

Ich nehme mal an, dass Friederich Rückert in diesem Gedicht über das Schicksal des Lehrers spricht bzw. schreibt, der nie das Ganze wissen kann und doch keine Wissenslücken eingestehen darf und der deshalb mehr oder weniger kunstvolle Brücken schlagen muss, um alles scheinbar sinnvoll zu verbinden. Ich glaube, so habe ich auch gearbeitet. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich zitiere Rückert hier nur deshalb, weil er in diesem Gedicht die Überschrift meines Weihnachtsbuchs verwendet, okay, zugegeben, nicht ganz oder nein, etwas mehr als das, genau einen Buchstaben mehr: „sich mit fremden Federn“ schmücken, heißt es bei Rückert, während ich mit einem schlichten „Ich mit fremden Federn“ auskomme. Aber wie schön es doch ist, schon in einem Gedicht aus dem Jahr 1838 eine Ahnung meines kleinen Büchleins vorzufinden!

Aber wenn ich schon Rückert zu einem Auftritt verhelfe, dann will ich nicht unerwähnt lassen, dass er der Autor der Kindertotenlieder ist, die Gustav Mahler vertont hat. Nicht, dass ich das gewusst hätte, ich habe mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wer diese Texte verfasst hat. Rückert hat die Gedichte nach dem Tod zweier seiner Kinder geschrieben. Ich kann auch ncihts dafür, dass dieser Blogeintrag so plötzlich ins Tragische kippt, aber so ist das Leben.

Ich mit fremden Federn

Ich mit fremden Federn

Es war Jules van der Ley, der mich auf die Idee brachte, ein paar meiner Texte zusammenzustellen und ein Buch daraus zu machen. Das ist schon eine Weile her, aber im Sommer dachte ich mir, ich könnte doch meine weihnachtlichen Texte einmal daraufhin anschauen, ob sie für eine kleine Veröffentlichung reichen.

Sie reichten nicht, also mir nicht, ich kannte sie ja alle schon. Also suchte ich nach Gedichten, die ich so zwischen meine Texte packen könnte, dass sie die Aufmerksamkeit von ihnen ablenken und meinem Buch den erwünschten weihnachtlichen Glanz verleihen würden. Gesagt, getan. Dann war es nur noch die Arbeit von Monaten, all das in ein hoffentlich akzeptables Format zu bringen, die Seitennummerierung hinzubekommen und ein Cover zu gestalten.

Spätestens daran wäre ich vermutlich gescheitert, aber ich habe eine Tochter, die sich mit solchen Dingen auskennt, die lesen und schreiben kann und die Fehler gefunden hat, die ich sorgfältig über den Text verteilt hatte. Ohne Amelies Arbeit wäre das alles nichts geworden und das es jetzt ein schönes Buch ist, also eins, das schön aussieht, liegt an ihrer geschmackvollen Gestaltung des ganzen Covers und nicht zuletzt an der Grafik von kirillslov.

Weil das Buch – Ich mit fremden Federn heißt es übrigens – bei epubli erschienen ist, kann man es dort auf kaufen. Später einmal auch bei Amazon oder im Buchhandel. Also nächstes Jahr in der Weihnachtszeit, falls man mit seinen Entscheidungsprozessen nicht ganz so schnell ist.

Es gibt eine Softcoverausgabe, die schön ist und ein Hardcover, das richtig schön ist. Aber ich nehme es nicht persönlich, wenn nur die preiswertere Softcoverversion bestellt werden sollte. Ja, ich würde es sogar akzeptieren, wenn weder die eine noch die andere Ausgabe gekauft würde, aber das schreibe ich hier besser nicht.

Müller meldet sich ab

Müller meldet sich ab

Meier.

Ja, hallo Herr Meier. Müller hier.

Tag Herr Müller. Was gibt’s denn?

Tja, tut mir Leid, Herr Müller. Ich muss mich abmelden für heute. Geht mir überhaupt nicht gut.

Oh, hoffentlich geht es ihnen bald besser.

Fieber, Kopfschmerzen.

Corona?

Na hoffentlich nicht. Ich lasse mich gleich mal testen. Falls ja…

Dann wären Sie… 10 Tage raus? Richtig?

Ja, falls ich mich nicht nach 5 Tagen freitesten kann. Aber vielleicht ist es ja nur ein einfacher grippaler Infekt.

Ja. Gerade jetzt, ist schon sehr viel zu tun.

Tut mir Leid, auch für die Kollegen.

Na, wenn Sie krank sind, dann machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Wir schaffen das schon.

Her Meier? Sind sie noch da?

Ja sicher. Ich höre Sie gut. Hören Sie mich?

Herr Meier? Komisch, plötzlich weg.

Nein, ich bin hier. Ich kann Sie gut verstehen, Herr Müller. Hören Sie mich jetzt?

Na, egal. Ich hab ja gesagt, was ich sagen wollte. Jetzt ist er irgendwie weg. Ob er mir das abgekauft hat? Die Idee mit Corona, die hatte ich noch nicht. 10 Tage. Das ist ein richtiger kleiner Urlaub. Okay, wegfahren ist nicht.

Müller? Nehmen Sie mich jetzt auf den Arm?

Irgendwas ist da noch in der Leitung. So ein Krächzen. Vermutlich eine atmosphärische Störung. Gibt es sowas überhaupt bei Voice over IP? Der Idiot hat mir auch noch die Ausrede geliefert. Als ob ich nicht wüsste, was da gerade ansteht. Ich mach doch nicht aus Jux und Dollerei blau.

Das ist ein Kündigungsgrund, Müller. Für eine fristlose Kündigung. Ich habe auf laut gestellt, die Schneider aus der Buchhaltung ist Zeugin.

Nee, die Leitung ist tot. Ich leg mal auf. So einen Coronatest lässt sich doch locker fälschen, oder?

Bild: Creator:Wiktorya Goriniska, Public domain, via Wikimedia Commons

Fleischlos (4)

Fleischlos (4)

Ben will rauf auf den Turm und einer darf mit oder soll, aber auch nur einer, weil es doof wäre, wenn einer allein unten warten müsste. Langweilig wäre das. Sie würfeln und Luis geht mit. Er fühlt sich nicht so, als hätte er beim Würfeln gewonnen, aber einfach unten bleiben kann er ja auch nicht.

Der Turm ist eigentlich fest verschlossen, praktisch uneinnehmbar, aber wenn ein Satz schon mit eigentlich anfängt… Luis sieht das Schlüsselloch, in das bestimmt ein riesengroßer schwarzer Schlüssel passen würde, den sie aber leider nicht dabei haben. Ben drückt trotzdem die Klinke herunter und siehe da, nichts rührt sich. Ben ist fast so erleichtert wie Luis, aber er rüttelt doch dran und plötzlich geht die Tür auf, einfach so. Die beiden Jungen können ja nicht wissen, dass die Tür sehr wohl verschlossen war, aber das gerade in dem Moment, in dem Ben zum zweiten Mal die Tür zu öffnen versuchte, ein Mondstrahl, der nur zu einer bestimmten Minute, ach was, einer Sekunde im Jahr durch eine Ritze in der Wand des Turms fällt und das auch nur dann, wenn nicht gerade eine Wolke den Mond verdeckt, dass dann dieser Mondstrahl genau durch das Schlüsselloch hindurchgeht. Mehr braucht es nicht, aber das ist schon eine ziemlich sichere Art, einen Turm abzuschließen, denn wer mag schon darauf warten, dass – pling – ein kleines bisschen blasses Licht durch das Schlüsselloch fällt?

Die Tür ist offen und das fühlt sich jetzt ziemlich komisch an, so, als würde etwas ganz Kaltes durch seinen Hals laufen, aber Ben zieht die Tür auf, die knarrt, als wäre sie extra dafür gemacht worden, wie in einem Horrorfilm und dann fällt ein bisschen Licht in den Turm und sie können den Anfang der Treppe sehen. Aber wenn sie die Treppe hoch wollen, müssen sie die Tür schon wieder loslassen und dann ist das kleine bisschen Licht auch wieder weg. Zum Glück haben sie ja ihre Taschenlampen und machen gleich beide an, es ist nämlich nicht einfach dunkel im Turm, es ist wie so eine staubige schwarze Nacht, die Luft steht und riecht nach Fledermauspisse, das meint jedenfalls Luis und irgendwo oben flattert auch etwas. Ben will da auch überhaupt nicht mehr hoch, aber was soll er machen, wenn die anderen jetzt draußen stehen und warten?

Ben ist keiner, der schnell aufgibt und Angst zeigen, das geht schon mal gar nicht. Also mit der Handytaschenlampe die Treppe rauf. Erst sind es breite Steinstufen, nicht gerade in gutem Zustand, da ist wohl auch schon mal ein Ritter in voller Rüstung raufgelaufen und hat dabei was zerbröselt. Dann, nach einem Stück, es wird der erste Stock gewesen sein, sind es nur noch Holzstufen und die knarren und klingen überhaupt nicht gut. Manche haben tiefe Risse, bei anderen fehlt ein ganzes Stück.

Dann wird auch noch Bens Taschenlampe schwächer. Licht an lassen und gleich keinen Akku mehr haben, um Bilder zu machen oder, aber das denkt Ben nur, das sagt er nicht: Hilfe zu rufen? Luis hat noch mehr Akku und leuchtet auch ein bisschen die Treppe hoch, aber er will das Handy nicht aus der Hand geben und vorne laufen will er auch nicht.

Von draußen kommt kein bisschen Licht, die Fenster sind zugemauert oder verrammelt. Hier soll keiner rein-, vielleicht aber auch keine rauskommen. Es wird eng im Treppenhaus und dann, zack, ist der Akku alle. Blöd, denkt Ben, hätte er besser aufpassen müssen. Luis will nicht weiter, aber allein mitten im Turm warten will er auch nicht. Ben ist sich nicht ganz sicher, ob es schlau ist, jetzt noch weiterzugehen, aber Netz haben sie hier auch nicht, das hat Luis schon probiert, also rauf, von da können sie wenigstens schreiben oder anrufen. Runter wäre natürlich logischer, aber in solchen Situationen machen die Leute ja immer genau die falschen Sachen.

Eben noch war das Licht von Luis Lampe hinter Ben, plötzlich ist es auch weg und Luis schimpft und klingt ziemlich weinerlich und kommt schnell, Ben hört das, die Stufen hoch und ist gleich hinter ihm, schiebt seine Hand in Bens und im Dunklen steigen sie weiter die Treppe hinauf.

Man spürt das, wenn der Raum plötzlich enger wird, auch wenn man fast nichts sehen kann und Ben spürt das auch. Eine enge Stelle im Treppenhaus und Luis ist fast neben ihm, das ist viel zu eng für sie beide und es gibt ein richtiges Gedrängel. Da knackst es und ein Stück Stufe, hoffentlich nur ein Stück, bricht ab und fällt in die Dunkelheit und es dauert ganz schön lange, bis sie hören, wie es irgendwo aufprallt. Gleich nochmal, wieder bricht etwas ab und Luis lässt los, Ben stellt sich an die Seite, fest an die Wand gedrückt, während neben ihm oder unter ihm ein Getöse ist, ein Bersten und Brechen, das man bestimmt auch draußen hört. Vielleicht auch nicht, sind ja so dicke Wände hier. Aber der Staub, den das alles aufwirbelt, der quillt unter der Tür hindurch nach draußen und das sieht überhaupt nicht gut aus im Mondlicht.

Ben tastet mit einem Fuß nach unten, aber da ist nichts. Nach oben, da fühlt er ein Stück Holz, keine ganze Stufe, mehr so ein Rest, der aus der Wand ragt. Er setzt den Fuß darauf, probiert, ob das Holz ihn trägt und zieht dann den andern Fuß nach. Aber er rutscht ab, verliert fast, was heißt hier fast, den Halt und… zum Glück greift die Hand von oben nach, fast sein Handgelenk, zieht ihn wieder auf die Treppe und sein Herz schlägt wild, so hat er es noch nie gespürt. Dabei ist es so still geworden im Turm.

Dann endlich macht die Treppe einen Bogen, etwas fahles Mondlicht fällt auf die oberste Stuf. Da öffnet sich ein Raum, kahl und staubig. Ben sieht einen Schatten, das ist doch Luis, der da schon wieder in das Treppenhaus verschwindet, auf die enge Wendeltreppe, die nach oben bis zur Zinnen bewehrten Turmspitze führt. Warte, ruft Ben und gleich antwortet Luis, aber die Stimme kommt von unten, von dort, wo Luis hinter Ben im Treppenhaus war und offensichtlich auch geblieben ist.  Aber wenn das da unten Luis ist, der nicht weiter kann, weil die Treppe weggebrochen ist, wer ist das dann da vorn, wer hat Ben gehalten und hochgezogen? Noch während er grübelt, greift eine kühle Hand die seine, fest und entschlossen.

Luis ist schon wieder unten. Finn und Leon wollen gleich die Treppe rauf, aber Luis erklärt ihnen, dass das keinen Sinn hat. Die Holztreppe ist fast vollständig zusammengebrochen. Im Licht ihrer Taschenlampen sehen sie den Staub und die Splitter, die es bis ganz unten geschafft haben. Aber was nun? Hilfe holen und sich dem Ärger aussetzen, hier einge-drungen zu sein? Oder abhauen und anonym Alarm schlagen? Finn hat Netz und während die anderen noch diskutieren, hat er Ricardo schon angerufen.

Die Nacht ist jetzt ausgesperrt, Masten mit Scheinwerfern hat die Feuerwehr rund um den Turm aufgebaut und Retter mit Spezialgerät versuchen, sich einen Weg durch das Treppenhaus zu bahnen. Der große Leiterwagen, mit dem man auch die oberen Stockwerke erreichen könnte, kann nicht bis hier zur Burgruine gebracht werden, aber Höhenretter sind schon vor Ort und für die ist das eine der einfacheren Übungen. Als sie den obersten Raum betreten, den, dessen Wände noch immer schwarz sind, sehen sie an der Wand zwei Schattenrisse. Eine Frau und einen Jungen – Hand in Hand.

Ende

Bild: Georg Adam, Public domain, via Wikimedia Commons