Kein schnelles Geld

Kein schnelles Geld

Wenn ich etwas hab, dann Zeit. Nicht gleich morgens, da ist es hektisch. Frühstück, Zeitung lesen, aufräumen, die Mahlzeiten des Tages planen. Verschieben, was sich verschieben lässt, weil es viel zu werden droht und dann los, einkaufen. Mit dem Einkaufszettel. Ich habe es auch mit einem retrograden Einkaufszettel versucht: erst einkaufen, dann aufschreiben. Das führt zu einer hundertprozentigen Übereinstimmung von Plan und Planerfüllung, weil ja nie etwas fehlt. Probleme, wie eine Krise bei der Toilettenpapierproduktion oder im Einkaufswagen vergessene Hefewürfel, treten nie auf, weil, was  nicht gekauft wurde, auch nicht auf die Liste kommt. Leider passte sich unser reales Konsumverhalten nicht der nachträglichen Planung an. Was nicht da ist, fehlt, auch wenn es nicht vergessen, sondern einfach nur nicht gekauft wurde.

Im Supermarkt husche ich zielstrebig durch die Regalreihen. An der Käsetheke drängele ich mich vor, natürlich  unter Verweis auf mein Alter. Wir Rentner dürfen das, weil unsere Zeit knapper als die aller anderen ist. Auf den letzten Metern vor der Kasse überhole ich entschlossen noch jeden und jede, die einen Moment zögern, eine sich vor ihrem Einkaufswagen auftuende Lücke augenblicklich wieder zu schließen.

Noch vor kurzem las ich, dass man sich nicht darauf verlassen soll, welche Schlange vor den Kassen länger scheint. Man kann nämlich mit einer alten Kulturtechnik, dem sogenannten Zählen, feststellen, wie viele Menschen tatsächlich vor einer Kasse warteten. Das klingt genauso überzeugend, wie es falsch ist, denn im Zweifelsfall sollte man nur darauf achten, dass ich nicht vorn in der Reihe stehe, denn, wie gesagt, nun habe ich Zeit.

Ich schiebe mich langsam auf die Kasse zu wie der Eisberg auf das Nordmeer, studiere die Quengelware, betrachte die Abbildungen auf Weiterlesen

Es grünt so grün

Foto: Elfie Voita

Ich habe ja nun mehr Zeit. Oh nein, die Frage ist nicht, wie ich diese Zeit füllen könnte. Da habe ich schon ein paar Ideen. Wenn man im Alter von sechs Jahren eingeschult wurde und bis zum Alter von 66,5 Jahren nur gelegentlich Ferien oder später dann Urlaub bekommen hat, sollten sich ein paar Dinge angesammelt haben, die erledigt werden wollen.

Das Problem besteht eher darin, dass, wenn man theoretisch Zeit haben müsste, bei anderen Menschen Erwartungen entstehen, was in dieser Zeit geschehen könnte. Sollte. Müsste. Muss. Und ja, meine Frau hat Recht. Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich ja auch ein paar Sachen erledigen.

Haushalt und Garten zum Beispiel. Also gehe ich in den Garten, den man sich jetzt nicht als verkappte Landwirtschaft vorstellen darf, mehr eine Grün-, na, doch eher eine Braunfläche, begrenzt durch zwei Hecken rechts und links und einen Graben, den wir der Natur überlassen haben und die uns das dankt, indem sie nun versucht, auch den Rest des Gartens noch zu übernehmen.

Ich widme mich also dem, was wir nicht absichtlich gepflanzt oder gesät haben, manche sprechen von Unkraut, andere von spontaner Vegetation. Mir ist das egal, ich soll es rupfen. Nein, ich habe mir selbst die Aufgabe gestellt.

Nachdem ich schon wieder mal zu viel Zeit vor dem PC verbracht habe, gehe ich also in den Garten. Schon nach kurzer Zeit fällt mir auf, dass ich die angemessene Arbeitsbekleidung vergessen habe. Ich stehe in Schlappen und meiner besten Hose – die zweitbeste wäre die angemessene Arbeitsbekleidung gewesen, die drittbeste ist zurzeit an eine Vogelscheuche verliehen – zwischen jämmerlichen Grasbüscheln und erfreulich kräftigen Unkräutern aller Art. Ich kenne keine einzige Art, erkenne den Unterschied zwischen Gras und Unkraut aber sofort. Intuitiv. Was grün ist kann weg. Außerdem kann jeder Depp zwischen einem Grashalm und… nun, etwas anderem eben unterscheiden. Also ich auch.

Ich rupfe im Stehen, meine Knie erlauben es mir nicht, mich zum Unkraut hinabzulassen. Fast sofort bemerke ich, dass Unkraut sich auf eine unheimliche Art vermehrt. Zielgerichtet schreitet man über die Fläche, rupft, hebt den Kopf und da ist doch gleich wieder eine Pflanze. Dreht sich um und drei andere erheben trotzig den Stängel. Manche scheinen zu wachsen, hervorzuschießen, während man sich wegdreht. Geht das, ist das so vorgesehen in der Bauanweisung von Mutter Natur?

Ich bin zwar längst nicht fertig damit, alles was grün ist auszureißen, aber ich muss schnell wieder an den PC. Meine neuesten Erkenntnisse festhalten.

Ausgezählt

Aus. Vorbei. Das war’s.

Mein letzter Arbeitstag liegt hinter mir. Ein frei gewählter Abschied. Nein, es fällt keine Last von mir ab, meine Arbeit habe ich selten als Mühe empfunden, oft hat sie sogar Spaß gemacht. Dennoch: Es ist gut so. Jetzt will ich tun, was ich tun will, meinen Wecker stellen, weil ich aufstehen will und ein Buch zu Ende lesen, auch wenn es spät wird.

Noch fühlt es sich wie Urlaub an.

Seltsam war es schon, Dinge ein letztes Mal zu tun. Den letzten Eintrag im Klassenbuch vornehmen, das letzte Mal die Tafel putzen, letzte Fotokopien machen. Das letzte Mal den Weg zur Bahnhaltestelle Münster-Zentrum-Nord gehen. Wehmut? Nein. Keine Spur. Ferien für immer. Ach, bei der Gelegenheit habe ich auch gleich das Rauchen aufgegeben. War so geplant. Letzter Arbeitstag, letzte Zigarette.

Ich gehe einkaufen. Nein, das gehört Weiterlesen

Süß

perenoel1875-1

Anfang Dezember. Ein Hochdruckgebiet über Skandinavien beschert uns eine klare, kalte Nacht. Falls man 18 Uhr als Nacht bezeichnen kann. Die Straßenbeleuchtung in der Siedlung reicht gerade aus, damit man nicht gegen die Laternenmasten läuft.  Immerhin kommt die mehr oder weniger aufwändige Weihnachtsbeleuchtung der Nachbarn so besser zur Geltung.

Lange Schlange an der Kasse im Supermarkt. Endlich fast geschafft. Ganz vorn ein Kind, vermutlich im schulpflichtigen Alter. Für uns Rentner sehen die ja alle gleich aus. Ohne Einkaufswagen oder Korb, nur einen Schokoladenweihnachtsmann im Arm. Wenn dem mal nicht zu warm wird, wenn der mal nicht zum Schokoldadenschweißnassmann wird.

Zweineunundneunzig, sagt die Kassiererin. Und guten Abend. Weiterlesen

Vermögensbildung

Oh. Post. Na gut, Mail.

„Finden Sie die Traumfrau und sparen Sie 100 €.“

„Lieber Herr Voita, Sie müssen die Abende nicht mehr alleine verbringen, alleine zum Essen oder zum Sport gehen. Lernen Sie aufregende Frauen kennen, die Ihre Vorlieben teilen – mit Deutschlands Partnervermittlung Nr. 1. Vertrauen Sie auf 100 % echte, handgeprüfte Profile und alle 11 Minuten verliebt sich dort ein Single.“

Den Weg bis zum Sessel, um mir die Vollzeitübertragung der Olympischen Spiele anzuschauen, den Teller mit Bratkartoffeln in der einen, die Flasche Bier in der anderen Hand, den schaffte ich zur Not auch alleine. Da spränge mich unterwegs die Einsamkeit nicht an.

Und Bo Derek? 10. Die Traumfrau? Kann ich bei Amazon für € 2,99 sehen, will ich aber nicht. Kenne ich schon, muss ich nicht noch mal sehen. Aber so meinen die das natürlich auch nicht. Dieses Eheanbahnungsinstitut oder dieser Kontakthof Weiterlesen

Grauzone

Vorhin im Supermarkt. Ich hab nur eine Packung Parmesan in der Hand, zuhause kocht die Pasta schon, steht da plötzlich eine Schlange vor der Kasse. Gut, ich habe schon Schlimmeres gesehen, aber ganz vorn packt eine Frau ihren gut gefüllten Einkaufswagen aus.

Gleich hinter ihr dieser alte Mann, der sich jeweils langsam und mühsam zu seinem Wagen hinab beugt, ein Teil nach dem anderen auf das Förderband wuchtet, sorgfältig, Flasche neben Flasche, Packung auf Packung. Ein zwanghafter Pedant, jemand, der vermutlich zuhause sein Kleingeld stapelt.

Ein untersetzter Graukopf. Eisigel wäre die angemessene Bezeichnung für die Frisur. Rentner. Den ganzen Tag nichts vor, aber in der Stoßzeit, wenn wir Berufstätigen uns nach einem harten Tag mit dem Nötigsten versorgen müssen, dann muss es natürlich sein…

„Sie haben nur ein Teil? Dann gehen Sie doch gern vor.“
„Vielen Dank.“
Sieht doch eigentlich ganz freundlich aus, der ältere Herr. Sicher ein guter Nachbar.