Der ViFa-Belelux-Blog präsentiert den Webtipp: Kurzvorlesungen bei “Universiteit van Nederland”. Wer zufällig… blöde Formulierung, wer lernt eine Sprache schon zufällig? des Niederländischen mächtig sein sollte, der findet im Netz Vorträge zu verschiedenen wissenschaftlichen Themen, die populärwissenschaftlich aufbereitet sind. Ich klicke also rein und sehe, wie Marc van Oostendorp beschwingt ein Podium besteigt… nein, erstürmt, das eher einer Showbühne gleicht. Der Herr Professor verkauft sich auch nicht professoral, sondern mit dem Gestus des Showmasters, des Alleinunterhalters… aber das waren Professoren eigentlich schon immer. Genug gelästert. Marc van Oostendorp ist Dialektologe und beschäftigt sich in seinem Vortrag mit der Frage, ob man auf der Grundlage eines Dialekts einen Menschen präzise verorten kann. Um es kurz zu machen: man kann.
So weit, so gut. Marc von Oostendorp ist nicht nur Dialektologe, er arbeitet am Meertens-Institut in Amsterdam. Ja, genau, dem Institut, an dem auch J.J. Voskuil arbeitete! Der J.J. Voskuil.
Auf 5.200 Seiten hat Voskuil den Alltag des Meertens-Instituts beschrieben. Mitarbeiter dieses sprachwissenschaftlichen / volkskundlichen Instituts schwärmten in den fünfziger Jahren aus, um die lokalen sprachlichen Varianten, die Dialektausdrücke, die in den verschiedenen Gebieten der Niederlande gebräuchlich waren, aufzuzeichnen. Oostendorp zeigt bei seinem Vortrag eines der Tonbandgeräte, die damals mit dem Moped zum Bauern und zur Bäuerin gebracht wurden, um Tondokumente aufzuzeichnen. Voskuil schildert all das, die Eifersüchteleien, die Rangelei um Posten, das mühevolle Kartieren der verschiedenen Ausdrücke für die Nachgeburt der Kuh (oder war es die des Pferdes?).
Voskuil hat – im Unterschied zu Oostendorp – nie promoviert, er lässt sein Alter Ego Maarten Koning sagen: ‘Ik heb de pest aan mensen die een proefschrift schrijven alleen om de titel. Als je wat te vertellen hebt, kun je dat ook wel zonder proefschrift. En ik heb niets te vertellen’.
Das heißt ungefähr: Menschen, die eine Dissertation allein wegen des Titels verfassen, ekeln mich an. Wenn man etwas zu erzählen hat, kann man das auch ohne Dissertation. Und ich habe nichts zu erzählen.“ Und dann erzählt er.
Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel „Das Büro“ ursprünglich bei Beck, die Neuausgabe im Verbrecherverlag. Bis 2017 sollen alle sieben Bände verfügbar sein. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nur den ersten Bank der niederländischen Ausgabe gelesen habe – dafür habe ich aber das Hörspiel gehört – 475 Folgen mit einer Länge von jeweils 14 Minuten. Im ÖPNV. Und ich würde es wieder tun!
Wie sich doch wieder eins ins andere fügt und dafür doch keiner Magie oder höherer Mächte bedarf: Bei Wikipedia schaue ich nach Voskuil und finde einen Artikel von Jan Goossens, dem Hochschullehrer, bei dem ich in Münster Hauptsemiare zu maasländischen Heiligenleben in mittelniederländischer Überlieferung und zur Sankt Servatius Legende absolviert habe. Wie viele Menschen ich doch schon mit der bloßen Nennung dieser Seminare beeindrucken konnte!
Als dit nu eens de zin van het bestaan was:
Het waarnemen van kleine variaties
in steeds hetzelfde stukje van de wereld waar je toevallig woonde.
J.J. Voskuil: Het Bureau 7, blz. 86