Schade, schon vorbei

Schade, schon vorbei

Norddeich – Juist, das sind etwa 8,5 Kilometer Luftlinie, über Wasser allerdings eine Schlangenlinie, horizontale Serpentinen. 90 Minuten Fahrzeit, Fährzeit, je nach Wasserstand. Unten im Schiff, im Souterrain sozusagen: Eine junge Frau schläft langausgestreckt auf einer der Bänke. Ordentlich Wellen diesmal, die Scheiben werden nass. Bullaugen, denke ich, aber die sehen doch anders aus.

Die Fähre ist da. Kutschen warten auf Passagiere. Jetzt nicht die eleganten Berlinen, mehr die Geräte, mit denen Feierwütige über Land gekarrt werden. Handwagen der Hotels, Pensionen und der Vermieter von Ferienwohnungen stehen bereit. Rollkoffer rattern über das Kopfsteinpflaster. Ein Sound der Insel.

Viel Klinker, wie auf dem ostfriesischen Festland. Zweckmäßig. Da ist nichts 500 Jahre alt, 100 vielleicht. Erst die Stürme und das Hochwasser, dann der Tourismus. Man kann mögen, was da steht, man kann es auch hinnehmen, ist eben so. Irgendwas guckt man ja immer. Handwerker auf Fahrrädern mit Anhängern zum Beispiel oder die Straßen: manchmal unbefestigte, zerwühlte Wege die mehr an ungeschickt gepflügte Felder erinnern. So sieht das aus, wenn Kaltblüter liefern, was auf der Insel zu liefern ist: alles.

In der ersten Märzhälfte ist es ruhig. Kalt und ruhig. Bis auf die Koffer und die Pferde. Hufe auf Kopfsteinpflaster. Zwei Kaltblüter vor einem Wagen, manchmal mit einem weiteren Anhänger. Fröhlich klingt das. Klippklapp. In gemächlichem Tempo. Keine Ahnung, was die Pferde davon halten. Fußgänger, ein paar Radfahrer, Möwen, Gänse. Rehe, die am Wegesrand stillstehen und wohl glauben, dass wir sie nicht sehen. Mit dem Glauben funktioniert es ja eigentlich umgekehrt: Man glaubt an etwas, das man nicht sieht.  Naturschutzgebiete. Am Mitte März sind weitere Teile der Insel unzugänglich. Für eine dicke Scheibe Rosinenbrot mit Butter und eine Kanne Tee in der Domäne Bill, fast am westlichen Ende der Insel, ist aber noch Platz.

Wir werden freundlich bedient, überall. Wird Zeit, dass die Touristen wieder kommen, dass Geld verdient wird auf der Insel. Die Ware ist da, die osteuropäischen Kassiererinnen, Kellnerinnen, Verkäuferinnen und ihre männlichen Kollegen haben noch nicht recht zu tun. Eine Verkäuferin telefoniert durch, während sie uns erstmal warten lässt und schließlich abkassiert. Ich könnte mich ärgern. Muss ich aber nicht.

Ladenöffnungszeit: 10:00 Uhr bis 12:30 Uhr. Manchmal noch zwei, drei Stunden am Nachmittag, aber nicht überall. Manches hat noch zu. Manches bleibt zu. Vieles hat so einen sechziger Jahre Charme, eng, vollgestellt, das Textilgeschäft auf dem Dorf halt. Genau das ist es ja eigentlich auch. Nicht jede Insel muss aussehen wie Sylt.

Solange nur der Strand da ist, der lange, breite Sandstrand von Ost bis West, so lang wie die Insel. Wenig Menschen, wenig Hunde, kaum Seevögel. Wind, Wasser, Wellen. Unsere eigenen Fußspuren auf dem Rückweg.

Nichts erinnert daran, wie hart das Leben auf dieser Insel einst war. Doch, der Hammersee, ein Überbleibsel der Petriflut. 1651 zerriss sie die Insel in zwei Teile. 1932 brach dann ein Deich, der diesen Schaden behoben hatte.  Übrig blieb der Hammersee.

Eins noch: Ein neues, ein für mich neues Wort habe ich von Juist mitgebracht: Strandportion. Das war der persönliche Anteil an dem Strandgut, das nach einer Schiffskatastrophe auf Juist angespült wurde. Oder überhaupt angespült wurde. Die ersten Lehrer auf der Insel erhielten neben einem sehr sparsam bemessenen Entgelt eine solche Strandportion.

Die Rückfahrt: Wir sind früh am Fährhaus, haben die ankommende Fähre schon von einer Düne aus gesehen. Ziemlich früh. Rollkoffer auf Klinker. Neue Gäste. Wir haben unsere Koffer schon in die bereitstehenden Gepäckwagen auf dem Platz vor dem Fährhaus gestellt und können jetzt an Bord gehen. Prompt legt die Fähre ab. Viel zu früh. Sind wir falsch? Fahren wir jetzt nach Sansibar oder gar nach Norderney? Später die Durchsage. Norddeich. 60 Minuten Fahrzeit. Die richtige Richtung. Das falsche Schiff. Ein sogenanntes Vorschiff, weil an diesem Wochenende die Reisewelle einsetzt. Wir sind schneller und früher in Norddeich. Nur unsere Koffer nicht. Die kommen mit der regulären Fähre nach. Die machen noch Urlaub auf Juist.

5 Gedanken zu “Schade, schon vorbei

  1. Wir waren auch da, vergangenes Jahr, aber nicht so früh im Frühjahr. Ich finde, Dein Tonfall deutet es an, dieses Klappern, den Wind und die Rauheit. Diese Inseln haben viel zu zeigen, aber mir schien, sie zu es ungern. Wir wollen wieder hin.

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    • Danke für deinen Kommentar. Ich nehme an, dass zur Hauptsaison weniger zu spüren ist von der Rauheit der Insel. Aber ich mag auch das Feriengefühl, das Leben am Strand und das Glas Rotwein zum Sonnenuntergang. Wenn es dann nicht immer gleich so voll sein würde. Also lieber den Wind, die Kälte und die graue Nordsee.

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