Ferien auf Saltkrokan, mindestens. Darauf haben wir doch wohl ein Recht. Ich meine, ich habe das Buch nicht gelesen und auch die Fernsehserie nicht gesehen, damals, zu den Zeiten, als wöchentlich eine Folge ausgestrahlt wurde und man die Hälfte der Sendezeit brauchte, um zu beschreiben, was bisher geschehen war. Ein großer Hund war dabei. Und natürlich spielte es in Schweden, da war ich auch schon. Also nicht auf Saltkrokan, das übrigens klingt, als sei es von Ikea erfunden worden und beschreibe irgendetwas Knuspriges mit Salz.
Aber Schweden und Sommer, das passt überraschenderweise richtig gut zusammen. Das schwedische Fremdenverkehrsamt, falls es sowas gibt, hat da saubere Arbeit geleistet, denn wo bitte gibt es weniger Sommer als in Schweden? Okay, in Finnland vielleicht. Oder in Norwegen. Die fahren Ski, das ganze Jahr über und es ist dunkel und kalt. Rentiere knabbern das Kostüm des Weihnachtsmanns an und betrunkene Kobolde machen Jagd auf Walfische. Genug davon, mir gehen gerade die Klischees aus.
In Wahrheit fallen mir sofort die Schären ein, eine betörend stille Ostsee, bunt gestrichene Holzhäuser, überall Fahnen und Boote und Kinder mit einem Eis in der Hand und es riecht nach trockenem Holz und nassen Badesachen, nach Erdbeeren und natürlich nach nassem Hund. Oh, die Klischees waren doch noch nicht alle.
Aber so muss doch Urlaub sein. Nein, so müssen Ferien sein. Schon die Umbenennung in Urlaub macht was kaputt. Ferien waren sechs Wochen lang und die kamen, ob man sie buchte oder nicht. Buchen mussten wir Baltrum. Drei Tage. Also wir mussten nicht, wir wollten schon. Und es war nicht Juli, auch nicht August, sondern schon Anfang September. Baltrum ist eine kleine Insel, eine ziemlich kleine. Verglichen mit den Schären ist sie vermutlich ein Kontinent. Wenn man morgens rechtzeitig losgeht, hat man mittags die Insel umrundet. Soweit man darf, da gibt es ein Naturschutzgebiet. Die Häuser sind nicht bunt, sondern norddeutsch sachliche rote Klinkerbauten. Hier wird Urlaub gearbeitet.
Die Seeseite der Insel ist dort, wo das Westdorf liegt, eine Festung gegen die Gewalten der Nordsee. Wenn Abschreckung gegen Sturmfluten helfen würde, schon die nächste Flut würde ausfallen! Aber wenn ich hinter dem Deich leben müsste oder wollte, mir könnten die Steine auch nicht groß genug sein, die Mauern nicht hoch genug. Die Touristen stört das nicht, die sitzen abends auf und zwischen den Betonklötzen, einen Aperol Spritz oder ein Bier in der Hand und erwarten den Sonnenuntergang. Und wenn es keinen grandiosen Sonnenuntergang gibt, war zumindest der Alkohol nicht umsonst. Man isst und trinkt gut auf Baltrum.
Das Personal kommt aus Osteuropa, für die Insulaner macht das keinen großen Unterschied, denke ich. In den Jahren, die ich in Ostfriesland gelebt habe, war es so, dass jeder, der nicht von der Insel kam, zu den potenziellen Feinden gehörte. Das hat sich inzwischen sicher geändert, aber bei den Touristenmassen bestimmt nicht verbessert. Immerhin erzeugt das wunderschöne Situationen. Der polnische Kellner und die Gäste aus dem Ruhrgebiet begrüßen sich mit Moin. Natürlich den ganzen Tag über, so gehört sich das in Ostfriesland.
Baltrum wird geliebt, das spürt man überall. Überall stehen Bänke, die Anhänglichkeit und Dankbarkeit langjähriger Gäste macht es möglich. Sowas gibt es sonst nur in Bad Sassendorf, einem Kurort, der bei Senioren eine übermäßige Popularität genießt. Auf Baltrum sieht man auch mehr Rollatoren als Surfbretter und das ist ja auch gut so. Irgendwo müssen wir ja hin, wir Babyboomer, die wir uns die Inseln leisten können, auch wenn die Mieten und die Heizkosten steigen. Mit Kurt Vonnegut ließe sich sagen, dass alles schön war und nichts wehtat. Es war schön auf Baltrum und wir fahren bestimmt nicht wieder hin. Warum nicht? Vielleicht, weil es einfach nicht Schweden war, nicht die Ferien unserer Kindheit. Leider bietet Baltrum keine Zeitreisen an.