Mein Handy gab Laut. „Willkommen in Schweden“ las ich. Okay, manchmal verfährt oder verläuft man sich und gerade im deutsch-niederländischen Grenzgebiet sind wir uns manchmal sekundenlang nicht ganz sicher, auf welcher Seite der Grenze wir gerade sind, aber Schweden? Bevor ich das weiter thematisiere, ich verstehe es bis jetzt nicht. „Willkommen in Dänemark“ wäre genauso falsch gewesen, dafür aber etwas plausibler. Vom schwedischen Bornholm aus sind es ca. 113 km, vom dänischen Møn nur 54 km nach Hiddensee, Luftlinie, versteht sich. Offenbar haben unsere skandinavischen Nachbarn leistungsfähigere Mobilfunknetze, aber dieses „Willkommen in Schweden“ ist auch eine Erinnerung daran, dass Hiddensee 1648 in der Folge des Westfälischen Friedens schwedisch wurde und das blieb es bis 1815, wenn wir die drei, vier Jahre französische Herrschaft in der Zeit Napoleons mal großzügig übergehen. Dann kamen die Preußen, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die DDR, die Bundesrepublik und dass all das nicht einfach weg und vergessen ist, dafür sorgt mein Handy: „Willkommen in Schweden“.
Urlaub machen kann ja jeder, vorausgesetzt, er oder sie hat noch Urlaubsanspruch und ein paar Euro…äh, Urlaub machen kann nicht jeder, aber nein, das führt jetzt zu weit. Wir waren auf Hiddensee, wir machten Urlaub und zugleich eine Zeitreise, eine, die uns hauptsächlich in das frühe 20. Jahrhunderte führte, in die Zeit Gerhart Hauptmanns. Dann blättert man, liest hier und dort und schließlich muss man sortieren, was sich da an Zufallswissen angehäuft hat. Und das versuche ich jetzt.
Hiddensee lag gleich hinter dem Ende der Welt. Obwohl es liegt, wo es immer lag, liegt es heute nicht mehr jenseits von Gut und Böse, sondern westlich von Rügen. Dat söte Länneken, so nennen es die Menschen, die dort leben und es war keine Agentur, die ihnen diesen Slogan verpasst hat. Das zeugt von ganz viel Heimatliebe, aber die brauchte man wohl auch, wenn ein kleines Stückchen Sand und Stein, Grass und Busch alles ist, was einen vor den Launen der See schützt. Dass die Insel See heißt, Hiddensee, wird damit erklärt, dass es Heddins Insel war, die Insel eines Wikingers, Heddinsoe. Es dauerte einige Jahrhunderte, bis aus dem oe das see wurde, Jahrhunderte, in denen die Insel als karg und lebensfeindlich betrachtet wurde.
Jacob Philipp Hackert, Public domain, via Wikimedia Commons
1810 begann auf Rügen der Bädertourismus. Da waren die Bauern und Fischer auf Hiddensee noch Leibeigene. Die Tuschepinselzeichnung „Auf Hiddensee“ von Jakob Philipp Hackert entstand 1764. Die Steilküste, an der die bezopften Herren stehen, hat inzwischen sicher die Ostsee geholt, die beständig an der Westseite der Insel knabbert. Trotzdem sieht es an der Ostseeküste vom Enddorn bis nach Kloster auch heute noch so aus, wie Hackert es darstellte. Nur die Segler sind kleiner und zum Vergnügen unterwegs.
1875 war es der Maler Gustav Schönleber, der seine Sicht auf die Insel darstellte, der, wie es bei Wikipedia hieß, Hiddensee „entdeckte“. Ich nehme allerdings an, dass diese Ehre Edmund Hoefer zukommen sollte, der die deutschen Küsten und Inseln in seinem 1880/81 erschienenen Buch „Küstenfahrten an der Nord- und Ostsee“ porträtierte. Dass sein Text die feine Berliner Gesellschaft auf die Insel gelockt hat, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Bei Hoefer heißt es:
„Des Contrastes wegen erwähnen wir hier sogleich das schon berührte, schwer zugängliche Hiddensoe. Drei Stunden lang streckt sich der auf mehreren Stellen nur ein paar hundert Schritt breite Streifen aus und die Entfernung von der rügenschen Küste ist zum Theil so gering, daß man wohl an einen früheren Zusammenhang und eine erst spätere Trennung beider Ladestheile glauben muss (…). Daß sich der schmale Landstreifen bisher erhalten hat, spricht dafür, wie selten im Allgemeinen die verderblichen Sturmfluten der Ostsee sind. Doch ist das arme Eiland gerade in der neuesten Zeit und besonders wieder durch die Novemberflut von 1872 mehrmals durchbrochen worden. Ein armes Land ist Hiddensoe aber, ein unendlich armes Land. Die Bewohner stecken zum Theil noch in den ärmlichsten Hütten, an Ackerbau ist auf dem unfruchtbaren Boden kaum zu denken, das Ländchen ist im Grunde ganz öde und fast ohne Baumwuchs; der einzige Nahrungszweig ist die Fischerei und sie bietet auch die einzige Kost. Und dennoch lieben diese Menschen ihre Heimat einmal wieder auf das Herzinnigste und heißen sie „dat söte Länneken“.
Gustav Schönleber in: Edmund Hoefer: Küstenfahrten an der Nord- und Ostsee, ca. 1881
Im nächsten Teil: Was Kosegarten 1794 zu berichten wusste – die Kuttenträger Alexander Ettenburg und Gerhart Hauptmann – eine verlorene Urne und jede Menge Inselsehnsucht