From the Bodden to the Top

From the Bodden to the Top

Gerhart Hauptmann besaß ein Haus auf Hiddensee. Damit stellen sich gleich zwei Fragen: Wer war Gerhart Hauptmann und wo ist Hiddensee? Zwei Fragen, die ich hier nicht beantworten werde. Die Frau im Verkehrsverein hatte gesagt, dass um diese Jahreszeit nicht  mehr so viele Leute das Schiff nach Hiddensee nehmen würden. Außerdem seien sechs Stunden Fahrzeit doch recht viel für einen Aufenthalt von drei Stunden. Wir machten uns trotzdem auf den Weg zum Schiff und fanden gerade noch zwei freie Plätze.

Der Bodden liegt vor uns, es ist noch ziemlich kühl. Schwäne, Kormorane, Grau- und Silberreiher, Möwen, Enten und Gänse. Später dann auch noch ein Seeadler und Kraniche. Jede Menge Natur im Angebot.

Ein Mitreisender versucht, amerikanischen Passagieren die heimische Tierwelt zu zeigen und fachgerecht zu benennen.

Der Bodden ist ziemlich flach, an manchen Stellen wohl nur 20 oder 30 cm tief, also schwimmen die Vögel oft nicht, sondern stehen einfach im Wasser. Stralsund und die Rügen-Brücke sind gut zu sehen, ein Stück weiter ein ehemaliger Wachturm der DDR-Grenztruppen. Dann, es ist Mittag, Hiddensee.

Wir mieten uns Fahrräder, die das Naturerlebnis noch mal deutlich steigern, zumindest die Wahrnehmung von Unebenheiten und Steigungen. Hiddensee ist schön. Unglaublich schön. Vom Dornbusch, einer Erhebung, die während der Eiszeit zur Freude heutiger Touristen zusammenkomponiert wurde, schaut man über die Insel, über das Wasser, die Ostsee und den Bodden und kann sich nicht sattsehen. Hiddensee ist klein, manchmal sind die Wege wirklich nur Wege, breit, aber kaum befestigt. Dann wieder Betonplatten. Als Hauptmann Hiddensee für sich entdeckte, gab es noch keinen Tourismus. Wie schön muss die Welt gewesen sein, bevor wir damit begannen, sie für uns zu entdecken. Aber kann ich denn anders? Muss ich nicht davon erzählen und muss ich nicht zurückkehren, um meine Eindrücke zu überprüfen, das nächste Mal für ein paar Tage, denn das drei Stunden nicht reichen, damit hatte die Frau im Verkehrsverein recht.

Fahrräder abgeben, ein Fischbrötchen auf die Hand und Rückfahrt. Es ist nicht mehr ganz so voll. Dafür stehen kurz nach dem das Schiff abgelegt hat, zwei Leute mit ihren Rädern an der Kaimauer und sehen unglücklich aus. Die dürfen nicht, die müssen länger bleiben.

Nicht lange, und die Sonne beginnt mit einem unbeschreiblichen Lichterzauber, der Himmel über dem Bodden färbt sich in mehr leuchtenden Tönen, als ich zu benennen weiß und während des spektakulären Sonnenuntergangs sind auf einmal die Kraniche am Himmel, erst kleinere Züge, dann  große Scharen. Glücksvögel, wie unser Kapitän durchsagt. Kraniche krakeelen, fliegen flach über dem Wasser und hoch am Himmel, schwarze Silhouetten zeichnen sich gegen den abendroten Himmel ab. Kameras. Ferngläser. Ein Hin und Her an Bord. Backbord die Kraniche, die im flachen Boddenwasser landen, Steuerbord das Lichterspiel. So viel zu sehen. Dann wird es  langsam dunkel, kälter und leise.

Ans Meer, ans Meer!

Ans Meer, ans Meer!

Wir hatten das Ferienhaus gemietet. In diesem Sommer, auf den wir gehofft hatten, der gut werden sollte, ach was, gut werden musste, nach einer langen Zeit, in der wir kaum zu atmen gewagt hatten. Wer hörte in solchen Zeiten schon auf die Meteorologen, die dann aber leider die einzigen waren, die Recht behielten.

Mitte August, es ließ sich nicht mehr länger leugnen, dass es auch in diesem Jahr einen Herbst geben würde, einen, der die hellen Morgende und langen, warmen Abende einweichen und schließlich von seinem Stundenplan streichen würde. Eigentlich war der Lack ja ab, wenn die Sommerferien vorbei waren, das Jahr war durch und in den Lägern der Supermärkte stapelte sich, kaum noch vor den Kunden verborgen, das Weihnachtsgebäck. Aber noch gaben wir nicht auf! Dieser Sommer war nicht verloren, solange nicht auch wir Sand in den Sandalen gespürt und Salz auf den Lippen geschmeckt hatten.

Es gehörte zu den Merkwürdigkeiten der Architektur, dass Ferienhäuser, ach, vermutlich galt das sogar für alle Häuser und Wohnungen, großzügig wirkten, freundlich und einladend – bis man sie betreten hatte. Gut, vielleicht sollte ich das jetzt doch nicht so verallgemeinern: bis wir sie betreten hatten.

Schon bei der Rückkehr vom ersten Strandspaziergang bot sich nämlich ein gänzlich anderes Bild. Ich weiß nicht, ob die Außenwände nach innen drängten oder die Möbel näher zueinander rückten oder ob die paar Taschen und Koffer mit dem absolut Nötigsten möglicherweise in der Seeluft aufquollen, jedenfalls war die Großzügigkeit einer drangvollen Enge gewichen. Was noch fehlte, war der unverwechselbare Geruch nasser Badebekleidung. Noch ein wenig Möwengeschrei und der Qualm eines Holzkohlengrills irgendwo in der Nachbarschaft, eine im Wind knatternde Fahne, das Bellen eines Hundes… und dann noch eines Hundes. Urlaub!

Ein alter Sehbär

Ein alter Sehbär

Mir fehlten nur wenige Meter zum Seemann. Nur wenige Schritte trennten mich vom Kapitänspatent auf große Fahrt. Wie anders hätte mein Leben verlaufen können…

Ich wohnte in der Friesenstraße und die Seemannsschule war in der Bergmannstraße. Die Kleine Möwe, die Stammkneipe der Seefahrtsschüler, lag sogar noch näher und dort hätte ich mich sogar ohne Abitur, Fernweh und technisches Verständnis oder Numerus Clausus betrinken können. Habe ich aber nicht. Also ohne Abitur, Fernweh und technisches Verständnis habe ich mich schon betrunken, aber eben nicht in der kleinen Möwe.

Zu meiner Schulbildung gehörte auch nur das Fach Erdkunde, niemals die Geographie. Schon wenn es um Flüsse ging, wenn diese große physische Landkarte aufgehängt wurde, die ohne irgendwelche Beschriftungen, aber mit braunen Gebirgszügen und blauen Flüssen, wusste ich genau, dass ich an meine Grenzen stieß, wenn ich auch nicht hätte sagen können, welche Länder sich jenseits dieser Grenzen befanden. Flüsse gingen gar nicht. Nordsee, Ostsee, klar. Aber die Südsee lag nicht gleich hinter Bayern, nicht mal hinter den Alpen und die Westsee habe ich immer schmerzlich vermisst. Vermutlich ist es auch mein Sinn für Vollständigkeit, geschult bei diversen Runden Autoquartett, der mir den Zugang zur Welt der Seefahrer versperrte. Was zum Beispiel soll es, dass einem Boot oder einem Schiff, der Unterschied ist mir nie klar geworden, gerade mal zwei Seiten zugeordnet werden: Backbord und Steuerbord. Und die auch noch für rechts und links.

Dabei weiß man doch, das rechts ist, wo der Daumen links ist. So lernt das doch jeder, auch ohne Seefahrtsschule. Und kommt mir jetzt nicht mit Bug und Heck, die sind bei mir fest mit Thomas verbunden. Thomas Bug und Dieter Thomas Heck. Ich wäre, schon wegen der klanglichen Nähe, für Sideboard und Keyboard. Wie, Board oder Bord? Wer stellt sich denn wegen eines zusätzlichen Buchstabens an? Und im Englischen fällt dieser Unterschied eh weg. Backboard. Wäre Englisch doch immer so einfach, ein a dazu und fertig.

Ich verzettele mich.

Mir fehlte zum Studium an der Seefahrtsschule neben dem technischen Interesse auch, nein, nicht das Fernweh, das Abitur. Zweiter Bildungsweg, also Fachoberschule, Fachhochschule und danach war es eh zu spät, denn schon als Fachoberschüler habe ich gelernt, was es heißt, seekrank zu sein. Dafür braucht man auch überhaupt keine nautische Qualifikation. Bei der Suche nach der geeigneten Reling helfen Begriffe wie links und rechts, hinten und vorn auch nicht weiter, es geht nur noch um die Windrichtung.

Was bleibt ist das Fernweh.

Berlinbesuch

Foto: Elfie Voita

Es gibt, habe ich gehört, Städte, die man liebt, weil sie so schön sind. Amsterdam zum Beispiel. Es gibt auch die Stadt, die man um seiner selbst willen liebt, weil sie Heimat ist und so vertraut wie die eigene Haut, die man, auch wenn sie mal Pickel oder Wunden hat, doch nicht verlässt. Das wäre ja mal eine ganz neue Definition von Reisen: aus der Haut fahren!

Dann sind da noch die Städte, die man gar nicht richtig sehen, nicht richtig spüren kann, weil sie so aufgeladen sind mit Geschichte, mit Erinnerungen, mit Bildern, die sich über die reale Stadt legen und sie fast unsichtbar machen. Städte, in denen man nicht zuhause ist und nicht zuhause sein kann, weil es sie überhaupt nicht gibt, weil es sie so, wie man sie im Kopf hat, nicht gibt und vielleicht auch nie gegeben hat.

Berlin ist so eine Stadt. Amsterdam nicht. Nicht, weil Amsterdam nur eine schöne Oberfläche, ein touristisches Gesicht besäße und keine Tiefe, oh doch, und ein bisschen davon weiß ich und kenne ich, aber es ist so schön, dass das allein schon reicht, dass ich immer wieder nur hinsehen muss, stehenbleiben muss und gucken und mich umdrehen und schau mal da und sieh mal dort sagen und fotografieren muss.

Berlin, da muss ich eigentlich überhaupt nicht hin. Das kenne ich schon, kannte ich, bevor ich da war und, obwohl ich nichts finde und überhaupt nicht weiß, was eigentlich wo ist, denke ich, so wird es sein und dann ist es auch so. Dagegen kann die Stadt überhaupt nicht an. Klar, sie kann mich begeistern, aber das Weiterlesen

Rad, Ruhr, Ruhe

Eigenes Foto

Mit dem Fahrrad auf dem Ruhrtalradweg unterwegs. Nur ein Stück, denn der Weg ist lang, länger, als wir an einem Tag fahren wollen bzw. können. Von Warendorf aus mit dem Auto nach Wickede (Ruhr). Erst durch das vertraute Münsterland, dann ein Stückchen Soester Börde und dann Wickede, ein Industriestädtchen, für uns an diesem Tag der Anfang des Ruhrgebiets.

Ein Maitag mit Sonne und Wolken. Viele, aber erträglich viele Radfahrer*innen auf der Strecke. Immer wieder führt der Weg über die Ruhr oder begleitet sie ein Stück.

Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen. In Hohenlimburg geboren und in Hagen zur Schule gegangen. 14 Jahre meines Lebens war mir nicht klar, dass wir im Ruhrgebiet lebten, weil Hagen mit dem Slogan „Tor zum Sauerland“ warb. Hätte ich wissen müssen, dass wir vor dem Tor lagen? Draußen, im schmuddeligen Ruhrgebiet? Schreckliche Wahrheiten bringt man seinen Kindern vielleicht so spät wie möglich bei. Ich habe es nebenbei bemerkt nicht als schrecklich erlebt. Als laut und grau, als staubig und Weiterlesen

Überdachte Literatur

Von Michael Kammerer (Rob Gyp) – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37604962

Der Dachboden war der geheimnisvollste Ort in dem kleinen Siedlungshaus, das mir uralt schien, weil meine ewig schwarzgekleidete hagere Oma uralt war. 65 war sie wohl. Oh, es gab auch den Wohnzimmerschrank, den meine Erinnerung auf eine Tür, die linke, reduziert hat. Hinter dieser Tür, die später manchmal abgeschlossen wurde, verwahrte mein Onkel seine Bücher. Wie der Rest des Schrankes aussah, habe ich vergessen. Vielleicht besitze ich noch ein Foto, aber wozu nachschauen? Die wichtige Seite des Schrankes ist ja erhalten geblieben.

In den Sommerferien las ich nach und nach alle Bücher aus diesem Schrank. Einen Science-Fiction-Roman, eine Liebesgeschichte und… da muss viel mehr gewesen sein, aber offenbar hat mich sonst nichts nachhaltig beeindruckt. „Das Beste aus Readers Digest“ habe ich auch verschlungen, vermutlich nicht nur das Beste. Viele bunte Bände, die auf einem Regalbrett im Zimmer meines Onkels standen. Und die Hörzu.

Sechs Wochen Ferien und nur kleine Mädchen und alte Leute. Ab und zu donnerte ein Starfighter im Tiefflug über den dörflichen Vorort der kleinen Stadt und durchbrach mit einem kolossalen Knall die Schallmauer. Dann kehrte wieder Frieden ein. Kreuzspinnen lauerten zwischen den Dornen der Blutberberitze, am Horizont zog eine unhörbare Dampflok Güterwagen und eine Rauchfahne in Richtung Emden. Die Zeit schlich, es war warm, Fliegen summten, die Katze döste in der Sonne und die Hühner gackerten. Da brauchte ein Zwölfjähriger dringend Lesefutter.

Eigene Bücher hatte ich nicht mitgebracht, wozu auch? Die paar, die in Hagen hinter der Klappe meiner Bettcouch standen, kannte ich fast auswendig, weil ich sie wieder und wieder las, bis es endlich ein neues Buch gab. Viel mehr Bücher besaßen wir nicht. Meine Mutter hatte auf der Flucht aus Ostpreußen ihr Poesiealbum dabei, das unterwegs zum Tagebuch wurde. Mein Vater war mit nicht viel mehr als seinem Soldbuch in den Krieg gezogen und mit nichts aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Nicht heimgekehrt, sondern…äh fremdgekehrt? Nicht ins Sudetenland, das hinter dem Eisernen Vorhang verschwand und nun als Nordböhmen ein Teil Tschechiens ist, sondern ins Nachkriegsdeutschland. Bücher waren das letzte, was meinen Eltern fehlte. Aber da war ja der geheimnisvolle Dachboden meiner Oma in Ostfriesland.

Im ersten Stock ihres Hauses befand sich eine Dachluke, die, wenn man sie öffnete, eine Leiter freigab, mit deren Hilfe man in den Spitzboden gelangen konnte. Bestimmt hat niemand diese Luke für mich geöffnet, bestimmt habe ich mich nicht getraut, das allein zu tun, also bin ich wohl einfach einmal meinem Onkel gefolgt. Ich kannte so etwas nicht, wir wohnten mit fünf anderen Familien in einem Neubau mit einem riesengroßen Dachboden, der Teil des Alltags  war, auf Weiterlesen

Antwerpen (1)

Foto: Elfie Voita

Bis zur Autobahn ist es nicht so weit, dann ein Stück durch Deutschland, ein längeres Stück durch die Niederlande, ein bisschen durch Belgien, runter von der Autobahn, im Kreisverkehr die zweite Ausfahrt, etwas seltsam ausgeschildert, aber da ist er schon: der P+R-Parkplatz vor Antwerpen. Es ist genau ein Stellplatz frei.

Mit Koffer und Taschen zur Tramstation gleich in der Nähe. Die Straßenbahn, ein ziemlich altes Modell, wartet schon oder noch, bis wir eingestiegen sind. Tickets gibt es beim Fahrer und los. Durch ziemlich langweilige Vororte, die ein bisschen runter sind, wie sich das für langweilige Vororte gehört. Dann steigt der Fahrer aus, ein langes Werkzeug in der Hand, das wir als eine Art Schraubenschlüssel identifizieren. Er stellt etwas um, nehmen wir jedenfalls an, dann steigt er wieder ein und wir fahren nicht weiter geradeaus, er hat also wohl eine Weiche manuell bedient, es geht jetzt hinab in den Untergrund. Aus unserer Straßenbahn ist eine U-Bahn geworden. Dunkelheit, die Bahn quietscht und kreischt in den Kurven, der Tunnel sieht aus wie ein Stollen, der notdürftig in den Berg gehauen wurde, Bergleute sind allerdings keine zu sehen. Beleuchtete Haltestellen, manche sind wegen Bauarbeiten stillgelegt. Dann geht es wieder hoch ans Tageslicht.

Langsam sollten wir doch am Bahnhof sein. Eine sehr breite Straße, wenig Verkehr. Ab und zu öffnen sich Ausblicke auf prächtige Bauten, auf große Weiterlesen

Fannys Zweifel

BR, Montag, 25.2.2019, 19:30: Dahoam is Dahoam

„Fanny befürchtet, dass für Gregor der Familienurlaub in Neuseeland keine Erholung wird, da er schon bei der Planung in Stress gerät. Wird er die Reise alleine antreten?“
Quelle: TV piccolino 4/19 S. 83

„Fanny!“

Es ist eine Produktion des Bayerischen Rundfunks und leider ist mir keine Folge aus dieser Serie bekannt. Nur die Tatsache, dass Söder, der damals noch Ministerpräsident werden wollte, dort mal einen Auftritt hatte, führte dazu, dass ich überhaupt von… Markus Söder, jetzt weiß ich den Vornamen wieder, Entschuldigung, ich wollte mich nicht unterbrechen… also: nur seinetwegen weiß ich, dass es diese Serie gibt. Heimatfernsehen. Vermute ich einfach mal. Wir denken uns also die landestypische Sprachfarbe hinzu, nein, nicht die vom Söder, der ist Franke, soweit ich weiß. Schon etwas guttural Bayerisches.

Doch wenden wir uns wieder Gregor zu, der bisher vergeblich Gehör einforderte. Fanny ist seine Frau. Wir schaffen hier möglicherweise gerade alternative Fakten, aber Fanny und Gregor haben gemeinsame Kinder, es ist schließlich Vorabendprogramm und nicht die Lindenstraße, eine Patchworkfamilie schließe ich aus. Kinder… sagen wir zwei. Familie ohne Kinder geht nicht, mehr als zwei Kinder… ach was, Kinder erschweren Dreharbeiten. Ja, zugegeben, ich weiß nichts über Dreharbeiten. Aber über Kinder. Die wachsen zum Beispiel. Da passt die Kleidung nach dem zweiten Drehtag schon nicht mehr. Also zwei Kinder, nicht zu klein, schon wegen des langsameren Wachstums. Ein Junge und ein Mädchen. Wie gesagt, es ist Bayern, da kann man sowas schon mal machen.

Gregor sitzt jedenfalls vor seinem Laptop.

Wieso drängt sich mir gerade eine Lederhose auf? Ich verweigere mich ab jetzt ganz entschieden der Einmischung der CSU… jetzt hatte ich doch glatt CSD geschrieben. Christopher Street Day? CSU und CSD, Patchworkfamilien, vielleicht doch besser die Lindenstraße? Nee, die lief schon am Samstag und die Folge hieß schlicht und einfach „Plötzlich neu“. Was bitte soll man damit anfangen? Nein, jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Gregor drückt noch einmal die Entertaste.

Früher brauchte man als ungebetener Gast einen Enterhaken, um an Bord eines Schiffes zu gelangen. Heute braucht man als ersehnter Gast nur noch eine Entertaste, um die Buchung abzuschließen. Hat Gregor gerade gebucht? Und wohin soll es gehen? Gut, in der Ankündigung heißt es Neuseeland. Aber kriegt das der gestresste Gregor hin? Oder wird es New York? Allein zum CSD? Zu früh im Text für einen Cliffhanger. Weiterlesen

Das Land von Thorn

Eigenes Foto: Fenster in Thorn

 

Das Land Thorn? Nie gehört? Ich auch nicht, bis unsere Regionalzeitung eine Tagestour anbot. Die wir nicht gebucht haben, wir machen unsere Seniorenreisen auf eigene Faust. Im Süden der Niederlande, nicht weit von Aachen, liegt Thorn, das weiße Städtchen, wie es beworben wird.

Schön und gut, aber das, was heute als touristisches Highlight vermarktet wird, führte am 25. November 1797 zum Ende des Reichsfürstentums Thorn. Französische Revolutionstruppen lösten das Damenstift auf, vieles wurde beschlagnahmt, abgerissen, zweckentfremdet. Die hohen Damen flohen, die verarmten Dörfler wurden mit einer Steuer auf die Fenster belegt, nein, keine Gardinensteuer, wie sie immer als Begründung für die unverschleierten niederländischen Fenster genannt wird. Eine Fenstersteuer also, der die Thorner zu entkommen wussten, indem sie ihre Fenster zumauerten. Nicht gleich alle, aber viele. Und weil das nicht gut aussah, wurden die Wände gleich neu gestrichen. Weiß. Das lässt sich immer noch gut sehen und verleiht dem Ort einen gewissen Reiz. Der nicht ausreicht, um dort hinzufahren.

Eigenes Foto

Die Geschichte des Ortes allerdings schon. Graf Ansfried und Hilsondis, seine Frau, gründeten  im 9. Jahrhundert ein Kloster, das nach der Regel Benedikts lebte, aus diesem Kloster entwickelte sich ein Damenstift, das Damenstift, nicht der, der war noch nicht erfunden, das Damenstift also, das weltliche und geistliche Macht verband. Die Äbtissin des Landes von Thorn war zugleich auch die Landesherrin, herrschte über rund 52 km² und ein paar Tausend Untertanen. Zum Vergleich: Warendorf dehnt sich auf üppigen 176 km² aus. Nur hochadlige Damen, die ihre Zugehörigkeit Weiterlesen

Friesland (5): Frau Zelle

Margaretha Geertruida Zelle? Nie gehört? Im Frühjahr des Jahres 1905 wurde aus der in Leeuwarden geborenen jungen Frau die exotische Tänzerin Mata Hari. Auch wenn sie mit ihren Auftritten europaweiten Ruhm erlangte, wäre sie wohl längst vergessen, doch ihr Tod sorgte dafür, dass sie Menschen bis heute beschäftigt. Sachbücher und Romane, Dokumentationen und Spielfilme widmen sich ihrer Geschichte, das Friese Museum in Leeuwarden zeigt gerade eine große Ausstellung.

Die Ausstellung fügt dem, was man über Mata Hari weiß, wenig hinzu. Was nicht heißen soll, dass die Ausstellung schlecht ist. Sie ist etwas für Leser, für Menschen, die sich die Zeit nehmen, dem Leben der Frau zu folgen, die als Weiterlesen

Friesland (3): Angekommen

Eigenes Foto

Leeuwarden ist 2018 nicht nur die Hauptstadt der Provinz Friesland, sondern, wie schon an anderer Stelle geschrieben, Kulturhauptstadt Europas. Eine kleine Hauptstadt mit knapp 110.000 Einwohnern, aber eine Stadt, die auch ohne die Veranstaltungen, die 2018 über das Jahr verteilt für eine Menge Leben sorgen werden, bemerkenswert ist. Wohin? fragten mich manche, als wir unsere Tour planten. Die Stadt liegt etwa 270 Kilometer nordwestlich von Warendorf und harrt offenbar noch ihrer Entdeckung durch die deutschen Reisenden. Nein, es liegt wohl nicht am Fries, das dort gesprochen wird, einer Sprache, die auch für Niederländer weitgehend unverständlich ist. oersethelp.nl bietet sogar ein Übersetzungsprogramm Nederlands – Frysk und umgekehrt.

Bûter, brea, en griene tsiis; wa’t dat net sizze kin, is gjin oprjochte Fries.

Boter, roggebrood, en groene kaas, wie dat niet kan zeggen, is geen oprechte Fries.

Und zur Sicherheit die deutsche Übersetzung: Butter, Roggenbrot und grüner Käse, wer das Weiterlesen

Friesland (2): Unterwegs

Eigenes Bild

Rund zwanzig Kilometer nördlich von Zwolle liegt die alte Hansestadt Kampen. Rund 50.000 Menschen leben in der angeblich dümmsten Stadt der Niederlande, über die bereits 1563 ganz Europa gespottet haben soll. Da muss etwas an mir vorbeigegangen sein. Aber jedes Land hat seine Stadt, seine Region, über die gespottet wird. Bei uns ist das Schilda, die fiktive Heimat der Schildbürger, es ist aber auch Ostfriesland mit den Ostfriesenwitzen. Ein Beispiel für die Witze Weiterlesen

Kopflos

von Friedrich Schiller [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Machen Sie sich keinen Kopf. Was für ein gedankenloser Ausspruch! Hätte man sich doch einen machen können, aber nein, keiner hat sich einen Kopf gemacht. Es musste, na, es sollte schon der richtige sein und den brauchte man sich ja nicht extra zu machen, der war ja da. War er vermutlich auch, selbst das lässt sich nicht mehr überprüfen.

Weil man alles eingeebnet hat, nachdem man dachte, man habe den richtigen Kopf und als dann klar war, dass es doch der falsche war, da war es eben zu spät. Alles platt gemacht. Typisch natürlich, dass es um Schillers Schädel ging, nicht Goethes, der wusste immer den Kopf oben zu halten und der war auch so gut vernetzt, so nah an den Mächtigen und Zahlungskräftigen, dass es keine Unklarheiten über seine letzte Ruhestätte geben konnte. Die Fürstengruft.

Und weil es Goethe war und ist, der dort ruht, ist es längst die Gruft des Dichterfürsten, in der neben ihm auch noch ein paar Adelige stehen dürfen. Schiller hingegen, nein, er wurde nicht verscharrt, so war das auch wieder nicht, aber der Mann, der als der erste freie Schriftsteller Deutschlands gilt, der nicht nur frei in dem Sinne war, dass er kein Gehalt bezog, sondern Weiterlesen

Sand in Sicht

Foto: Manfred Voita

Schiermonnikoog: die östlichste der bewohnten niederländischen Watteninseln.

Von Lauwersoog aus geht es mit der Fähre hinüber. 45 Minuten durch das Wattenmeer. Kreuz und quer, hin und her, wie die Fahrrinne es eben zulässt. Die Insel ist ganz nah. Zwei Leuchttürme, ein weißer und ein roter. Deich und Dünen, ein Dorf.

Ein Schiff voller Vorfreude. Ein Schiff voller Leben und Sommer. Das Meer, ja, die Nordsee! blitzt im Sonnenlicht, Segelschiffe… nein, die liegen im Schlick, können erst bei Flut weiter. Ehrlich gesagt riecht das Watt auch nicht gut. Ebbe eben. Aber dann ist die Insel da, die Zugbrücke wird heruntergelassen und los geht es.

Den Deich entlang, dann über schmale Wege in den Ort. Schiermonnikoog. Der einzige Ort auf der Insel. Die Insel der grauen Mönche. Zisterzienser haben hier gelebt, dann gab es verschiedene Herren und Herrschaften. Weiterlesen

Wen schert’s?

Foto: Elfie Voita

Vor Stockholm liegen die Schären. Sie liegen da nicht, weil sie beim großen Aufräumen vergessen wurden, sondern sie liegen da, weil das große Aufräumen dafür gesorgt hat, dass es sie überhaupt gibt. Während einer Eiszeit, ich mache mir jetzt nicht die Mühe, den korrekten Zeitraum zu recherchieren, war nämlich Skandinavien von einer dicken Eisschicht bedeckt und als die Eiszeit fertig war und, wie sich das für Eis gehört, langsam wegtaute und an der Waffel runter lief, nein, falsches Bild, schob das Eis weg, was im Wege lag, machte platt, was platt zu machen war und schliff selbst Granit gnadenlos ab.

Manchmal blieb allerdings etwas stehen und als das Wasser kam, das wir als Ostsee, alle anderen als baltisches Meer kennen, ragten kleinere und größere Inselchen heraus. Weil aber der Druck des Eises weg war, stieg und steigt der Boden dort langsam an und es ist eine Frage der Zeit, dass wir nicht mehr mit dem Schiff, sondern mit dem Aufzug nach Stockholm fahren müssen. Aber das hat, Weiterlesen

Morgengrau

Es war eine Schnapsidee gewesen, mit gepacktem Koffer und Kreditkarte zum Flughafen zu fahren und das nächstbeste Last-Minute-Angebot zu nutzen.

Als mich die Stewardess weckte um mir zu sagen, dass ich mich für den Landeanflug anschnallen müsse, hatte ich längst wieder vergessen, wohin der Flieger überhaupt ging. Die Getränke an Bord waren mit im Preis gewesen, halfen gegen Flugangst – und ich hatte eine Menge Angst!

Der Busfahrer, der den Transfer zum Hotel übernahm, sprach nicht, jedenfalls nicht mit uns Reisenden und als uns die deutschsprachige Reiseleitung im Hotel begrüßte, gab es Cocktails, all inclusive eben.

Ich hatte das Standardpaket gebucht, Sommer, Sonne, Meer, Unterkunft und Verpflegung, Getränke inklusive. An die folgenden Tage habe ich keine konkreten Erinnerungen, es war ja Urlaub. Dann wachte ich auf, es war heiß, es war hart und es war draußen. Keine Ahnung, wo ich war oder wie ich da hingekommen war. Filmriss. Und dann stand da noch ein Esel und starrte mich tieftraurig an.

Plötzlich wurde es laut. Ein zorniger Bauer, dann ein Uniformierter, ein Palaver, immer wieder Hände, die auf den Esel deuteten, dann auf mich. Ein Baum, ein Seil, eine Schlinge, jemand pfiff die Melodie aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Irgendwie hatte ich plötzlich mein Portemonnaie in der Hand und… ja, nun stehe ich hier vor dem Hotel und frage mich, wie ich mit meinem Esel da rein komme.