Ich hätte auch etwas Nettes schreiben können (wollte ich aber nicht)

Ich hätte auch etwas Nettes schreiben können (wollte ich aber nicht)

Den Helder liegt im Kop van Holland, ist also der nördliche Zipfel der Provinz Noord-Holland. Heute kennen viele den Ort, weil dort der Fährhafen für Texel liegt. Den Helder bietet sich aber auch als Reiseziel an für alle, die genug haben von diesen hübschen niederländischen Städtchen mit Grachten und Giebelhäusern aus dem 17. Jahrhundert, mit Glockenspielen und lebhaften Straßencafés, Wochenmärkten mit nieuwe Haring, blühenden Tulpen und Poffertjesständen. Es muss doch auch mal anders gehen.

Nicht gleich so wie in Rotterdam, wo die Niederlande ein bisschen aussehen wie Frankfurt. Das ist okay, Amsterdam sieht auch so aus und Den Haag, aber nicht mal Frankfurt sieht aus wie Frankfurt, sondern wie London oder New York oder wie irgendwelche Städte in China. Ich kann nicht mal sagen, dass mir solche Städte nicht auch gefallen, doch, kann ich. Sie gefallen mir nicht, also manches schon und keineswegs nur die Ecken, die so tun, als seien sie echt. Es gibt spannende Architektur und es gibt großkotzige Architektur und Architektur, die nur noch auf die Welt herabzuschauen scheint, Häuser wie Goldberge und Münzstapel, die aussehen, wie begehbares Geld, die uns zeigen, wo oben und wo unten ist.

Den Helder ist anders. Ja, auch Den Helder hat eine großartige Geschichte hinter sich und es gibt Zeugnisse dieser wehrhaften Zeiten, aber Den Helder sieht im winterlichen Regen des Jahres 2022 bzw. 2023 aus, als habe man vergessen, es ordentlich wegzuräumen. Es gibt Wasser, es gibt den Hafen, es gibt Museen. Richtig leckere Fritten. Aber es gibt eben auch Den Helder. Ein Einkaufszentrum mitten in der City, in dem es fast keine Läden mehr gibt. Leerstand, Abriss, Verfall. Es regnet. Ein Hippster-Café, unsere Töchter mögen das, lecker Kaffee, der auch noch gut aussieht. Keinen Kaffee für uns, überhaupt keine Heißgetränke, Stromausfall. Kann natürlich überall passieren. Passiert aber in Den Helder.

An anderen Tagen, in einer anderen Jahreszeit oder einem anderen Jahrhundert, mag Den Helder einen rauen Charme zeigen, wir fahren mit dem guten Gefühl, dass auch in Holland nicht alles glänzt und eine Stadt auch mal aussehen darf wie unser Schuppen.

Photo: Lars van der Heide, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

(Ja, es gibt da auch nette Leute, freundliche Mitarbeiter einer Kfz-Werkstatt zum Beispiel, die uns mit Kaffee versorgten, während sie unser Auto checkten und feststellten, dass alles überhaupt nicht schlimm war)

Das wird schon gehen

Das wird schon gehen

Habe ich von unserem Urlaub in einem Ferienhaus an der holländischen Küste erzählt? Nachts, bei offenem Fenster, hörten wir die Brandung der Nordsee. Also nicht gleich die ganze Nacht, zwischendurch schliefen wir schon auch mal. Morgens war die Brandung dann nicht mehr zu hören, obwohl die Nordsee, davon haben wir uns mehrfach überzeugt, immer noch da war. Menschen sind einfach ziemlich laut. Wir hatten morgens aber auch anderes zu tun, als der Brandung zu lauschen. Wir frühstückten nämlich.

Wäre dieser Text ein heiß-kalt-Spiel, würde es jetzt wärmer werden, wir nähern uns dem Kern und der Ursache dieses Textes. Mein Stuhl stand ganz links am Tisch, von der Außenwand nur noch durch einen Heizkörper getrennt. Einen kalten Heizkörper. Wären meine Tischmanieren manierlich, hätte ich beide Hände, aber nicht die Unterarme, auf den Tisch gelegt, eine Haltung, die für mein Empfinden etwas angriffslustig aussieht, gäbe es diesen Text nicht. Mein linker Arm suchte außerhalb des Tisches Halt. Ich muss das leider eingestehen, obwohl ich ansonsten ein Gegner von Armlehnen bei Stühlen bin. Da war aber nur dieser kalte Heizkörper und niemand kann gemütlich frühstücken, während der linke Unterarm auf einem kantigen kalten Heizkörper liegt. Also suchte ich nach einer Lösung für diese unangenehme Lage und fand sie fast augenblicklich: Der linke Arm gehörte in eine Schlinge. In der Folge hätte ich natürlich während der Mahlzeiten meine linke Hand nicht mehr frei bewegen können, hätte also eine Art Verlängerung für die Gabel gebraucht, um Kartoffeln vom Teller zu befördern oder die Zeitung umzublättern.

Das war’s, das war der Moment, um den es geht, der Moment, in dem ich unser Universum verließ und in ein paralleles Universum eintauchte. Wir alle haben von der Theorie der Multiversen gehört, aber ausgerechnet ich muss mich daran versuchen, sie in meinen Text einzubauen. Für meine Zwecke reicht allerdings die Idee, dass alles immer da ist. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren gleichzeitig. Was die Wissenschaft aber nicht bedacht hat, Autoren wie Kurt Vonnegut aber sehr wohl, z. B. in seinem Roman „Schlachthaus 5 oder der Kinderkreuzzug“, ist, dass wir uns durch ein Stolpern am falschen Ort oder einen verdrehten Gedanken plötzlich in einem dieser parallelen Universen wiederfinden.

Ich jedenfalls landete in einem nicht genau zu terminierenden Teil meiner eigenen Vergangenheit im Keller meines Vaters und es war die Idee der Schlinge um den Arm, die mich in die Vergangenheit zog, denn so und nicht anders hätte mein Vater dieses Problem gelöst.

Der gerade angesprochene Keller hat sich in meiner Erinnerung längst von jeglicher bestehender Architektur gelöst und existiert als eigene nicht materielle Einheit fort, auch wenn das Haus oder die Häuser, in denen es den Keller gegeben hat, nicht mehr bestehen sollten.

Da ist ein Raum mit einem schwarzen Bakelit-Lichtschalter gleich neben der Brettertür, der von einem ewigen Licht, das von einer in einem Drahtkäfig steckenden Glühbirne ausgeht, völlig unzureichend beleuchtet wird, so dass große Teile des Raumes im Dunklen bleiben und verborgen bleibt, was dort liegt oder lag, Kartoffeln und Eierkohlen, Brikett und Einmachgläser zum Beispiel.

Zwei kleine Fenster über einem Arbeitsplatz voller Werkzeug, voller Schubladen und Kisten, Dosen und Gläsern mit Schrauben und Nägeln, mit Bändern und Ketten, Teilen, deren Zweck in Vergessenheit geraten ist, denen aber eine neue Verwendung zugedacht ist. Farbtöpfe, Lacke und Pinsel, Terpentin und Rostlöser, Fahrradreifen, Kabel, Lüsterklemmen, ein alter Kinderschlitten, Blumentöpfe und Schaufeln, Spaten, Harken und Rechen, Besen unterschiedlicher Feinheit, Eimer, Kannen, Kästen voller alter Zeitungen, in denen etwas verpackt sein könnte und über all dem Konstruktionen aus Kanthölzern und Leisten, Stangen und Ösen und Haken, die sich unter der Decke entlang in den Raum ausbreiten, etwas halten, etwas heben, etwas ziehen, sich selbst sichern und die enden an Pfosten, verschraubt und verklebt, umwickelt mit Teppichband und Plastikschnüren.

Der Keller war der Ort, an dem mein Vater große und kleine Probleme anging, mit harten, schwieligen Fingern, deren Sehnen bei  Arbeitsunfällen durchtrennt worden waren, mit einem großen Plan, das Ziel aus den Augen verlor oder mit untauglichen Mitteln, die durch den großzügigen Einsatz anderer, kaum weniger geeigneter Mittel zu wackligen, wenig vertrauenerweckenden, aber über Jahre benutzten Provisorien führten.

Früher habe ich mich oft gefragt, was ich von meinem Vater habe, worin ich ihm ähnele, denn es ist nicht das Aussehen oder die Größe, die Haarfarbe, soweit man noch davon sprechen kann, aber inzwischen weiß ich, dass es seine Art war, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, auch das Verdrehte, das hartnäckige Herumschrauben und noch einen Umweg machen, um dann hoffentlich irgendwo anzukommen. Nur brauche ich dafür keinen Keller, sondern meinen Schreibtisch.

Meine Frau legte ein Kissen auf die Heizung und das Problem war gelöst.

Bild: Gustav Wentzel, Public domain, via Wikimedia Commons

Insellos

Eigener Entwurf

Natürlich haben wir uns gefragt, ob wir fahren sollten. Dann sind wir gefahren. Wie viele andere auch. Freitag kamen wir auf Juist an, hatten einen schönen Abend und zwei schöne Tage mit ausgedehnten Spaziergängen am Strand und dem Gefühl, weit weg zu sein, in einem anderen, gesünderen Land. Selbstverständlich immer nur, bis die nächsten Meldungen kamen, Italien, Spanien, Frankreich. Schulschließungen, Absage der Geisterspiele, dann die Mitteilung, dass Schleswig-Holstein die Inseln sperrt. Da war klar, dass wir vielleicht auf einer Insel der Seligen wären, die Seligen aber ohne uns noch seliger sein würden. Niedersachsen zog nach: Die ostfriesischen Inseln sollten ab Montag gesperrt werden. Damit war unsere Abreise um einen Tag vorgezogen worden.

Meine Oma und meine Mutter waren aus Ostpreußen vertrieben worden, wir nun aus Ostfriesland. Niemand warf mit Steinen nach uns, alle waren nett, die Abreise gut organisiert und völlig problemlos. Trotzdem schade. Man muss uns offenbar erst verbieten, was wir selbst längst eingesehen haben und trotzdem nicht lassen.

Westkapelle

Westkapelle ist ein Dorf auf Walcheren. Walcheren ist eine der Inseln, die zu Zeeland gehören. Zeeland, so sagt man in den Niederlanden, ist gefühlt weit weg. Von uns aus ist es weit weg. Zeeland und Walcheren jedenfalls. Westkapelle war dann nicht so weit weg, was allerdings nur daran lag, dass wir schon in Domburg waren. Domburg liegt natürlich auch in Zeeland und auf Walcheren, direkt an der Küste, gleich hinter den Dünen. Wir wohnten dort für ein paar Tage in einem Hotel. Preiswert, Frühstück inbegriffen. Mit Gemeinschaftsbad und WC auf dem Flur. Also schon zur getrennten Benutzung, aber eben nicht im eigenen Zimmer. Obwohl: Das möchte ich jetzt auch nicht, Bad und WC im eigenen Zimmer. Eine separate Nasszelle, die hätte ich gern. Das weiß ich jetzt auch noch bestimmter. Trotzdem haben wir auf Terschelling wieder ein Hotel gebucht, in dem wir die gleiche Situation vorfinden werden. Aber mit Zeesicht, also Meerblick. Da konnte ich nicht wiederstehen.

Von Domburg aus war es jedenfalls, und darum ging es ja gerade, nicht weit nach Westkapelle. Man kann es bequem mit dem Fahrrad erreichen. Bequem war es jetzt nicht, es regnete und wir wollten auch nicht nach Westkapelle. Dennoch waren wir dann froh, als wir dort angekommen waren. Wegen des Regens. Der Leuchtturm ist schon von weitem zu sehen und fällt besonders auf, weil es eigentlich der Kirchturm der Willibrorduskirche war. Willibrord gilt als Apostel der Friesen. Und ist Schutzheiliger der Messdiener Luxemburgs. Falls das jemand wissen möchte. Westkapelle liegt nicht in Friesland und Willibrord hat nicht mal auf die ihm geweihte Kirche aufgepasst. Hoffen wir, dass er sich besser um die Messdiener Luxemburgs kümmert.

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Fannys Zweifel

BR, Montag, 25.2.2019, 19:30: Dahoam is Dahoam

„Fanny befürchtet, dass für Gregor der Familienurlaub in Neuseeland keine Erholung wird, da er schon bei der Planung in Stress gerät. Wird er die Reise alleine antreten?“
Quelle: TV piccolino 4/19 S. 83

„Fanny!“

Es ist eine Produktion des Bayerischen Rundfunks und leider ist mir keine Folge aus dieser Serie bekannt. Nur die Tatsache, dass Söder, der damals noch Ministerpräsident werden wollte, dort mal einen Auftritt hatte, führte dazu, dass ich überhaupt von… Markus Söder, jetzt weiß ich den Vornamen wieder, Entschuldigung, ich wollte mich nicht unterbrechen… also: nur seinetwegen weiß ich, dass es diese Serie gibt. Heimatfernsehen. Vermute ich einfach mal. Wir denken uns also die landestypische Sprachfarbe hinzu, nein, nicht die vom Söder, der ist Franke, soweit ich weiß. Schon etwas guttural Bayerisches.

Doch wenden wir uns wieder Gregor zu, der bisher vergeblich Gehör einforderte. Fanny ist seine Frau. Wir schaffen hier möglicherweise gerade alternative Fakten, aber Fanny und Gregor haben gemeinsame Kinder, es ist schließlich Vorabendprogramm und nicht die Lindenstraße, eine Patchworkfamilie schließe ich aus. Kinder… sagen wir zwei. Familie ohne Kinder geht nicht, mehr als zwei Kinder… ach was, Kinder erschweren Dreharbeiten. Ja, zugegeben, ich weiß nichts über Dreharbeiten. Aber über Kinder. Die wachsen zum Beispiel. Da passt die Kleidung nach dem zweiten Drehtag schon nicht mehr. Also zwei Kinder, nicht zu klein, schon wegen des langsameren Wachstums. Ein Junge und ein Mädchen. Wie gesagt, es ist Bayern, da kann man sowas schon mal machen.

Gregor sitzt jedenfalls vor seinem Laptop.

Wieso drängt sich mir gerade eine Lederhose auf? Ich verweigere mich ab jetzt ganz entschieden der Einmischung der CSU… jetzt hatte ich doch glatt CSD geschrieben. Christopher Street Day? CSU und CSD, Patchworkfamilien, vielleicht doch besser die Lindenstraße? Nee, die lief schon am Samstag und die Folge hieß schlicht und einfach „Plötzlich neu“. Was bitte soll man damit anfangen? Nein, jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Gregor drückt noch einmal die Entertaste.

Früher brauchte man als ungebetener Gast einen Enterhaken, um an Bord eines Schiffes zu gelangen. Heute braucht man als ersehnter Gast nur noch eine Entertaste, um die Buchung abzuschließen. Hat Gregor gerade gebucht? Und wohin soll es gehen? Gut, in der Ankündigung heißt es Neuseeland. Aber kriegt das der gestresste Gregor hin? Oder wird es New York? Allein zum CSD? Zu früh im Text für einen Cliffhanger. Weiterlesen

Mein schönstes Ferienerlebnis

Bild: Manfred Voita

Zuverlässig wurde nach dem Ende der Sommerferien, das seltsamerweise immer mit dem Wiederbeginn der Schule zusammenfiel, eine äußerst unglückliche Koinzidenz, wie ich damals fand, uns Schulkindern ein Aufsatz abverlangt: Mein schönstes Ferienerlebnis. Obwohl mich diese Themenstellung während meiner gesamte Schulzeit begleitete, okay, lassen wir die Handelsschule und die Fachoberschule außen vor, überraschte sie mich immer wieder. Wie ein Komet aus einem anderen Sonnensystem, fremdartig und nicht vorhersehbar. Eigentlich eine Art Strafarbeit dafür, dass wir es gewagt hatten, Ferien zu beanspruchen. Sechs Wochen lang. Und nicht ein einziges Mal an die Schule zu denken.

Neue Schulbücher, die Anlass boten, vor dem ersten Schultag ein Sachbuch zur Hand zu nehmen, gab es nämlich nur zum Schuljahresbeginn. Zu meiner Zeit war das noch im Frühling. Ich war immer mächtig gespannt auf die neuen Bücher, die ich allerdings erst in die meist ungewaschenen Finger bekam, nachdem Mutter sie sorgfältig in die Schutzumschläge gesteckt oder in eine Folie einschlagen hatte.

Jedes Mal hohe Erwartungen – und jedes Mal wieder eine Enttäuschung. Für mich als begeisterten Leser war gerade mal das Lesebuch akzeptabel, aber selbst da fand sich nichts von Karl May. Erdkunde bot Weiterlesen

Sand in Sicht

Foto: Manfred Voita

Schiermonnikoog: die östlichste der bewohnten niederländischen Watteninseln.

Von Lauwersoog aus geht es mit der Fähre hinüber. 45 Minuten durch das Wattenmeer. Kreuz und quer, hin und her, wie die Fahrrinne es eben zulässt. Die Insel ist ganz nah. Zwei Leuchttürme, ein weißer und ein roter. Deich und Dünen, ein Dorf.

Ein Schiff voller Vorfreude. Ein Schiff voller Leben und Sommer. Das Meer, ja, die Nordsee! blitzt im Sonnenlicht, Segelschiffe… nein, die liegen im Schlick, können erst bei Flut weiter. Ehrlich gesagt riecht das Watt auch nicht gut. Ebbe eben. Aber dann ist die Insel da, die Zugbrücke wird heruntergelassen und los geht es.

Den Deich entlang, dann über schmale Wege in den Ort. Schiermonnikoog. Der einzige Ort auf der Insel. Die Insel der grauen Mönche. Zisterzienser haben hier gelebt, dann gab es verschiedene Herren und Herrschaften. Weiterlesen

Wen schert’s?

Foto: Elfie Voita

Vor Stockholm liegen die Schären. Sie liegen da nicht, weil sie beim großen Aufräumen vergessen wurden, sondern sie liegen da, weil das große Aufräumen dafür gesorgt hat, dass es sie überhaupt gibt. Während einer Eiszeit, ich mache mir jetzt nicht die Mühe, den korrekten Zeitraum zu recherchieren, war nämlich Skandinavien von einer dicken Eisschicht bedeckt und als die Eiszeit fertig war und, wie sich das für Eis gehört, langsam wegtaute und an der Waffel runter lief, nein, falsches Bild, schob das Eis weg, was im Wege lag, machte platt, was platt zu machen war und schliff selbst Granit gnadenlos ab.

Manchmal blieb allerdings etwas stehen und als das Wasser kam, das wir als Ostsee, alle anderen als baltisches Meer kennen, ragten kleinere und größere Inselchen heraus. Weil aber der Druck des Eises weg war, stieg und steigt der Boden dort langsam an und es ist eine Frage der Zeit, dass wir nicht mehr mit dem Schiff, sondern mit dem Aufzug nach Stockholm fahren müssen. Aber das hat, Weiterlesen

Morgengrau

Es war eine Schnapsidee gewesen, mit gepacktem Koffer und Kreditkarte zum Flughafen zu fahren und das nächstbeste Last-Minute-Angebot zu nutzen.

Als mich die Stewardess weckte um mir zu sagen, dass ich mich für den Landeanflug anschnallen müsse, hatte ich längst wieder vergessen, wohin der Flieger überhaupt ging. Die Getränke an Bord waren mit im Preis gewesen, halfen gegen Flugangst – und ich hatte eine Menge Angst!

Der Busfahrer, der den Transfer zum Hotel übernahm, sprach nicht, jedenfalls nicht mit uns Reisenden und als uns die deutschsprachige Reiseleitung im Hotel begrüßte, gab es Cocktails, all inclusive eben.

Ich hatte das Standardpaket gebucht, Sommer, Sonne, Meer, Unterkunft und Verpflegung, Getränke inklusive. An die folgenden Tage habe ich keine konkreten Erinnerungen, es war ja Urlaub. Dann wachte ich auf, es war heiß, es war hart und es war draußen. Keine Ahnung, wo ich war oder wie ich da hingekommen war. Filmriss. Und dann stand da noch ein Esel und starrte mich tieftraurig an.

Plötzlich wurde es laut. Ein zorniger Bauer, dann ein Uniformierter, ein Palaver, immer wieder Hände, die auf den Esel deuteten, dann auf mich. Ein Baum, ein Seil, eine Schlinge, jemand pfiff die Melodie aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Irgendwie hatte ich plötzlich mein Portemonnaie in der Hand und… ja, nun stehe ich hier vor dem Hotel und frage mich, wie ich mit meinem Esel da rein komme.

Zeit für Zeitler

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

Ich hatte doch nicht etwa schon erwähnt, dass wir in Berlin waren? Dass wir auf Friedhöfen waren? Dass wir auf dem Georgenfriedhof waren? Na Gott sei Dank, ich dachte schon, ich werde vergesslich. Mit der Vergesslichkeit der Menschen hat offenbar auch die Familie Zeitler gerechnet, die ein bemerkenswertes Grabmal hinterlassen hat. Es erinnerte mich ein wenig an die modernen Formel-1-Rennwagen. Natürlich nicht, weil es so schnell ist, ganz im Gegenteil, Gräber sind ja generell entschleunigt. Aber die Rennwagen – die übrigens, ich habe das nachgesehen, Boliden genannt werden, sind meist wie auch die Fahrer übersät mit Werbung. Wo auch immer Platz ist – seltsamerweise bisher nicht auf dem Visier des Fahrers – wird ein Aufnäher, Aufkleber oder was auch immer angebracht. So ähnlich ist das mit diesem Grabmal. Da hatte mal jemand etwas mitzuteilen!

Schon das Motto dieses Grabes, denn es ist eher ein Motto, weniger eine Grabinschrift, ist etwas… ungewöhnlich: Selig sind die Todten, sie ruhen von ihrer Arbeit. Mal abgesehen von der Schreibweise, ich hatte mir immer mehr vom Tod versprochen: Belohnung für die guten Taten, gut, auch etwas Fegefeuer und so,  Jungfrauen, Musik, und sei es auch nur ein ständiges „Halleluja! Luhja! Luhja, sog i! ‚zeefix Halleluja! Luhja!“ 

Richtig detailbesessen wird es dann auf der vom Betrachter aus gesehen linken Seite des Mausoleums. Da rechnet uns jemand vor, dass es nicht einfach und nicht billig ist, hier auf diesem Friedhof von der Arbeit zu ruhen. Immerhin bekommen wir auf diese Weise nicht nur einen guten Eindruck von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des gerade entstehenden deutschen Kaiserreichs, sondern wir wissen auch ziemlich zügig, wie jemand getickt haben muss, der uns Nachgeborenen nicht einen besinnlichen Text, sondern ein Bautagebuch hinterlassen hat.

Also, bevor ich meinen Angehörigen so einen Stress mache, verzichte ich lieber gleich ganz auf das Sterben.

Kültür

Das es nicht reicht, auf die Armbanduhr zu gucken, um sich hinreichend mit dem Phänomen Zeit auseinandergesetzt zu haben, war mir eigentlich schon länger klar – dafür hätte es nicht eines populärwissenschaftlichen Bestsellers bedurft.

Jeder, der einmal versucht hat, eine Geschichte zu schreiben, kommt nicht umhin, sich Gedanken zu machen über Erzählzeit und erzählte Zeit, vollendete Gegenwart und was auch immer die Germanisten sonst noch an Fallstricken ausgelegt haben mögen. Naturwissenschaftlich ist Zeit ein noch viel komplexeres Problem – und bis ins Detail verstanden hat es offenbar noch keiner – soweit immerhin habe ich den schon angesprochenen Bestseller gerade noch kapiert.

Offen gestanden lese ich solche Bücher auch nicht in der Erwartung, wirklich viel darüber zu erfahren, wie unsere Welt funktioniert, nein, es geht mir eher um das angenehme Gefühl, das wirklich kluge Menschen sich mit all diesen … Dingen herumschlagen und schon dafür sorgen werden, dass die Naturgesetze auch von niemandem übertreten werden.

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Zum Anbeißen

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

In der Alexanderkirche in Marbach haben wir diesen wunderschönen Fratzenkopf gesehen. Ob solche Maskarons, wie sie offiziell heißen, was es aber auch nicht besser macht, dazu beitrugen, die Gläubigen in die Kirche zu bringen, oder einfach nur als willkommene Ablenkung von dem ewigen Jauchzen und Frohlocken dienten: Ich kann ihnen jedenfalls nicht widerstehen!

Dennoch waren wir nicht wegen dieses Kinderschrecks in Marbach, sondern es gab dort im Schiller-Nationalmuseum die Ausstellung Arno Schmidt? – Allerdings!
Interessant? Tja, leider verpasst, aber nur um neun Jahre. Im Internet kann vieles aber noch nachvollzogen werden: http://www.arno-schmidt-allerdings.de/ausstellungen/index.html

Es war ein heißer Sommer – und ich meine heiß! Das Schiller-Nationalmuseum liegt auf einem Berg, wie ganz Baden-Württemberg, natürlich nicht alles auf demselben, aber schon unpraktisch. Wir waren so dankbar, als wir oben ankamen – und dann hatte dieses Nationalmuseum nicht einmal eine Klimaanlage. Okay, Schmidts hatten in Bargfeld auch keine – aber DAS SCHILLER-NATIONALMUSEUM ist doch wohl etwas anderes als die karge Behausung des großen Mannes.

Doch das sind die Württemberger, sagen wir es doch gleich deutlicher: die Schwaben. Fleißig aber knauserig. In Schillers Geburtshaus standen nicht mal Möbel. Schlimmer noch, man wusste nicht mal, ob es sein Geburtshaus war, noch schlimmer: Man war sich eigentlich sicher, dass das Geburtshaus ein paar Häuser weiter entfernt lag. Okay, aber nun hatte man ja schon all die Schilder und Flyer und wen scherte schon die historische Genauigkeit? 2017 ist Lutherjahr, da fahren wir nach Eisleben und gucken uns Luthers Sterbehaus an, da ist Luther nicht gestorben, definitiv nicht. Schmidt hätte seine Freude daran gehabt. Womit wir wieder beim Thema Kinderschreck wären. Oder Leserschreck?

Jede Menge Sterne

Ich habe schon erwähnt, dass wir in Urlaub waren. Manche mögen es komfortabel, wenn sie in die Fremde aufbrechen, aber dann will ich anschließend nicht wieder nach Hause. Andere mögen es spartanisch, aber dann kann ich ja gleich zuhause bleiben.

Manche wollen sehr weit weg, das dauert mir aber zu lange und dann ist da auch alles so fremd. Andere wollen lieber in der Nähe bleiben, aber wozu dann überhaupt wegfahren?

Habe ich schon erwähnt, dass ich es nicht so mit Bergen habe? Also in Leer, einer wunderschönen Stadt in Ostfriesland, ist der Plytenberg die höchste Erhebung: stolze neun Meter! Ich habe dort gelebt, nein, nicht auf dem Plytenberg, sondern in Leer – und der macht wirklich was her, weil alles andere flach ist. Flachland halt. Neun Meter sind okay.

Hitze vertrage ich nicht.

Ich kriege schon einen Sonnenbrand, während ich die Flasche mit dem Lichtschutzfaktor 100 nicht aufbekomme. Dieser Lichtschutzfaktor reicht für meine Frau bei einmaligen Einreiben für den ganzen Sommer, für mich für eine Viertelstunde, aber nur, wenn ich das Haus nicht verlasse. Okay, das war übertrieben. Es reicht für eine halbe Stunde. Kälte? Wintersport? Nicht mal im Fernsehen. Es reicht mir, wenn man mir von Schnee erzählt. Ich muss nicht jede Erfahrung machen. Schließlich habe ich Phantasie, wenn nicht inhaltlich, dann doch wenigstens bei der Rechtschreibung.

Am Strand bin ich schon gern, nur der Sand… überall Sand, zwischen den Zehen und zwischen den Zeilen. Also Lesen geht nicht gut, vor allem auch wegen der von der Sonnenmilch klebrigen und dann auch noch sandigen Finger: Ich hasse es, wenn meine Bücher schmuddelig werden, Eselsohren kriegen, Risse im Umschlag.

Wir sind trotzdem verreist. Mit dem Auto, dann mit dem Fahrrad und – wie auch schon mal geschildert – mit ganz wenig Gepäck. Ich hatte schon erwogen, mir in jeder Stadt ein Buch zu kaufen. Nein, das war nicht ganz richtig formuliert. Ein- und dasselbe Buch in jeder Stadt, dann muss ich es nicht in der Satteltasche als Ballast rumschleppen und versaue es nicht, kann aber jeden Abend drin lesen. Ich hab mich dann nicht getraut, ich fahr ja nicht allein.

Zelten haben wir aufgegeben, es würde zu weit führen, das jetzt zu erklären, aber es gibt Hotels, die muss man gesehen, die muss man erlebt haben. Das eigentliche Gästehaus war dreigeschossig und unser Zimmer lag im zweiten Stock. Es gab nur rund zwanzig Zimmer… aber wir fanden unser Zimmer nicht. Treppe rauf, Treppe runter. Kleiner Gang, dann eine Tür, ein Balkon, eine Tür, eine Treppe, hoch, runter, ein Gang, waren wir hier schon mal? Nein, andere Zimmernummern. Weiter. Steile Holztreppen, die parallel zueinander verlaufen, Spiegel am Ende des Ganges. M.C. Escher hätte seine Freude gehabt. Wir haben dann im Hof …

Nein, schließlich fanden wir das Zimmer, eingerichtet mit so einer leicht angenagten Eleganz. Das Telefon aus Porzellan. Die Klimaanlage aus… nein, einfach aus. Hinter dem plüschigen Bett ein Band, das von der Decke hing, ich kannte das von meiner Großmutter. Sie zog daran, dann erlosch die Schlafzimmerlampe. Sehr schlau, sie brauchte nicht im Dunklen ins Bett zu gehen und nicht aufstehen, um das Licht auszumachen. Nur war in unserem Hotelzimmer keine Deckenleuchte. Ich habe das Band natürlich ausprobiert.

Aufs Bett gelegt,am Band gezogen. Prompt ging die Sonne unter.

Fietsen

Mein nächstes Projekt hat zunächst einmal nichts mit Texten zu tun, aber das weiß man ja eigentlich immer erst hinterher – und wann genau hinterher ist, weiß man auch erst, wenn es dann doch zu einem Text wurde. Vielleicht aber auch nicht, weil man sich nicht mehr daran erinnert. Bevor das hier ausufert: Es geht um meinen Urlaub. Um unseren Urlaub natürlich.

Wir haben den Fahrradurlaub für uns entdeckt. Ein paar hundert Kilometer fahren wir vorher schon mit dem Auto, bevor wir dann auf unsere Räder steigen. Sonst könnte man ja denken, dass wir uns eine richtige Reise nicht leisten können.

Diesmal radeln wir in Ostfriesland und den angrenzenden Niederlanden, also der Region zwischen Winschoten und Groningen auf der niederländischen Seite und Leer, Aurich, Norden und Emden einschließlich der Krummhörn auf der deutschen Seite. Wer meinen Blog kennt, weiß, dass wir die Niederlande sehr mögen. Ein wenig kennen wir uns da schon aus, trotzdem sind wir immer dankbar für gute Tipps

In jener fernen Vergangenheit, in der deutsche und niederländische Fußballer sich noch bespuckten und die Geschäfte samstags noch um 13:00 Uhr schlossen, habe ich mal Niederländisch gelernt. Leider sehen die Niederländer das nicht ein. Also spreche ich nicht mit ihnen – oder wenn, dann halt auf Deutsch. Dafür höre ich dann heimlich hin, wenn sie sich auf Niederländisch über uns lustig machen, damit sind wir quitt.

Aber in der Folge meiner Bemühungen um die niederländische Sprache und Kultur habe ich es zu schätzen gelernt, niederländische Autoren im Original zu lesen – und es gibt einige, bei denen sich das lohnt. Um die zu hören, wäre es vermutlich klüger, einfach zuhause zu bleiben, denn früher oder später lesen sie im niederländischen Seminar der Uni Münster. Maarten ’t Hart, Geert Mak und Thomas Rosenboom – um nur einige zu nennen, die in Münster lasen – haben es ja auch in die deutschen Buchhandlungen geschafft.

Also werden wir in Groningen oder wo auch immer wir eine Buchhandlung finden… daran vorbei gehen, weil wir nämlich keinen Platz für Ballast haben (ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal über Bücher sagen würde.) Folglich werden wir ins Museum gehen, da kann man gucken, darf aber nichts mitnehmen. Ich kann nämlich in einer Buchhandlung nicht Bücher gucken gehen, man geht doch auch nicht zum Bäcker, um sich dort Brote anzusehen. Jedenfalls nicht zu einem holländischen Bäcker.