Berlinbesuch

Foto: Elfie Voita

Es gibt, habe ich gehört, Städte, die man liebt, weil sie so schön sind. Amsterdam zum Beispiel. Es gibt auch die Stadt, die man um seiner selbst willen liebt, weil sie Heimat ist und so vertraut wie die eigene Haut, die man, auch wenn sie mal Pickel oder Wunden hat, doch nicht verlässt. Das wäre ja mal eine ganz neue Definition von Reisen: aus der Haut fahren!

Dann sind da noch die Städte, die man gar nicht richtig sehen, nicht richtig spüren kann, weil sie so aufgeladen sind mit Geschichte, mit Erinnerungen, mit Bildern, die sich über die reale Stadt legen und sie fast unsichtbar machen. Städte, in denen man nicht zuhause ist und nicht zuhause sein kann, weil es sie überhaupt nicht gibt, weil es sie so, wie man sie im Kopf hat, nicht gibt und vielleicht auch nie gegeben hat.

Berlin ist so eine Stadt. Amsterdam nicht. Nicht, weil Amsterdam nur eine schöne Oberfläche, ein touristisches Gesicht besäße und keine Tiefe, oh doch, und ein bisschen davon weiß ich und kenne ich, aber es ist so schön, dass das allein schon reicht, dass ich immer wieder nur hinsehen muss, stehenbleiben muss und gucken und mich umdrehen und schau mal da und sieh mal dort sagen und fotografieren muss.

Berlin, da muss ich eigentlich überhaupt nicht hin. Das kenne ich schon, kannte ich, bevor ich da war und, obwohl ich nichts finde und überhaupt nicht weiß, was eigentlich wo ist, denke ich, so wird es sein und dann ist es auch so. Dagegen kann die Stadt überhaupt nicht an. Klar, sie kann mich begeistern, aber das Weiterlesen

Aufgemerkt und weggehört

Eckenstehender Nante kehrt immer wieder. Viele Berliner Strassenecken waren mit einem steinernen "Prellbock" gesichert.

Bundesarchiv, Bild 146-1976-141-11 / Hoffmann / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)%5D, via Wikimedia Commons

Lunapark von Volker Kutscher war durch. Ich war zu Beginn der Reihe, in deren Mittelpunkt der Kriminalpolizist Gereon Rath steht und die während der Weimarer Republik und zur Zeit der Nazidiktatur spielt, sehr angetan.

Natürlich kannte ich schon die Berlin-Trilogie von Philip Kerr, die inzwischen, wie ich gerade feststelle, deutlich angewachsen ist. Vaterland von Robert Harris dachte den Nazi-Staat weiter, spielte mit der Frage, wie die Gegenwart aussehen könnte, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte.

Ich nahm immer an, dass für einen deutschen Autoren der Umgang mit der NS-Zeit komplizierter sein müsste, einfach, weil wir keinen einfachen Umgang mit der Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts haben könnten. Dachte ich. Inzwischen geht da einiges, der Horror ist komödienreif geworden. Auch wenn mir davon Weiterlesen

Präfaktisch

Natürlich wird auch diesmal nichts mehr so sein, wie es vorher war. Natürlich halten wir inne, reagieren besonnen, verteidigen unseren freiheitlichen Lebensstil.

Aber wir übertreiben es auch nicht mit der Besonnenheit. Kommentare müssen rausgehauen werden, solange noch jeder hinsieht, hinhört. Also auch schon, solange man nichts genaues weiß. Oder gerade dann, denn auf der Basis völliger Unkenntnis lässt sich hervorragend spekulieren. Da sagt man gern auch einmal, dass wir uns im Kriegszustand befinden, dass Langwaffen eingesetzt werden können.

Präfaktisch, könnte man sagen.

Mehr Sicherheit. Obergrenzen. Abschieben. Ausweisen. Wegsperren.

LKW verbieten. Geht nicht?

Betonsperren. Zu teuer?

Mehr Polizei. Zu teuer?

Sicherheit hat einen Preis. Freiheit hat einen Preis. Frieden hat einen Preis. Wohlstand hat einen Preis.

Irgendwer muss zahlen.

Aber wir doch nicht.

Alles nur Fassade

Foto: Manfred Voita

Foto: Manfred Voita

Berlin ist angesagt. Die Stadt macht sich fein, gerade in Berlin-Mitte wird sichtbar, wie die Hauptstadt poliert wird. Baustellen überall. Nun hat die Stadt im Krieg einiges verloren… obwohl: Geht man in den ehemaligen Osten, wozu Mitte ja auch gehört, dann steht da noch ganz schön viel an alter Substanz, manches davon verfällt, anderes wird prächtig restauriert. Da ist in Westberlin wohl vieles dem Wunsch nach Modernität geopfert worden. Das war in anderen deutschen Städten ja nicht anders, was nicht zerstört worden ist, wurde durch Waschbeton ersetzt. Aber mir geht es nicht so sehr um die Architektur, auch moderne Architektur hat ihren Reiz und manchmal brauche ich Jahre, um das endlich einzusehen, mir geht es um die Ablesbarkeit von Geschichte. Die Friedhöfe habe ich an anderer Stelle schon erwähnt, da zeigt sich die Geschichte anhand der großen Namen, aber auch durch den Verfall, die Zerstörung, die Spuren des Krieges und ich hoffe, dass diese Spuren genau so erhalten bleiben.

Straßennamen gehören auch dazu. Gut, ich habe generell ein Problem damit, Straßen nach Menschen zu benennen, Blumen, Vögel und Himmelsrichtungen sollten ausreichen, meinetwegen auch noch alle anderen Tiere, Instrumente, Werkzeuge und Pflanzen. Die entpuppen sich nicht 50 Jahre später als Verbrecher. Ich brauche keine Adolf-Hitler-Straße als Zeichen für den Nationalsozialismus und keine Walter-Ulbricht-Allee für den Sozialismus Marke DDR. Aber ich möchte in den Städten der Gegenwart und Zukunft auch die Vergangenheit erkennen können, ohne eine Stadtführer bemühen zu müssen, der mir sagt, was ich hier einst hätte sehen können.

Gedenktafeln an Häusern sind eine Möglichkeit, manchmal brauchte man aber auch nur eine Wand zu erhalten, eine wie die in Potsdam. Und nein, da wird nicht gerade der Sozialismus aufgebaut. Eher umgekehrt. Nicht weit von dieser Baustelle wird die Garnisonskirche wieder hergestellt, die, in der Hitler von Hindenburg in die Tradition der deutschen Kaiser und Könige gestellt wurde. Um nicht mißverstanden zu werden, dafür kann die Kirche ja nichts, aber wir brauchen eben nicht unbedingt die Wiederherstellung der preußischen Größe und des preußischen Prunks, unsere Geschichte ist… spezieller.

 

Berlin: Rahel Varnhagen von Ense

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

„Berlin, den 3. November 1819

Es wird eine Zeit kommen, wo Nationalstolz eben so angesehen werden wird, wie Eigenliebe und andere Eitelkeit; und Krieg wie Schlägerei. “

Rahel Varnhagen von Ense: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, Bd. 2. Berlin 1834

Ein literarischer Salon… so richtig kann ich mir nicht vorstellen, wie so ein Salon funktioniert hat. Immer von einer Frau, nein, von einer Dame aus gutem Hause geleitet, die durch ihre umfassende Bildung und Eloquenz nicht nur Gastgeberin, sondern auch Zentrum des Salons war. So ein Mittelding zwischen Anne Will, Gloria von Turn und Taxis, Julie Zeh und Sigrid Löffler vielleicht? Und der Salon… ein Poetry Slam oder doch eher das literarische Quartett mit Autorenlesung, Tee mit Rum und Häppchen?

Rahel Varnhagen von Ense, geborene Levin, leitete einen der berühmtesten literarischen Salons. Zwischen 1790 und 1806 und dann wieder ab 1819 lud sie in Berlin die unterschiedlichsten Menschen aus Hochadel, Literatur, Wissenschaft und…ja, heute würden wir es Showgeschäft nennen, in ihren Dachstubensalon ein. Und das in einem jüdischen Haus und unter der Führung einer Frau, die sich ihre Bildung selbst erarbeiten musste, einer Autodidaktin, die nicht nur geistreich plaudern konnte, Weiterlesen

Berlin: Chamisso

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

„Ich will ganz ohne Prunk und in der Stille in die Erde versenket werden. Es mögen nur ein paar Freunde sehen, wo meine Asche bleibet, und sich niemand sonst bemühen. Soll die Stelle bezeichnet werden, mag ein Baum es thun, höchstens eine kleine Steinplatte. Ich verbiete auf jeden Fall jegliche andere Grabinschrift als meinen Namen, nebst Datum der Geburt und des Hinscheidens.“

ADALBERT VON CHAMISSO

GEB. D. 30 Januar 1781

GEST D 21 AUGUST 1838

Auf dem Friedhof, auf dem sich das Grab E. T. A. Hoffmanns befindet, wurde auch Adalbert von Chamisso begraben. Ach ja, Adalbert von Chamisso, dachte ich, sagte es wohl auch, aber eigentlich war das mehr ein Fall von Namedropping. Ich kannte den Namen, wusste aber nicht (mehr), warum er mir bekannt war. Dass er zu E. T. A. Hoffmanns literarischem Freundeskreis, den Serapionsbrüdern , gehörte, war mir nicht bekannt. Ich hätte mich jedoch daran erinnern können, Weiterlesen

Berlin: E. T. A. Hoffmann

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

„Gewiß seid Ihr alle voll Unruhe, daß ich so lange – lange nicht geschrieben. Mutter zürnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir in Herz und Sinn eingeprägt, ganz und gar. – Dem ist aber nicht so; täglich und stündlich gedenke ich Eurer aller und in süßen Träumen geht meines holden Clärchens freundliche Gestalt vorüber und lächelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. – Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher alle Gedanken verstörte! – Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! – Dunkle Ahnungen eines gräßlichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten über mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl.“ aus: E.T.A. HOFFMANN: NACHTSTÜCKE, Herausgegeben von dem Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier, Erster Teil: Der Sandmann

U-Bahnstation Mehringdamm, eine sechsspurige Straße. Berlin, Friedhof III der Gemeinde der Jerusalem- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor… früher Morgen. Stille. Totenstille. Ein Eichhörnchen spielt Verstecken. Ein Lageplan… eigentlich ein Liegeplan, nicht schwer zu finden: ein kleines Grab. Ernst Theodor Wilhelm Hoffman steht da. Preußen war nachtragend und verweigerte dem Mann, der so viele Talente hatte, den selbstgewählten dritten Vornamen Amadeus, den er aus Bewunderung für Mozart gewählt hatte. Heute ist es immerhin ein Ehrengrab.

E. T. A. Hoffmann? werde ich gefragt. Offenbar kein Begriff mehr. E. T. A. Hoffman gehört ohne Zweifel zu „den wenigen Namen, die uns stets die Großen bleiben werden.“ sagt Arno Schmidt in seinen „Dichtergespräche im Elysium“. Aber Schmidt kennt ja auch keiner mehr.

E. T. A. Hoffmann, der die Nachtseiten der menschlichen Existenz, das Unheimliche, das uns bedroht, ob von außen oder – schlimmer noch – in den Bildern, die unsere Psyche, unsere Einbildungskraft, unsere Angst uns aufzwingen, wie kaum ein anderer aufzurufen wusste, wird von Schmidt in den neunzehnhundertvierziger Jahren, Weiterlesen

Vier zu eins

Ich meine mich zu erinnern, dass ich schon von unserer Berlinreise berichtet habe… aber so ist das wohl, wenn Provinzler in die große Stadt fahren: Noch tagelang tun die Füße weh und noch länger dauert es, bis die Eindrücke sortiert, bewertet und abgeheftet sind. Manchmal helfen die Nachrichten dabei, ein Erlebnis wieder aufzufrischen, was im Falle von Vapiano natürlich nur dem Gedächtnis, nicht aber den umetikettierten Lebensmitteln nützt. Manchmal blättert man in seinen Fotos (ein Euphemismus: wer blättert schon noch, wenn alles digital ist), sieht und denkt: Da lege ich mir doch einen digitalen Friedhof an. Arno Schmidt ruht in Bargfeld, den werde ich für meine kleine Gräberschau nicht umbetten lassen, sein Grab ist aber hier zu sehen. Für alle, denen es – warum auch immer – etwas bedeuten mag, hier also ein paar Bilder vom Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.

Bertolt Brecht

Hegel

Arnold Zweig

Heinrich Mann

Anna Seghers

Vier zu eins übrigens, weil neben den vier Grabsteinen, die an Autoren und Autorinnen erinnern, der Philosoph Hegel in diese Reihe aufgenommen werden musste.

Köpfe (3)

Berliner Kopf 2Bild: Elfie Voita

Es ist ja gut, wenn man seinen eigenen Kopf hat – aber muss es denn gleich so einer sein? An Halloween mag das ja ganz praktisch sein, aber so während der Woche, ich weiß nicht. Übrigens ist mir dieser Metallschädel in Berlin aufgefallen, da schaut er aus drei oder vier Meter Höhe auf die Passanten herab.

Zeit für Zeitler

Foto: Elfie Voita

Foto: Elfie Voita

Ich hatte doch nicht etwa schon erwähnt, dass wir in Berlin waren? Dass wir auf Friedhöfen waren? Dass wir auf dem Georgenfriedhof waren? Na Gott sei Dank, ich dachte schon, ich werde vergesslich. Mit der Vergesslichkeit der Menschen hat offenbar auch die Familie Zeitler gerechnet, die ein bemerkenswertes Grabmal hinterlassen hat. Es erinnerte mich ein wenig an die modernen Formel-1-Rennwagen. Natürlich nicht, weil es so schnell ist, ganz im Gegenteil, Gräber sind ja generell entschleunigt. Aber die Rennwagen – die übrigens, ich habe das nachgesehen, Boliden genannt werden, sind meist wie auch die Fahrer übersät mit Werbung. Wo auch immer Platz ist – seltsamerweise bisher nicht auf dem Visier des Fahrers – wird ein Aufnäher, Aufkleber oder was auch immer angebracht. So ähnlich ist das mit diesem Grabmal. Da hatte mal jemand etwas mitzuteilen!

Schon das Motto dieses Grabes, denn es ist eher ein Motto, weniger eine Grabinschrift, ist etwas… ungewöhnlich: Selig sind die Todten, sie ruhen von ihrer Arbeit. Mal abgesehen von der Schreibweise, ich hatte mir immer mehr vom Tod versprochen: Belohnung für die guten Taten, gut, auch etwas Fegefeuer und so,  Jungfrauen, Musik, und sei es auch nur ein ständiges „Halleluja! Luhja! Luhja, sog i! ‚zeefix Halleluja! Luhja!“ 

Richtig detailbesessen wird es dann auf der vom Betrachter aus gesehen linken Seite des Mausoleums. Da rechnet uns jemand vor, dass es nicht einfach und nicht billig ist, hier auf diesem Friedhof von der Arbeit zu ruhen. Immerhin bekommen wir auf diese Weise nicht nur einen guten Eindruck von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des gerade entstehenden deutschen Kaiserreichs, sondern wir wissen auch ziemlich zügig, wie jemand getickt haben muss, der uns Nachgeborenen nicht einen besinnlichen Text, sondern ein Bautagebuch hinterlassen hat.

Also, bevor ich meinen Angehörigen so einen Stress mache, verzichte ich lieber gleich ganz auf das Sterben.

Ruhe

Berlin lässt sich selbstverständlich nicht darauf reduzieren, dass es an manchen Stellen etwas streng riecht. Es ist eine sehr lebendige Stadt – und was mache ich in einer solchen Stadt? Ich gehe auf den Friedhof. Da hab ich meine Ruhe, wenn es auch nicht gleich die ewige sein muss.

Der Friedhof der Georgen-Parochialgemeinde hinterlässt allerdings einen zwiespältigen Eindruck. Überall in der Stadt wird renoviert, restauriert oder gleich neu gebaut, nicht so auf dem Georgenfriedhof. Hier dürfen die Gruften und Grabmale in aller Schönheit und Schrecklichkeit verfallen. Ein bröckelnder Stein, ein angeschlagener Engel, ein schiefes Kreuz, zeugen von der Zeit, die Wunden heilt und Trost spendet. Eine aufgebrochene Gruft, die den Blick freigibt auf unterirdische Räume, in denen einst die Särge standen, Grabsteine, die Spuren des Krieges tragen, machen klar, letztlich gibt es eben keinen Ort der ewigen Ruhe, keine letzte Sicherheit, keine Würde der Toten.

Nur Leben und Tod.

Keine überraschende Erkenntnis, aber manchmal muss ich dafür einen Ort wie den Georgenfriedhof aufsuchen.

Zurück, aber haarscharf

 

Es gibt Themen, die fließen einem leichter aus der Feder. Aber es muss sein. Und damit bin ich auch schon bei meinem Thema: dem Müssen. Der Anlass ist rasch erklärt. Wir waren ein paar Tage in Berlin. Nicht zum ersten Mal, aber zumindest für mich das erste Mal seit… 1990? Für alle, bei denen das ähnlich ist: Es hat sich einiges verändert und ich für meinen Teil weiß noch nicht, wie ich zu all diesen Veränderungen stehe. Vielleicht muss ich noch mal hinfahren, um genauer zu wissen, was ich über Berlin denke, was ich von Berlin halten soll.

Auf jeden Fall stank mir die Stadt. Freilufturinieren scheint eine Art Sport geworden zu sein, zumindest eine weit verbreitete Beschäftigung, der keineswegs immer nur heimlich oder bei Nacht nachgegangen wird. So monumental, wie einiges von dem, was sich gerade in Mitte tut, was gerade in Mitte getan oder was Mitte gerade angetan wird, so monumental, so aufdringlich ist das, was unter Brücken, in Unterführungen und an anderen Stellen an Geruchsimpressionen vorgehalten wird.

Ich will ja nicht jammern… aber ich tue’s. Umso schlimmer, dass ich mir nun auch noch selbst in den Rücken fallen muss. Auf der Rückfahrt – per Bahn – verspürte ich einen zunehmenden Druck, ein Bedürfnis, dem ich nachgeben wollte und schließlich auf einer Bahnhofstoilette auch nachgeben konnte. Eine dieser modernen Anlagen, die WC-Center heißen und nicht einfach öffentliches Klo. Personal ist nicht zu sehen, diese Center reinigen sich vielleicht auch selbst, jedenfalls kann nach Münzeinwurf ein Drehkreuz bewegt werden und gibt den Zugang zum WC-Center frei.

Allerdings verweigerte es in meinem Fall die Rückkehr in den Bahnhof. Während meine Frau allein mit dem Koffer auf Bahnsteig 2 auf die verspätete Regionalbahn wartete, versuchte ich an dem Drehkreuz zu rütteln. Mehr als ein warnendes Piepen waren meine Bemühungen wohl nicht wert. Eine Frau, die sich noch jenseits des blockierten Ausgangs befand, betrachtete meine Anstrengungen mit Argwohn, weigerte sich aber, mit dem Einwurf eines weiteren Euros das Drehkreuz auf seine Funktionsfähigkeit zu testen bzw. ihm seine Pflichten in Erinnerung zu rufen. Während ich also schon darüber nachdachte, wie ich das Hindernis überwinden könnte, gab das Tor schließlich doch noch nach und ging auf. Ich war frei, verstand aber plötzlich die Wildpinkler viel besser.

Zwischenfall

Berlin, 10.12. Die Regierungskrise, die seit Tagen die Hauptstadt erschüttert, hat jetzt zu ersten Konsequenzen geführt. Eine stellvertretende wissenschaftliche Hilfskraft der Zentralbibliothek des deutschen Bundestages wurde mit sofortiger Wirkung in das Archiv für Zeitgeschichte versetzt.

Berlin, 09.12. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der die Aufklärung der Mustermann-Affäre betreiben sollte, hat sich heute Morgen bei seiner konstituierenden Sitzung überraschend aufgelöst und ist zu einem gemeinsamen Kurzurlaub in die Toskana abgereist.

Berlin, 08.12. François Hollande und David Cameron weigerten sich bei dem europäischen Sondergipfel in Straßburg, der wie geplant keine greifbaren Ergebnisse brachte, gemeinsam mit der Bundeskanzlerin vor die Kameras zu treten. Die Kanzlerin versprach daraufhin, ihre Haltung nochmals zu überdenken.

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