Ein Mensch fällt aus Deutschland

Die Wut, die wir so nicht kannten, der Hass,  das Gefühl vieler, dass es so nicht weitergehen könne, weil nichts mehr wahr ist, man niemandem mehr trauen kann, dass es einen Wandel bräuchte, einen kleinen Hitler vielleicht, einen Krieg, möglicherweise, die Brandbeschleuniger, die in vielen Ländern an der Macht sind oder nach der Macht greifen: Wir stecken bis zum Hals mitten in diesem Schlamassel und manchmal, so scheint es mir, schlagen die Wellen auch schon über uns zusammen.

Einen Schritt zurück, etwas Abstand einnehmen und mal in eine andere Richtung gucken, ein Buch lesen, statt der breaking news, statt der push-Nachrichten auf dem Handy. Ein altes Buch, eins aus dem Jahr 1936. Konrad Merz, der eigentlich Kurt Lehmann hieß, hatte bis zur Machtergreifung, die in Wahrheit ja durch nichts anders als eine demokratische Wahl zustande gekommen war, ein gewöhnliches Leben in Berlin geführt.  1933 emigrierte in die Niederlande, nachdem er seiner jüdischen Herkunft wegen sein Studium hatte abbrechen müssen. Weiterlesen

Übern Jordaan gehen

Foto: Leonie Voita

Foto: Leonie Voita

„Een vreemd lichtspel, geheimzinnig van wisselende glanzen, trilde over de grillige puien en gevelsteenen uit. Een dwaze rumoerigheid klonk plotseling t’allenkant door de nachtstraat-stilte.“

Israël Querido: De Jordaan: Amsterdamsch epos. Deel 4: Mooie Karel(1924), S. 230

Ein eigentümliches Lichterspiel, von geheimnisvoll wechselndem Glanz, zitterte über die bizarren Fassaden und Gibelsteine hinweg. Ein aberwitziger Krawall klang plötzlich von allen Seiten durch die Nachtstraßenstille. (Eigene Übersetzung)

Israël Querido hat mit seinen Texten dafür gesorgt, dass der Jordaan bekannt wurde. Weiterlesen

Literarisches Amsterdam (4)

Marinus Pütz führt uns durch Amsterdam, am zweiten Tag unseres Aufenthalts in der Stadt. Schon am Freitag sind wir angereist und wieder einmal Stunde um Stunde durch die Stadt geschlendert. (Ulla Meinecke: Schlendern ist Luxus).

Haarlemmerstraat und Haarlemmerdijk. Dabei wusste ich nicht mal, dass diese Straße, ja, es ist nur eine, die Haarlemmerstraat heißt ab einem bestimmten Punkt einfach Haarlemmerdijk, auch noch zum Jordaan gehört. Gegoogelt natürlich.

Und wie immer einmal zu oft hingeschaut, denn mich interessiert ja die Literatur in Amsterdam. Genau zu diesem Thema endet am 30.08.2016 eine Ausstellung im Jordaan, der übrigens von einer verwahrlosten Arme-Leute-Gegend zu einer sehr gefragten und schönen Wohngegend geworden ist.

Nicolaas Matsier hat hier gewohnt, der in Deutschland mit dem Roman ‚Selbstporträt mit Eltern‘ bekannt wurde. Verpasst. Nicht Nicolaas Matsier, sondern die Ausstellung zum Thema Literatur über den Jordaan. Wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, springt mich das Material geradezu an und ich will mehr und noch mehr wissen und nichts verpassen.

Amsterdammer sind sehr entspannt, sehr ‚easy going‘ was vermutlich eine unzulässige Verallgemeinerung ist und nur wiedergibt, was mir ständig unter die Nase gerieben wird. Aber ich mag dieses Vorurteil und finde immer wieder Beispiele dafür. Gerade im Haarlemmerdijk. Beliebte Einkaufsstraße? Möglicherweise, aber es ist nicht überfüllt, die Leute sitzen vor den Cafés und Coffeshops, Köche aus aller Welt scheinen sich hier versammelt zu haben.

Kneipen: Marinus zeigt uns die Literatenkneipen der Stadt, die Bühnen, auf denen der literarische Nachwuchs des Landes seine ersten Gehversuche macht, erklärt uns, dass Amsterdam ein unerschöpfliches Thema der modernen niederländischen Literatur ist. Gut, Berlinromane gibt es auch reichlich.

Kneipen? Da war doch was! Joseph Roth, der sich von seinem Hotel in der Warmoesstraat mit einem Boot auf die andere Seite bringen ließ, Damrak 62. Das war die Adresse des Verlags Allert de Lange. Neben dem Querido-Verlag war Allert de Lange der wichtigste Herausgeber für deutsche Exilautoren.

Hermann Kesten und Walter Landauer

Hermann Kesten und Walter Landauer

Fritz H. Landshoff, Amsterdam, Keizersgracht 333, Querido Verlag…
(Berlin, 1991) p. 175

Walter Landauer und Hermann Kesten, beide zuvor beim Gustav Kiepenheuer Verlag in Berlin als Lektoren tätig, leiteten die deutschsprachige Sparte des Verlages. Und auch das gehört zum Thema Literatur in Amsterdam – und zur Geschichte der deutschen Literatur: Einige Jahre nach dem Einmarsch der Deutschen in den Niederlanden wurde Walter Landauer festgenommen und verhungerte 1944 in Bergen-Belsen.

Teil 5

Teil 3

Literarisches Amsterdam (1)

Noch ein paar Tage, dann sind wir wieder einmal in Amsterdam. Ein literarischer Rundgang steht an, organisiert vom Literaturbüro NRW. Was werden wir sehen und hören? Literatur und Amsterdam, da gibt es so einiges. Wikipedia listet 33 Autorinnen und Autoren auf, die in Amsterdam gelebt und gearbeitet haben. Ergänzen, denke ich, lasse es aber. Wo anfangen? Joost van den Vondel fehlt, einer der bedeutendsten Autoren des goldenen Zeitalters der Niederlande.

Aber wie gesagt: Wo anfangen? Kein Vorwurf an den oder die Verfasser des Eintrags, es waren und sind sehr viele, die in Amsterdam geschrieben haben.

Janwillem van de Wetering hat zwar auch in Amsterdam gelebt, seine Kriminalromane entstanden aber in Maine. Ha… man sollte doch nichts recherchieren, das bringt einem nur Arbeit ein. Jetzt habe ich doch gerade nachgeschaut, wo genau van de Wetering gelebt hat, in Surry im Hancock County (Maine) nämlich. Bei der Gelegenheit musste ich jedoch gleich ein Vorurteil revidieren, ich nahm nämlich an, er habe seine Bücher auf Englisch geschrieben, Weiterlesen