Hamm: Sprotte und andere komische Vögel

Paula Modersohn-Becker [Public domain], via Wikimedia Commons

Künstlerkolonien wurden, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man an das ausklingende 19. Jahrhundert denkt, fast ausschließlich von Männern gegründet. Dann zogen Frauen nach, als Malweiber, wie sie abschätzig genannt wurden. Groupies, dachte ich in Ermangelung eines passenderen Begriffs – und ebenso geringschätzig. Bis ich eines anderen, eines besseren belehrt wurde.

Bis heute hat sich wenig daran geändert, dass, wer eine Karriere als bildender Künstler anstrebt, eine möglichst renommierte Hochschule besucht und eine gediegene Ausbildung absolviert. Frauen war dieser Weg im 19. und frühen zwanzigsten Jahrhundert schlicht verwehrt. Die Alternative waren private Kunstschulen. Nun mag man sich durchaus die Frage stellen, ob die akademische Malerei jener Zeit, wie sie an den Kunstakademien gelehrt wurde, die Mühen eines Studiums wert war, doch darum geht es überhaupt nicht. Es geht um den freien Zugang zu einem selbstgewählten Fach – und der wurde Frauen eben verwehrt.

Neben den privaten Schulen bildeten sich die schon angesprochenen Künstlerkolonien, die oft genug Anziehungspunkte für die unterschiedlichsten Künstler wurden. An Rilke und Worpswede sei hier nur kurz erinnert. In den Kolonien konnten Frauen bei manch einem anerkannten Maler arbeiten – und bekamen zugleich die Chance, einen anderen als den akademischen Stil zu erlernen, denn die meisten Künstler in den Kolonien arbeiten in der Natur. Paula Modersohn-Becker ist die wohl prominenteste Malerin, die über private Kunstschulen schließlich in Worpswede landete und von Fritz Mackensen unterrichtet wurde.

Mackensen selbst schuf Bilder, die das harte Landleben verklärten, trat später der NSDAP bei und wurde von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen. Was kein Hindernis dafür war, ihm im Jahre 1953 das Verdienstkreuz der Bundesrepublik zu verleihen.

Siegward Sprotte ist ein weiterer Künstler, der mit einem Bild in der Ausstellung in Hamm vertreten ist. Zusätzlich läuft in einem anderen, etwas versteckt liegenden Raum des Gustav-Lübcke-Museums eine eigene Ausstellung seiner Werke. Im Foyer des Museums hängen zudem drei Sprotte-Bilder, etwas unscheinbar, ein wenig hinter einer Treppe versteckt. Ich wurde neugierig und war begeistert von den Arbeiten Sprottes. „Ich trage meinen Süden in den Norden und gebe auch im Süden meinen Norden niemals auf.“ hat Sprotte gesagt. Seine Landschaftsbilder überwältigen mich, so reduziert auf wenige Pinselstriche und klare Farben. Seine Meeresbrandung, seine Sonnenuntergänge. Ich denke an Nolde und das ist richtig, wenn es um Blumen geht und falsch, wenn es um die leuchtende Strenge Sprottes geht. Aber natürlich ist der Mann nicht unbelastet, ein aktiver Mitläufer des NS-Regimes, der seine Biographie zu Lebzeiten wohl entsprechend geschönt hat. War Sprotte ein kleiner Fisch? Egal, so ganz unbefangen ist meine Begeisterung für ihn nicht mehr… aber verdammt, seine Bilder sind einfach wunderschön.

Was machen wir nur mit unseren Künstlern? Wir vergessen viele, die ins Exil gingen und feiern und ehren jene, die die Augen vor der finsteren Realität verschlossen und einfach Künstler und erfolgreich bleiben wollten.

7 Gedanken zu “Hamm: Sprotte und andere komische Vögel

  1. Die Gouache im WA knallt natürlich mit diesem Blau und ist ein bisserl Noldelike und wohl durchaus typisch für Sprotte, schaut man jedenfalls ein paar Wiki-Abbildungen an. Erinnert mich ein bischen an Franz Radziwill, der vielleicht von Dangast über die Nordsee nach Kampen gewunken hat. 😉 Farbintensiv, auch ohne biographische Rückblenden auf die dunkle Zeit. – Und die Frauen? Die bildhauern heutzutage: Barbara Hepworth.

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  2. Teile der Gesellschaft feiern diese Opportunisten. Was da in Worpswede gemalt wurde, passte den Nazis in den Kram, und deshalb ist es mir suspekt. Es hat nichts mit der künstlerischen Potenz einzelner Maler zu tun. Kunst muss nicht politisch sein. Aber wenn ein Künstler sich gemein macht mit Unholden, sich sogar von ihnen fördern lässt, hat er ein menschliches Problem, das seine Arbeiten in ein schlechtes Licht rückt.
    Gut gefällt mir, wie du hier die Schwierigkeiten schilderst, mit denen eine Malerin zu tun hatte. Das wiederum macht mir das Werk von Paula Moderson-Becker sympathisch.

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  3. Sprotte – nie gehört. Finde ich interessant, schon diese Tatsache, dass solch ein Künstler heute fast vergessen ist. Interessant auch – glaubt man dem Wikipedia-Eintrag – mit welch unterschiedlichen bekannten Menschen er Kontakt gepflegt hat. – Künstlerisch/politisch eine interessante Frage für ein kunstgeschichtliches Oberseminar: Wieso waren seine Werke in der Nazizeit zu beliebt? Dem Klischee der NS-Kunst entsprachen sie ja keineswegs …

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  4. Habe sehr interessiert gelesen, war gerade in Fischerhude unterwegs, dort lebte uA Otto Modersohn. Hmmh, tue mich schwer mit moralischer Beurteilung der Menschen während NAZI-Deutschlands. Es sind nicht wenige Künstler, auch aus Worpswede, in KZ ermordet worden. Da ist es, denke ich, nicht verurteilbar, wenn mancher lieber seine Haut rettete und leben wollte.

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    • Das ist so, es kann wohl auch keinem vorgeworfen werden, wenn er den Kopf eingezogen und stillgehalten hat. Problematischer sind aus meiner Sicht die Profiteure, besonders die, die schon vor der ‚Machtergreifung‘ auch in das völkische Horn gestoßen haben.

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