Stanislaw Lem

Stanisław Lem in 1966, courtesy of his secretary, Wojciech Zemek

 

Ach, das gibt es auch als Hörbuch? Oder Hörspiel?

Ich habe gelegentlich schon verraten, dass ich im Bus oder Zug gern mit dem MP3-Player und meinen Kopfhörern unterwegs bin, jeglicher Kommunikation abhold und taub und blind für meine Umgebung. Da muss jemand schon sehr penetrant, nein, sagen wir es freundlicher: hartnäckig sein, um zu mir durchzudringen – und dann festzustellen, dass es nicht der Mühe wert war. Es gibt doch tatsächlich immer wieder einmal Menschen, die mit mir reden wollen und ja, ich gebe Auskunft, wenn man mich fragt.

Widerwillig! Würde gern auch eine falsche Auskunft geben, damit man mich künftig in Ruhe lässt. Ne, fragen Sie den nicht, der hat schon mal einem gesagt, er müsse hier aussteigen. Der musste dann drei Tage auf den nächsten Anschluss warten. So etwa. Aber nein, das kann ich nicht. Da heißt es immer, der Mensch sei von Grund auf böse – aber wenn ich das mal brauchen könnte, dann geht es einfach nicht. Da muss was mit meiner Erziehung falsch gelaufen sein.

Da sitze ich dann also mit meinen Ohrstöpseln, die Aktentasche auf dem Sitz neben mir und die Beine ausgestreckt, damit nur keiner auf die Idee kommt, den Platz mir gegenüber zu beanspruchen. Ich komme auch nicht in die Gefahr, meine Mitreisenden spontan an meinen literarischen Vergnügungen teilhaben zu lassen, indem ich ihnen die leicht ranzigen Ohrstöpsel hinhalte und anbiete, die letzten drei Minuten meines Hörbuchs auch mal zu genießen, weil sie ganz exorbitant witzig, spannend, klug oder was auch immer gewesen waren. Ich klopfe mir an den lustigsten Stellen nicht auf die Schenkel und vergieße auch nur ganz verschämt eine Träne, wenn wieder einmal ein Haustier überfahren wird. Oder Sissi unglücklich ist.

Ich merke gerade, dass hier gerade einer von den Texten entsteht, an denen ein ganz fettes ABER über all dem steht, was da geschrieben wird, also kürzen wir es ab. Ja. Auch mir passiert es, dass ich mein Hörerlebnis teilen möchte. Also falls jemand meine Ohrstöpsel…?

Nein. Auch gut. So toll war das Hörbuch auch nicht, es hat mich aber wieder zum Original im Bücherregal greifen lassen. Es wird Zeit für den Titel? Stanislaw Lem: Der futurologische Kongreß. Ja, auf meiner Ausgabe aus dem Jahre 1982 steht Kongress halt noch in der alten Schreibweise, aber darum geht es hier doch nicht, oder? Der Roman ist 1972 entstanden. Und wie so oft, wenn man sich lange nicht um einen Musiker, Autor, Künstler gekümmert hat und dann mal wieder nachschaut, ist er tot. Jetzt nicht, weil ich ihn vernachlässigt habe. Aber ich habe es nicht mal mehr in Erinnerung gehabt, dass Lem 2006 gestorben ist. In den achtziger Jahren habe ich mit großer Begeisterung seine Bücher gelesen, in einer Zeit, in der science fiction noch nicht zu einem Synonym für galaktische Rachefeldzüge in 3-D mit maximalem Kunstbluteinsatz geworden war.

Der Kongress findet in Costricana statt und wird begleitet von einem Staatsstreich und massivem Drogeneinsatz. Die Hauptperson durchlebt die haarsträubendsten Situationen und ich weiß noch, dass ich das Buch bei der ersten Lektüre sehr witzig fand. Vielleicht ist es das auch noch, aber es hat natürlich auch eine ganz andere Ebene, die mir damals völlig entging.

Eine Welt auf Droge und die witzigen oder dramatischen Erlebnisse, die sich daraus ergeben, das war auch in den siebziger und achtziger Jahren ein Stoff, der viele Interessierte. Inzwischen ist es eher das Thema der Manipulation einer Gesellschaft, dass sich mir beim Lesen stellt. Einige Kritiker sahen auch die Auseinandersetzung mit dem damaligen politischen System Polens als das eigentliche Thema an, eine Auseinandersetzung, die eben nur verschlüsselt geführt werden konnte, wenn man nicht ein Opfer der Zensur werden wollte. Egal. Wer Spaß an einer wendungsreichen und skurrilen Story hat, der wird den achten futurologischen Kongress gern besuchen.

13 Gedanken zu “Stanislaw Lem

  1. Ich habe früher alle seine Bücher verschlungen und habe noch seine gesammelten Werke, allerdings habe ich lange nicht mehr darin gelesen. Ich erinnere mich an intelligente Roboter und andere futuristische Themen, die ich damals sehr spannend fand. Müsste mal wieder reinschauen wie ich das heute finde.

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  2. „Der futurologische Kongress“ steht auch in meinem Bücherregal.Mich verbinden damit zwei schöne Erlebnisse, eine Sorte Happening während meines Kunststudiums, das ich mir erdacht hatte, in dessen Verlauf uns der teilnehmende Dozent aus dem Buch vorlas, derweil wir in Schlafsäcken in einem Haus in der Eifel auf dem Boden lagen – und die erste Lesenacht im „Teppichhaus Trithemius“ – beide „Reise in das Jahr 21346“ genannt, zu der eine befreundete Studentin aus Berlin eine Tondatei vom „futurologischen Kongress“ besprochen hatte, die leider verloren ist, weil ja die Plattform Blog.de versunken ist. An diese lebendigen „Hörbücher“ musste ich spontan denken, als ich deine Schilderung deiner speziellen Rezeptionsbedingungen las. Was Lem wohl zu all dem sagen würde? Er war ja auch ein Philosoph, Kenner und Theoretiker des Genres SF und hat sich besonders mit dem Werk von Philipp K.Dick beschäftigt. (Träumen Androiden von elektrischen Schafen? (1968) – 1982 verfilmt als Blade Runner). Bei den Jahreszahlen fällt mit auf, dass Teile der SF inzwischen längst historisch, also in einem Nebenstrang der Vergangenheit angesiedelt sind.

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    • Philip K. Dick schätze ich auch. Und was die SF angeht, die Erfahrung haben wir ja auch selbst gemacht. Das Jahr 2000 – was war das für ein Versprechen! Fliegende Autos, Leben auf dem Mond, Frieden, Freiheit, Wohlstand – und natürlich die DDR, von der wir dachten, die gäbe es auch ewig.

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      • Ja, ich erinnere mich 1985, für den Unterricht eine WDR.-Radiosendung mitgeschnitten zu haben, „Orwell ist längst eingeholt.“ In Anspielung auf die Dystopie 1984 wurden Beispiele von Gefahren der Überwachungsmöglichkeiten durch Computer und deren Vernetzung aufgezeigt. Unfassbar, das war schon damals absehbar!

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  3. Lem habe ich nie gelesen – wie die ganze SciFi – Literatur. Ich glaube nicht, etwas versäumt zu haben, es gibt sooooo viele Themen der realen Welt. Aber natürlich weiß ich nicht, ob ich doch etwas versäumt habe, da ich nichts gelesen habe. Verflixt, habe ich etwas falsch gemacht?

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  4. Egal ob dieses Buch wirklich gut ist von dem inzwischen verstorbenen Lem; ich habe nur Solaris gelesen von ihm, das ja von Tarkowski verfilmt wurde, eine recht verwirrende, müde Angelegenheit…

    schön war aber dein humorvolles Drumherum zum Lem zu lesen, das habe ich gerade schmunzelnd sehr genossen.

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