Puh, das ist aber abgelegen. Sage ich, denke ich, höre ich. Muss also stimmen. Obwohl es mit dem Auto mal gerade eine halbe Stunde braucht, um das Westfälische Literaturmuseum Haus Nottbeck zu erreichen. Eine halbe Stunde, das ist doch nicht viel. Um die zu vertrödeln, brauche ich höchstens eine halbe Stunde, wenn nicht weniger. Schön, Nottbeck liegt etwas einsam. Man könnte auch sagen: Es liegt da sehr schön einsam. Ruhig. Still sogar. Spätsommersonne, zwei Gänse watscheln, nee, sie bewegen sich einfach träge über den Rasen vor dem Gartenhaus.
Literaturmuseum klingt komisch, als ließe sich Literatur besichtigen. Ansehen wie Gemälde. Autorenbilder sind tatsächlich auch zu sehen, Bücher, Textauszüge, Geschichte der westfälischen Literatur. Viele Namen, die ich kenne, viele Namen, die ich nicht kenne. Viele Bücher, die ich nicht gelesen habe und wohl auch nie lesen werde. Aber hier begegnen sie mir. Männer und Frauen, die sich mit Sprache beschäftigt haben oder die es drängte, etwas zu erzählen.
Nottbeck pflegt immer auch die Begegnung mit Autoren. Literatur wird hier nicht nur ausgestellt. Lesungen und Workshops, Konzerte und Büchermärkte, sogar eine Buchmesse gibt es hier. Immer wieder Sonderausstellungen. Eine hieß Go East und erzählte vom Reisen. Von Reisen in den Osten. Wenn auch der Osten, selbst der Nahe Osten, recht weit weg sein kann, die Idee, auch die Kundschaft des Museums einzuladen, sich mit eigenen Texten an der Ausstellung bzw. ihrem Rahmenprogramm zu beteiligen, lag vielleicht nicht ganz so fern. Ich habe mich, wie ich an anderer Stelle schon erzählt habe, mit einem Text beteiligt. Einem, der von einer Reise in den Westen erzählt. Also gerade mal über die Grenze nach Holland. Ich brauche nicht weit wegzufahren, um die Welt nicht mehr zu verstehen, dafür kann ich sogar zuhause bleiben. Aber mit einem Text darüber wollte ich mich nicht beteiligen.
Später kam die Einladung zu einem Workshop mit Ralf Thenior, einem Schriftsteller, der dem Museum eng verbunden ist. Thenior wurde als Lyriker, aber auch als Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern und, das dürfte in diesem Zusammenhang nicht überraschen, Autor von Reiseliteratur bekannt. Einen Tag lang, ja, wie beschreibe ich das, boten Ralf Thenior und Onno Bargfrede, Mitarbeiter des Literarturmuseums, uns ein offenes Ohr, Kaffee und kalte Getränke. Eine Schreibwerkstatt, ein Workshop, ein Gedankenaustausch zu Texten, Reisen, Politik. Sechs Autorinnen und Autoren im Gespräch. Etwas, dass sich zu selten ergibt.
Das Museum für westfälische Literatur im Kulturgut Haus Nottbeck ist ein Ort dafür. Gerade weit weg genug. Gerade einsam genug. Perfekt gelegen.
Ich hoffe das Literaturmuseum bekommt deinen Text hier genauso zu lesen, lieber Manfred. Gerade wie du seine Lage beschreibst und dann auf die Besonderheiten eingehst ist sehr schön geschrieben.
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Ich habe Onno Bargfrede den Link geschickt. Das gehört sich wohl, wenn man ihn im Text erwähnt. Es ist wirklich ein besonderer Ort, um den es mir ging, einer, dem man mehr Besucher wünscht und zugleich um die Ruhe fürchtet, die dann verloren ginge.
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Ein zweischneidiges Schwert. Aber vielleicht kommen nicht alle auf einmal 😉
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Jetzt „kenne“ ich schon drei Leute die in ein Literaturmuseum gehen. .
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Eigentlich mag ich die Schriftstellerhäuser lieber. Das Wohnhaus von Theodor Storm in Husum, das von Brecht und Weigel in Berlin und das von Arno Schmidt in Bargfeld. Da liegt noch etwas von dem Staub, den die damals aufgewirbelt haben. Aber Nottbeck ist ein schönes kleines Museum, dass man schnell ins Herz geschlossen hat.
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Zwei Wendungen ließen mich schmunzeln: „Eine halbe Stunde, das ist doch nicht viel. Um die zu vertrödeln, brauche ich höchstens eine halbe Stunde, wenn nicht weniger.“ und diese herrliche: „Ich brauche nicht weit wegzufahren, um die Welt nicht mehr zu verstehen, dafür kann ich sogar zuhause bleiben.“
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Danke. Es sind die kleinen Freuden, die uns durch den Alltag helfen. Die großen wären natürlich besser, aber auf die wartet man ja meistens vergeblich.
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Es ist länger her, dass ich dort war. Damals spielte der norwegische Jazzgitarrist Terje Rypdal dort. Man kann sich keinen größeren Kontrast zu der Umgebung vorstellen. Die beschriebene Lage, uralte Gebäude und das Schweigen der Bücher hinter den Mauern nebenan. Und dann eine mehrstündige dissonante Orgie von E-Gitarren-Stahl in Stadionlautstärke. Dass Rypdahl zu derartigen Auswüchsen neigt wie auch Neil Young, wusste ich vorher nicht. Hab‘s ertragen mehr als genossen und dem Ort nach überstandener Ohrenstrapaze mit gemischten Gefühlen den Rücken zugekehrt.
Etliche Zeit später war ich mit mittlerem Mut gestärkt zu einer Dichterlesung dort, die hat mich voll versöhnt.
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Manchmal finde ich es auch ganz gut, wenn es ordentlich kracht und dröhnt, aber Nottbeck ist nicht der Ort dafür. Lesungen, ob im Gartenhaus oder im eigentlich Saal, fand ich dort bisher eigentlich immer ziemlich gelungen bis toll.
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Sehr interessant!
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