„Turnier für traditionelle Anspannung“ steht auf dem Flyer. Ich bin irritiert. Haben die Asiaten, also die Inder, die Chinesen oder wer auch immer sich im Fernöstlichen mit Religion und Kampfkunst – oder sind das etwa nur zwei Wörter für dasselbe Phänomen? – uns neben der traditionellen Medizin und dem Yoga, Tai-Chi und Qigong, neben all den beliebten Entspannungstechniken auch etwas anzubieten, was der von der 35-Stunden-Woche, endlosen Wochenenden samt Brückentagen, Feiertagen und Urlaubstagen völlig abgeschlaffte Europäer wirklich braucht? Anspannungstechniken!
Mit einem kahlgeschorenen Drill Instructor im Mönchsgewand, der dafür sorgt, dass wir endlich mal den Hintern von der Yogamatte hoch bekommen und das Chi nicht einfach nur dahinplätschern lassen, sondern zu einem reißenden Strom anschwellen lassen, der richtig was bewegt: uns! Uns Schlaffis und… äh, wie heißt eigentlich die weibliche Form? Schlafittchen? Also uns wohlstandsgeschwächte und verweichlichte Bande mal wieder so richtig auf Vordermann bringt!
Äh… nein, es geht um Kutschen, um die Art und Weise, wie Pferde vor einen Wagen gespannt werden und da hoppelt uns auch gleich die gesamte Etymologie entgegen: Pferde, meinetwegen auch andere Zugtiere, werden angespannt, ausgespannt und sind dann abgespannt. Nach dieser Anspannung, nach dem ganzen Hü und Hott, fühle ich mich jetzt aber ziemlich abgespannt und muss dringend mal ausspannen.
Ick komme hier am Bahnhof an, geh auffe Trabrennbahn, mach mir’n Schuh zu – wat soll ick Ihn‘ sagen: Kommt eener und sattelt mir.
– – – Na und?
Zweeter jeworden. *
Volker Kühn: Das Wolfgang Neuss Buch. Frankfurt 1984. R&B Satire bei Zweitausendeins. ISBN: 3 88268 014 8
Mit ausführlichem Anhang ausgestattet.
* S. 35
Das dazu.
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Wolfgang Neuss… lange nicht mehr gelesen. Sehr schön!
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Schlafittchen….wieder etwas gelernt 😉
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Während ja ein großer Teil der österreichischen Schlaffis auch als Schlawiner bekannt sind.
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Da ist aber doch ein Unterschied. Ein Schlawiner ist doch eher ein ausgefuchster, durchtriebener aber doch meist liebenswerter Zeitgenosse. Manchmal vielleicht auch ein Schlaffi, aber eigentlich eher flink.
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Außerdem muss er nicht aus Österreich kommen. Aber wenn man schon mit Worten spielt…
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„Turnier für traditionelle Anspannung“?
In der Tat: das klingt zunächst nach Kampf-Yoga.
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In dem Zusammenhang fällt mir das inzwischen versunkene Wort „Spannmann“ ein, dessen Entsprechung in der bilderreichen Druckersprache „Arschgespann“ heißt. Als Selbsthypnose kenne ich tatsächlich eine Anspannungstechnik. Dreimalige gezielte Anspannung verschiedener Muskelgruppen mit ganzer Kraft führt zur Ermüdung der Muskeln und anschließenden völligen Entspannung, was eine Trance mit sich bringt, in deren Verlauf man sich allerlei suggerieren kann. Ich kenne das aus einem Buch zur Außersinnlichen Wahrnehmung, das ich eben dank deines Textes nach über 40 Jahren nochmal hervorgeholt und aufgeblättert habe.
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Spannmann und Arschgespann? Nie gehört! Die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, die im Zusammenhang mit dem Autogenen Training eingesetzt wird, setzt auf Anspannung, habe ich vor Jahrzehnten einmal gelernt
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Zum Ausspannen nach dem Hü und Hott ist das gewissenhafte Auskratzen der Hufe besonders geeignet …
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Mein Nachbar, zwei Häuser weiter, ist Westfälischer Meister im M-Kung-Fu. Sehr traditionell. Lamgsam. Mit Anspannen hat es nichts zu tun, wohl aber mit konzentriertem entspannen.;-)
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