
Berlin, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie, Inventar-Nr. 922B, alte Katalog-Nr. GG Dahlem, Zugang: 1874
Elf Grad zeigt das Thermometer vor dem Hallenbad. Sieben Uhr vierzig, Sonntag morgen. In einer halben Stunde fährt mein Zug.
Es ist schon hell, der Tag soll freundlich und warm werden, doch noch sind die Bänke auf dem Bahnsteig taufrisch.
Über eine lang gezogene Betonbrücke schlendere ich in Richtung Innenstadt. Eine wuchtige katholische Kirche liegt drüben, jenseits des Flusses auf einer Anhöhe, doch den wenigen Menschen, die schon unterwegs sind, steht der Sinn wohl nicht nach jenseitigen Freuden und Tröstungen, sie steuern die Bäckereien an. Was sollte denn auch ein paradisischer Apfel gegen den Duft frischer Brötchen und Croissants ausrichten?
Ich kehre um, bald wird mein Zug in den Bahnhof einfahren. Hinter mir beginnen die Glocken zu läuten, mehrstimmig und mit einer Wucht, die ich körperlich spüre. Von den Häusern jenseits der Ems wird der Schall zurückgeworfen, überall um mich herum läutet es jetzt.
Auf einer Bank gleich vorn am Ufer sitzt ein Mann, ich sehe ihn zunächst nur von hinten, im Vorübergehen bemerke ich, dass er eine breite, mehrgliedrige Kette aus seinem Mund hervorzieht. Er grüßt mich freundlich, ich grüße zurück und mit einem breiten Grinsen gehe ich weiter in Richtung Bahnhof.
In das Geläut der Glocken mischt sich ein falscher Ton, gleich darauf erneut. Dann verstehe ich: die Sirene eines Einsatzfahrzeugs, Polizei, Krankenwagen, Feuerwehr. Der Weg vor mir riecht nach Katzenpisse, das war vorhin noch nicht so.
„Über eine lang gezogene Betonbrücke schlendere ich in Richtung Innenstadt. Hinter mir beginnen die Glocken zu läuten. Polizei, Krankenwagen, Feuerwehr. Der Weg vor mir riecht nach Katzenpisse.“
– Sätze wie aus der Realität gehauen. Hard boiled School. Und bevor Raymond Chandler um die Ecke kommt: Tolle Illustration: Pferde mit Hund an Kuh mit Weiher.
Ich hole mir mal ein Kontrastmittel, flüssig. Nochmal lesen.
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Danke.
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Eine niedergeschriebene Beobachtung, ein Text, wie ich ihn mag.
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Danke!
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Irgendwo hab ich mal gelesen, dass Literatur dann gut ist, wenn sie dir „eine klatscht“. Ich fand und finde das doof.
Die Wucht eines letzten Satzes oder Absatz aber, die weiß ich sehr zu schätzen.
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Mit der Formulierung „eine klatschen“ hätte ich auch meine Schwierigkeiten, aber vielleicht habe ich eine Idee davon, wie das gemeint sein könnte und es gibt Bücher, bei denen es mir ähnlich ergangen ist, David Peace Krimis, in denen es um den Yorkshire-Killer geht z. B. Da sagen Kritiker, sie seien wie ein harter Schlag in die Magengrube.
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Ich denke, das war damit gemeint. Ein bisschen anders ausgedrückt und es macht mehr Sinn.
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‚Hat ja einen an der Klatsche.` Sagt man so; mir gefällt das. Be-kloppt sozusagen, mit einer Klatsche traktiert. Und wegen der „Wucht“ meine ich, man kann nicht nur eine haben, eine Klatsche, sondern auch eine geben. Das ist die sonderbare Differenz von Realität und Literatur. 😉 Die anderen klatschen, zur Oper, die Sprachlosen den Ausländer. Vielleicht ist Sprache doch multidingens. Irgendwie. Ich weiß es ja auch nicht …
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