eala frya fresena

Ostfriesland, zwischen den Jahren, wie man so sagt. Was ich hier aber nur einfüge, um die Jahreszeit anzudeuten, nicht, um diesen Text mit vorgefertigter Besinnlichkeit aufzupumpen. Wir machen Urlaub in Ostfriesland, immer wieder einmal. Und jedes Mal wundere ich mich darüber, dass andere das auch tun. Wieso nur? Was hat denn diese Landschaft?

Oh! Ich weiß schon, was sie hat, was sie für mich hat, was sie mir bedeutet, aber das kann sie doch unmöglich für alle haben! Das ist doch etwas sehr persönliches, etwas, das ich mir erarbeitet habe, etwas, das ich erlebt habe, indem ich dort gelebt habe. Das kann doch nicht so preiswert zu haben sein, so im Schnelldurchgang?

Mein Ostfriesland, das ist, wie sich das für eine Gegend gehört, in der man wichtige Jahre verbracht hat, emotional aufgeladen, nicht einfach ein Stück Küste, flach wie ein Brett, mit ein paar bildschönen Dörfern und Hafenstädtchen, mit Fähren zu den Inseln, die zwar ostfriesische Inseln heißen, aber von einem völlig anderen Völkchen, nämlich von den Piraten, bewohnt werden.

Ja, zugegeben, das ist es auch und an einem Winterabend ist es so schön, dass es fast schon schmerzt, dass fast schon die Zähne wehtun, wenn man durch Ostgroßefehn fährt, auf dem Kanal ein weihnachtlich illuminiertes Schiff, die alten Fehnhäuser leuchten in der Nacht und das Kopfsteinpflaster glimmt im Licht der Autoscheinwerfer.

Windmühlen, Brücken, fehlt irgendetwas? Oder die Häfen von Carolinensiel, von Neuharlingersiel, von Greetsiel. Häuser, so festlich, dass der böse alte Ebenezer Scrooge keinen Besuch der Geister gebraucht hätte, um sein Herz zu erweichen. Aber all das ist natürlich eine Inszenierung, ist Rosamunde Pilcher im Ostfriesennerz.

Deshalb bin ich nicht gleich immun dagegen, aber das suche ich nicht. Ich suche überhaupt nichts. Es trifft mich. Und dafür übersehe ich großzügig die Industriegebiete, die austauschbaren Einkaufszentren und Wohnblocks, den Andenkenkitsch und die politischen Auseinandersetzungen, die in Ostfriesland natürlich ganz genauso ablaufen, wie überall in Deutschland.

Zum Beispiel gibt es da diese Gegend irgendwo zwischen Wittmund und Aurich. Da ist nichts. Nur Hammrich, einsam gelegene Bauernhöfe, diese typischen flachen Gebäude, die sich unter dem ewigen Wind zu ducken scheinen. Manchmal Bauerndörfer mit einer Kirche, die zugleich Festung zu sein scheint, höher gelegen auf einer  Warft. Gräben, Wallhecken,   die den Wind daran hindern sollen, den fruchtbaren Boden abzutragen.

Ich würde da niemals wohnen wollen, nicht wohnen können. Aber diese alte Landschaft, ihre Geschichten von Sturmfluten und Landgewinnung, von Häuptlingen und Bauern, von Mooren und Seefahrern, des ersten Tod, des zweiten Not, des dritten  Brot, all das denke ich mit, wenn ich in Ostfriesland bin, wenn ich das bedächtige Platt höre, das irritierte ‚Guten Morgen‘, wenn ich nachmittags in einem Geschäft mit ‚Guten Tag‘ grüße und die Verkäuferin ihr selbstverständliches ‚Moin‘ nicht unterbringen kann. Deshalb ist mein Ostfriesland auch nicht verkehrstechnisch voll erschlossen, sonnig und voller Touristen, sondern nebelig, klamm, windig und matschig , ein bisschen schroff und wortkarg.

Aber vielleicht ist es ja genau das, was auch alle anderen mögen. Was wir irgendwo gern erhalten hätten. Wir hoffnungslosen Romantiker.

 

17 Gedanken zu “eala frya fresena

  1. Schön war’s von „deinem Ostfriesland“ zu lesen…

    Was bei dir Ostfriesland, das ist bei mir der Bodensee, aber nicht jener, der bekannt ist, und den die Touristen niedermachen, nein, meiner eben, nur meiner!

    Hab einen schönen Tag und rutsche morgen angenehm ins neue Jahr, Lu

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  2. Du sprichst mir aus der Seele, lieber Manfred:
    auch ich verbringe mit meiner Familie mehrmals im Jahr etwas Zeit in Ostfriesland.
    Und ich habe keine Erklärung dafür, was mich an Ostfriesland so anzieht:
    schön sind die alten Backsteinhäuser oftmals nicht, auch findet sich daran selten Blumenschmuck,wie er im Süden Deutschlandszu finden ist. Das Land ist platt, safig-grün und alt, manchmal auch trist, dafür ehrlich und ungeschminkt. Land eben. Schwarzbunte Kühe und schräge Bäume, die man auch Windflüchter nennt. Die Nähe zum Meer, die Weite.
    Die Menschen: bodenständig, aber nicht verschlossen, wie ihnen oft nachgesagt wird.
    Vor wenigen Tagen fand ich bei Twitter eine schöen Beschreibung über Weihnachten in Ostfriesland:
    „Man steht mit Glühwein im Nebel, ab und zu sagt einer: „Hm.“ und dann gibt´s Kuchen.Im Hintergrund ein Trecker…“
    Schön,nicht?

    Liebe Grüße!
    Lo

    „Lever dood as Slaav“

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  3. Die Beschreibung deines Ostfrieslands macht mir Lust auf nächstes Jahr. „Meine“ Ostfriesen kennen Bayern jetzt und für mich geht es ab nach oben. Ich freue mich darauf. Jetzt noch mehr…deine Liebeserklärung steigert die Vorfreude dieses Land zu entdecken und gespannt zu sein, was ich mir davon mit zurück nach Hause nehmen werde.

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  4. Das ist eine schöne Liebeserklärung an die Region im Norden. Ich kann sie gut nachvollziehen, obwohl ich noch nicht so oft dort gewesen bin. Als meine Kinder noch klein waren, sind wir im Sommer von Norddeich nach Greetsiel geradelt und haben an einer Mühle gepicknickt. Als winterliche Landschaft gefällt mir Ostfriesland auch, kann mir die Gefühle vorstellen, die du in der Metapher
    „schön, dass fast schon die Zähne wehtun“ veranschaulicht hast. In der warmen Stube sitzend, kann ich auch das Schaurig-schöne einer nebligen Moorlandschaft genießen wie von Annette von Droste-Hülshoff in „Der Knabe im Moor“ heraufbeschworen. Einige Jahre bin ich mit siebten Klassen nach Wangerooge ins Schullandheim gefahren. Die Inselbewohner erwiesen sich immer als unfreundlich. Ich kann bestätigen, dass sie sich von den Festland-Ostfriesen unterscheiden. Es ist ein finsterer Menschenschlag, der seine Abstammung von Piraten und Strandräubern nicht verleugnen kann.
    Ich wünsche schönen Urlaub und einen guten Rutsch!
    Jules

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    • Was sich verändert, wenn man in einer Stadt oder einer Region gelebt hat, ist das Verständnis, das Wissen, aber auch die eigene Verbundenheit mit Menschen oder was auch immer. Man kann einfach nicht mehr neutral sein, ist immer Partei, auch wenn man kritisch ist. Das Schöne wird schöner, das Langweilige als landestypisch akzeptiert. Deshalb mag ich wohl alle Jahreszeiten und Wetterlagen, selbst den Sturm und das Unwetter, die ich dort erlebt habe. Auf Sturmflut kann ich allerdings gut verzichten.

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      • Das ist wohl biographisch bei jedem verschieden – Ostfriesland ist mir zu öde, Holstein ist im Sommer irgendwie lieblicher. Aber als Teilzeit-Gast sieht man das sicher immer idealisiert. Im Winter ist Holstein auch dunkel, aber durch den Wind zwischen den Meeren ist der Himmel öfter klar als hier im Binnenland, die Luft ist besser. Die Menschen sind spröde, aber freundlich. Und vor allem wird da oben ordentliches Deutsch gesprochen. Platt redet ja kaum noch jemand, zumindest nicht die Jungen. 😉

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  5. Ich war da oben immer am liebsten in Emden, in der Stadt und im Kunstmuseum, Borkum auch schön. „Was hat denn diese Landschaft?“ Tja, nicht viel. Mit dem Radl den Deich lang, schön, Greetsiel, schön. Aber das Meer ist oft weg 😉 , der Strand kostet Eintritt und viel dunkelgraues Land ist da.
    Mein Schulfreund wohnt seit dreißig Jahren in Aurich, ich vestehe gut seine immer noch stetigen Wochenendausflüge an die Bremer Brücke … wo der Rasen lila-weiß ist. Das ist der Treffpunkt. 🙂

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    • Stimmt. Wer wegen eines Strandurlaubs dort ist, der wird enttäuscht sein. Wer mit dem Fahrrad das Land erkunden will, findet unendlich viele kleine Dörfer, die häufig uralte Orgeln und eindrucksvolle Kirchen zu bieten haben. Auch wenn ich sonst eher nicht in die Kirche gehe. Dein Hinweis auf lila-weiß erklärt aber meine Sicht. Man kann eben nicht wählen, wohin die eigene Leidenschaft fällt. Ob man will oder nicht, man füttert die eigene Bindung immer wieder, egal, wie es ausgehen mag.

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