Lose Endchen

Lose Endchen

 

Ich habe wieder nichts geträumt. Dabei läuft die Zeit. Ich mag überhaupt nicht mehr wach sein, damit vergeude ich nur wertvollen Schlaf. Dabei klang die Aufgabe so einfach. Einen Traum aufschreiben. Babyleicht. Vielleicht habe ich ja was geträumt, aber wenn, dann in einer Schlafphase, die dem Bewusstsein entzogen war. Die Familie sieht mich mit großen Augen an und man erinnert mich an frühere Träume, die ich zum Besten gegeben habe. An die erinnere ich mich auch nicht mehr. Eine Art Traumamnesie muss das sein.

Ich habe alles versucht. Zettel und Stift auf den Nachttisch, das Nachtlicht aufgeladen, das ist so ein USB-LED-Zeugs. Von den drei Wörtern könnte ich nur Zeugs erklären. Glaube ich jedenfalls. Lenkt aber nur ab. Das Kopfkissen etwas erhöht. Oder ist das falsch? Gibt es eine optimale Position für das Träumen und ist das zugleich die optimale Haltung für das Erinnern an das Geträumte? Ich kann das jetzt unmöglich recherchieren, dafür habe ich einfach keine Zeit.

So früh war ich lange nicht  mehr im Bett, ich bin schon super ausgeschlafen, diese morgendlichen Phasen, in denen man nicht mehr schläft und noch nicht ganz wach ist, habe ich jetzt schon um halb vier und um fünf könnte ich frühstücken. Ich kann mich aber nicht auf die Zeitung konzentrieren, weil ich immer noch hoffe, das Endchen eines verlorengeglaubten Traumes aufspüren zu können. Nichts. Alle meine Endchen sind substanzlos, keine Musterländer Mettendchen, die Geschichten von Erbsensuppe und Grünkohleintopf erzählen könnten.

Das Lesen habe ich aufgegeben. Ich lasse mir nur noch vorlesen, höre mit geschlossenen Augen zu und hoffe auf reichhaltige Nickerchen, von Großen der Weltliteratur eingeleitete Träume, die mindestens in 3D und Dolby-Surround stattfinden. Sowas wie Alice im Wunderland sollte doch drin sein, oder?

Ich hab was geträumt. Von so einem maunzenden, jammernden Ding, einem Wechselbalg, einer fetten, riesigen Made, groß wie ein Kind, wie ein Säugling, stramm gewickelt in einem Stubenwagen neben dem Esstisch und gierig mit menschlichen Lauten, ja, ich höre und verstehe das Biest sogar, das mehr und immer mehr Futter fordert, Fraß, Wurst und Käse und Brot und Fleisch. Ich will das nicht geträumt haben, das ist fies, keiner will den Traum hören.

Klar will ich etwas träumen, aber das muss doch irgendwie Klasse haben, rätselhaft sein, Material für den Psychoanalytiker und das große Buch der Traumdeutung und soll da nicht gleich auf Seite eins unter Allerweltsträume stehen. Ein Traum soll es sein, bei dem die Zuhörer anschließend die Bilder nicht mehr aus dem Kopf kriegen, aber doch nicht sowas!

Ich hab wieder was geträumt. Eine Kirche, ein alter Klinkerbau, okay, Backsteingotik, klingt nicht so nach Neubaugebiet. Auf Augenhöhe Symbole im Mauerwerk, auf Steinen, die etwas herausragen. Ein Kreuz auf dem einem, ein Punkt auf einem anderen Stein. Mehr und andere Zeichen. Wir, denn da ist noch jemand bei mir, gehen an der Kirche entlang, gegen den Uhrzeigersinn, dann befinden wir uns plötzlich in der Kirche, falls es denn noch eine ist, falls es überhaupt noch das gleiche Gebäude ist. Ein langer Gang zieht sich an der Außenwand entlang, vorbei an leerstehenden Räumen, an Räumen voller Stühle, Tische, Möbel überhaupt. Niemand begegnet uns. Dann ein hellerer, ein größerer Raum, der voll wirkt, unordentlich, unaufgeräumt. Kleidung liegt herum, quillt aus Koffern und Taschen. Von dem Raum führt ein Durchgang in einen weiteren Raum, tiefer ins Innere des Gebäudes. Da sind Flüchtlinge, das weiß ich. Weiter den Gang entlang, vorn wird es heller. Eine offene Tür, Stimmen von Männern, Handwerkern, ich weiß, dass die hier arbeiten, restaurieren oder reparieren und sie grüßen uns.

Ah ja, Symbole. Wie im Da Vinci Code. Professor Robert Langdon, Symbologe an der Harvard-Universität, wird einfliegen. Landung in Münster-Osnabrück, dann mit dem Bus 550 zum Hauptbahnhof Münster weiter mit dem Zug, naja, dem Triebwagen, nach Warendorf. Gemeinsam mit mir, nein, wohl eher mit Dan Brown, wird er entschlüsseln, was mittelalterliche Bauhüttenmeister kunstfertig zugleich zu zeigen und zu verbergen wussten. Oder was Handwerker halt so mit Klinker machen, wenn noch Zeit und Geld übrig sind.

Das wird nichts mehr. Und jetzt kriege ich auch noch Husten. Ich liege viel mehr im Bett, träume vermutlich vierzehn Stunden am Tag ganze Netflix-Serien zusammen, wache hustend auf und weg, alles weg.

Die Zeit wird echt knapp. Jetzt ist auch noch der Husten weg, ich kann mich nicht mal krank melden. Okay, lügen per Signal kriege ich noch hin, sieht ja keiner, dass sich meine Ohren durch den Kopfhörer brennen, aber die Familie duldet solche Schwachheiten nicht. Du hast bezahlt, jetzt gehst du da auch hin. Ich kann aber nicht. Stell dich nicht so an. So läuft so was bei uns. Und dann kommt der frühe Morgen des 24.02.2023.

Eine Treppe aus hellem Holz auf der gegenüberliegenden Seite des Treppenhauses, sie kommt aus einer Tiefe, die nicht erkennbar ist und führt in eine unbestimmbare Höhe. Ich sehe das von einer Treppe, die offenbar parallel zur anderen Treppe verläuft. Es sind Personen bei mir, die ich nicht benennen kann, die ich aber offenbar kenne und denen ich erkläre, warum der Zugang zu den Treppen begrenzt ist. Die Treppen sind offenbar sehr alt, vielleicht gefährlich. Nur wenige Menschen dürfen gleichzeitig darauf unterwegs sein. Oben findet etwas statt, vielleicht eine Ausstellung. Außer den beiden Personen und mir ist aber niemand unterwegs. Am Ende der Treppe gibt es auch keine Warteschlange.

Ich weiß jetzt, dass ich mich noch um drei Bücher kümmern muss, die ich heraussuchen wollte. Dafür verabschiede ich mich von den beiden Personen, von denen eine jetzt definitiv männlich und etwa dreißig oder vierzig Jahre alt ist, ein Bekannter meines geträumten Ichs. Die beiden wollen spazieren gehen und  ich will mich ihnen später anschließen.

Jetzt sind wir in einer Wohnung, die vermutlich meine Wohnung  ist, so ungeniert, wie ich dort nach Büchern suche. Der Mann steht vor einer historischen Karte der Gegend, die an der Wand hängt, betrachtet sie kurz, stellt fest, dass es einen dort eingetragenen Punkt, einen Turm vielleicht, nicht mehr gibt und markiert dann mit einen Stift einen geeigneten Treffpunkt und den Weg, den die beiden nehmen wollen. Ich suche nach den drei Büchern, erinnere mich daran, dass ich zwei davon gebraucht bestellt habe und finde sie jetzt auch direkt, eins davon ist mehr eine Broschüre, das dritte Buch spielt keine Rolle mehr.

Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoss und verfügt über eine große Fensterscheibe, eine Schaufensterscheibe, könnte man sagen und draußen, direkt vor der Scheibe, bricht ein Passant zusammen, wie vom Blitz getroffen. Er liegt reglos auf dem Boden, etwas Blut am Kopf. Meine Frau steht neben mir, offenbar ist sie auch im Traum ausgebildete Ersthelferin, während ich ratlos untätig bleibe. Gleich darauf, meine Frau kümmert sich um den Verletzten, ist da eine Frau mit Rucksack neben mir. Sie ist Krankenschwester, sage ich meiner Frau, denn ich weiß, dass es meine Ex-Kollegin Susanne ist, die vor ihrer Zeit als Lehrgangsorganisatorin als Krankenschwester gearbeitet hat. Susanne übernimmt.

Gleich bin ich wieder im Haus, wo ich höre, dass der so schwer Gestürzte ins Haus möchte, was Susanne aber ablehnt, weil er sich dort langweilen würde. Ich bin jetzt auf der Straße, stehe dort mit Personen, als meine Frau plötzlich auf die Straße rennt, sich dabei sehr seltsam bewegt und mitten auf der Straße in einer Position verharrt, die eher an eine burmesische  Tempeltänzerin erinnert. Sie hat uns offenbar nicht bemerkt und erklärt, nachdem ich sie angesprochen habe, dass sie mich gesucht habe und weil sie mich nicht finden konnte, im Internet die Dienste eines hubschraubergestützten Suchdienstes gebucht hat. Als ihr die Idee kam, dass das zu teuer sein könnte, wollte sie alles wieder stornieren.

Jetzt ist aus der Wohnung eine Buchhandlung geworden und zwei Frauen, offensichtlich Mitarbeiterinnen, räumen von einer Bank die herumliegenden Bücher in ein Regal. Auch meine beiden Bände. Dabei unterhalten sie sich über Reha-Maßnahmen.

Was für ein wirres Zeug, aber okay, gebongt.

Bild: Laia Sabán, Wikipedia

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4 Gedanken zu “Lose Endchen

  1. Ich fand es traumhaft wirr. Und das Beste war daran: Während ich las, suchte ich nach irgendeiner Ordnung, natürlich vergeblich. Da waren die Erklärungen (Ex-Kollegin, Frau) ein Trostpflaster. Sie hatten zumindest ein Ticket, in dem Traum aktiv zu sein. Der Rest, ohne jede Legitimität, hat mich angefeuert, weiter zu lesen. Und das habe ich getan. War schön. Ein Tagtraum.

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