Antriebsarm

Antriebsarm

 

Schon viertel vor elf. Und sie war immer noch nicht wieder da. Er stand am Fenster, achtete nicht mal mehr darauf, notdürftig von der Gardine verdeckt zu werden. Eifersüchtig war er nicht, er fühlte sich nur nicht ganz wohl, hatte Magenschmerzen und dann plagte ihn auch noch diese Unruhe. Es konnte ihr doch etwas zugestoßen sein! Seit Stunden war Martha unterwegs. Examensvorbereitungen mit Stephan. Wer weiß, was für Übungen die beiden miteinander machten! „Tschüs, um sechs bin ich zurück, spätestens!“ hatte sie ihm noch zugerufen und die Tür hinter sich zugezogen.

Was hatte der Kerl nur, was er nicht hatte? Na schön, Haare und dafür ein paar Kilo weniger. Außerdem war Stephan zehn Jahre jünger. Aber sonst, was sonst? Er sah sein Spiegelbild in der Fensterscheibe und schaute schnell weg. Zählten denn die inneren Werte überhaupt nicht mehr? Gut, für ihn nicht, aber von Frauen konnte man das doch erwarten, oder? Und Martha war eine schöne Frau! Er würde um sie kämpfen! Ratten, die nicht kämpfen konnten, wurden krank, das war wissenschaftlich erwiesen. Probeweise schlug er mit der Hand gegen die Wand, die Magenschmerzen ließen auch sofort nach, dafür schmerzte die Hand höllisch.

Zu viel Nikotin und Koffein, die Nacht würde eine Katastrophe: Erst Schlaflosigkeit machte Sodbrennen zu einer richtig scharfen Erfahrung. Dabei musste er früh raus. Wenn er morgen nicht pünktlich käme, hatte der Chef gesagt, brauche er in Zukunft überhaupt nicht mehr zu kommen. „Ein ganz wichtiger Kunde!“ hatte er noch hinzugefügt.  „Nicht für mich – aber für Sie!“ Nicht nur, dass es privat nicht lief – schnell kontrollierte er, ob sich etwas vor dem Haus tat, konnte jedoch überhaupt nichts mehr erkennen, längst war es draußen stockfinster – beruflich stand er auch auf der Kippe. Umsatz, Umsatz, Umsatz, sonst zählte nichts mehr. Und Stephan verdiente schon mit seinen Nebenjobs besser, jedenfalls, wenn er Marthas Erzählungen Glauben schenkte. Wenn sie nur endlich käme, dann könnten sie sich aussprechen… In Anbetracht der Zeit würde es vielleicht auch ausreichen, wenn er sie anschrie und dann ab ins Bett, versöhnen und schnell schlafen.

Er riss sich vom Fenster los, machte schon mal das Licht im Schlafzimmer an und schlug die Bettdecke hoch. Schnell noch den Wecker kontrollieren, um halb sechs sollte er klingeln… würde er klingeln, wäre er nicht stehen geblieben. Er rüttelte an der Uhr, ein kleines Plastikteil fiel ab, sonst passierte nichts. Der Sekundenzeiger rückte nicht weiter vor. Bestimmt waren die Batterien leer!

Er öffnete das Batteriefach und entnahm ihm die merkwürdige eckige Batterie mit den beiden druckknopfartigen Kontakten. So eine hatten sie bestimmt nicht in der Rummelschublade, in der sonst für jedes Gerät im Haus eine passende Batterie zu finden war. Ob vielleicht…? Sogleich eilte er in die Küche und zerlegte den Kurzzeitmesser, musste aber feststellen, dass der mechanisch war und keine Batterien enthielt. Dafür bekam er die beiden Hälften des Gehäuses nicht wieder zusammen, auch egal.

Er hörte den dumpfen Schlag, der immer ertönte, wenn die Treppenhausbeleuchtung aufflammte – das brachte ihn auf eine Idee. Martha besaß so eine seltsame Leuchtdiodenlampe, die nacheinander in verschiedenen Farben strahlte und batteriebetrieben war. Ein Schlüssel drehte sich in der Wohnungstür, das würde schon seine Ordnung haben, Einbrecher kamen schließlich tagsüber, für so was hatte er jetzt keine Zeit.

Marthas Lampe fand sich und tatsächlich, die Batterie stimmte. Im Badezimmer lief Wasser. Er tauschte die Batterien aus und sah mit großer Befriedigung, wie der Sekundenzeiger sich langsam wieder auf seinen Weg machte.

„Hallo Arne!“

„Martha, der Wecker läuft wieder!“

„Ja.. sehr schön.“

„Die ganze Mühe mit der Ausrede“, dachte sie, „völlig umsonst. Er hat offenbar nicht mal registriert, dass ich weg war.“

Er schlief dann auch sehr schnell ein, kein Wunder übrigens, denn es war sehr still im Raum. Sogar der Wecker tickte nicht mehr.

2 Gedanken zu “Antriebsarm

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