Unhörbar

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Je älter ich werde, desto weniger Zeit verbringe ich damit, Musik zu hören. Die Selbstverständlichkeit, mit der ich früher das Radio einschaltete, um NDR 2 zu hören, Musik für junge Leute oder später am Nachmittag den Club, ist mir längst abhandengekommen. Je mehr Geld ich für Musik ausgeben konnte, desto weniger gab ich aus. Je teurer die Anlage wurde, desto seltener wurde sie genutzt. Das lässt sich alles vermutlich gut erklären. Irgendwann geht man eben seltener aus, hört nicht mehr, was gerade neu und gut ist, findet vielleicht auch nicht mehr gut, was neu ist und koppelt sich langsam von der musikalischen Entwicklung ab. Ein guter Zeitpunkt, Jazz zu hören. Oder ein paar Konzerte zu besuchen, bei denen ältere Herrschaften auf der Bühne stehen, die ihr Handwerk beherrschen. Was auch wieder nach Jazz klingt.

Übrigens gefiel es mir früher, dass die Künstler*innen ungefähr so alt wie ich waren, meist ein wenig älter. Jetzt finde ich das völlig unangemessen. Sie sollten einfach nicht so alt sein und so alt aussehen. Das gehört sich nicht, wenn man Rock’n Roll spielt. Und ich erinnere mich wenigstens noch daran, dass ich das hier schon mal beklagt habe. Ob ich wohl das Altern der Künstler beklage, weil ich mich nicht mit meinem eigenen Alter abfinden mag? Kann man sich damit abfinden? Ja, meistens habe ich überhaupt kein Problem damit, bis mir wieder einfällt, was gerade weh tut oder warum dieses nicht mehr gut und jenes ganz schön schlecht geht. Ich will nicht klagen, aber wenn ich schon mal die Gelegenheit habe, dann lasse ich sie auch vorbeigehen. Früher hörte ich nämlich ganz sicher besser, ob ich aber besseres hörte, das bezweifele ich entschieden.

Die Tatsache, dass vieles von dem, was heute auf den Markt kommt, an mir vorbeigeht, akzeptiere ich gern. Ich hätte es auch nicht wertgeschätzt, wenn meine Eltern meinen Musikgeschmack geteilt und mit mir zu Zappa gegangen wären. Zappa übrigens ist immer noch gut zu hören, aber, und jetzt komme ich auf den Punkt, vieles überhaupt nicht mehr. Was ist da für ein Zeug produziert und verkauft worden? In den Sechzigern, meine ich. Und in den Siebzigern. Und später. Vermutlich auch früher.

Wie gut, dass mein Englisch nicht reichte, um all das zu verstehen, was junge Männer und Frauen meinten ausdrücken zu müssen. Was ich für Rock hielt, war Zuckerguss. Oder naiv. Oder größenwahnsinnig. Ja, ich weiß, ich bin ungerecht. Es gab auch Ausnahmen, aber wenn man sich so eine Best-of-Zusammenstellung anhört, dann schaudert es einen schon immer wieder mal. Das ist leider nicht das Schlimmste, das Schlimmste ist, dass wir, also diejenigen, die damals jung waren und sich für progressiv und modern hielten, dieses Zeug gekauft und gehört haben. Gern. Muss was mit Hormonen zu tun haben.

Jetzt stehen diese Sachen im Plattenschrank, wie der Gelsenkirchener Barock im Wohnzimmer und sind ein bisschen peinlich. Aber im Unterschied zum orangefarbenen Sofa, das… äh, wo ist das eigentlich geblieben? Nicht, dass da noch jemand anruft und fragt, ob ich das nicht langsam mal abholen will. Egal, im Unterschied zu diesem Sofa schmeiße ich die alten Platten nicht weg, weil eben nicht mein Hintern darauf saß, sondern mein Herz an ihnen hing.

33 Gedanken zu “Unhörbar

  1. Ein herzlich schöner Text, Danke! Da ist so einiges an Schmunzel wiedererkennbar, auch wenn die Sache ernst ist, sehr ernst. Ganz erschrocken war ich, als ich gewahr wurde, dass Lynyrd Skynyrd auferstanden sind – und wirklich aussahen wie der Schreck meines Onkels aus Nachbars Garten ;o)

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  2. Ich muss Ihre Sicht teilen, kann aber anerkennen, dass Ihre Sätze Leben beinhalten, Sinn, Stil und Meinung. Kurz, alles, was dem Rezensententum dieser Tage mehr und mehr abhanden gekommen ist, einem Kultur- und Musikjournalismus, der sich fast nur noch dem Einvernehmen, der Schönschreiberei und der Konsumberatung widmet.

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  3. „Ich will nicht klagen, aber wenn ich schon mal die Gelegenheit habe, dann lasse ich sie auch vorbeigehen.“ (Manfred Voita)

    du hast einen wirklich schönen schreibstil, ich habe mehrere male sehr lachen müssen, vielen dank. 🙂 dein schlusssatz ist wunderbar. und: nicht die platten wegwerfen! warum auch? du musst auch nicht alles neue hören und mögen. warum auch? ich kann beispielsweise jazz nur schwer bis gar nicht ertragen, hingegen neues zeug mag und höre ich sehr häufig sehr gern.
    das, was ich früher gehört habe, mag ich immer noch, aber ich höre es seltener. deshalb behalte ich auch die platten.

    vielen dank für diesen schönen beitrag von dir.

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  4. In den Kommentaren weiter oben wurden schon ein paar setze zitiert, die auch mir ganz besonders gut gefallen haben. Ich habe während der Corona Monate wieder angefangen Musik zu hören. Die alten Sachen die ich so liebte, liebe ich zum Glück immer noch. Das neue… Ist mir zu neu oder ich muss mir neues altes suchen, für das ich selbst noch nicht so alt bin. Wie auch immer, mit der Musik und mir ist es noch immer schwierig. Ich finde die die mir gefällt zu selten.

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    • Was du über die Corona-Zeit und die Musik sagst, beschreibt wohl etwas Allgemeingültigeres, nämlich die Tatsache, dass Musikgenuss oder Musikkonsum auch zeit- und phasenabhängig ist. Mal passt es besser, mal ist kaum Raum und Zeit dafür. Manchmal helfen Tipps, um für sich etwas zu entdecken, manchmal muss man auch in ganz andere Genres ausweichen. .

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  5. Tatsächlich höre ich im Moment auch kaum mehr, was ich früher immer gehört habe (und was alles noch auf meinem Smartphone bereit liegen würde): Klassik von Bach, über Beethoven, Brahms bis Bartok. Und ob Du es glaubst oder nicht, schuld daran bist Du! Dein Blog-Beitrag vor etwa 4 Jahren über ein Konzert von Joe Bonamassa hatte in mir das längst vergessene Blues/Rock-Gen reaktiviert. Und dank YouTube hat sich mir eine völlig neue Welt eröffnet: Von Bonamassa zu Beth Hart, von Stevie Ray Vaughan zu Larkin Poe. Und dabei muss ich erfahren, dass diese „junge“ Musik für Junge von heute etwa so fremd ist wie Klassik. Doch dass schöne ist, dass in dieser Musik genau wie in der Klassik Oldies wie Reese Wynans und Anton Fig neben jungen wie Rebecca und Meghan Lovell gemeinsam ihre Freude und vor allem ihr genuines musikalischen Talent entfalten. Ja, ich entdecke im „Alter“ die Musik Deiner Jugend und finde sie alles andere als alt 😊😎
    Danke für Deine musikalischen und literarischen Anregungen!

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    • Dein Kommentar macht mir noch klarer, dass man mit den Texten, die man hier veröffentlicht, auch Verantwortung übernimmt, weil sie Folgen haben können. Schön, wenn das so gut ausgeht, wie es bei dir und Beth Hart der Fall war. Wir brauchen ja alle ab und zu so einen Tipp und wenn der Zeitpunkt stimmt, dann kann man eine Entdeckung machen. Ich werde auch immer mal wieder mit Musik, in letzter Zeit allerdings häufiger mit Büchern bedacht und gebe diesen Anregungen eigentlich auch immer zumindest eine Chance. Beth Heart ist auch für mich so eine Entdeckung gewesen. Leider konnte ich sie noch nicht auf der Bühe erleben.

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      • Ich war noch nie an einem Rockkonzert, bis Beth Hart kam. Unterdessen hatte ich schon viermal das Vergnügen. Die Frau hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz und Ausstrahlung, egal ob sie nun mit ihrer Band rockt oder ein paar Minuten später alleine am Klavier die Leute zum Weinen bringt. Hoffen wir, dass sie bald wieder nach Europa kommen kann!
        Das Konzert an der Baloise-Session 2018 war mit Abstand das eindrücklichste. Es wurde mit mehrere Kameras aufgenommen und ist in voller Länge auf YouTube.

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  6. ES gefällt mir sehr, was du über deine Musikrezeption schreibst, weil es bei mir ähnlich ist, du es aber so schön dargelegt hast. Letztens habe ich festgestellt, dass ich beim SChreiben keine Musik mehr hören mag. Sie lenkt mich ab, was noch vor Jahren nicht so war. Alte Platten besitze ich nicht mehr wie auch der Plattenspieler fehlt. Aber auch die CDs hevorzukramen, ist mir meistens zu lästig. Ein Problem ist die Verfügbarkeit alter Titel. Worüber man sich früher freute, wenns unverhofft im Radio gespielt wurde, das lässt sich jederzeit über Streamingdienste oder Youtube bekommen. Aber es rührt kaum noch an die Jugenderinnerungen an, Alles verflacht, und das liegt nicht nur am vorgerückten Alter.

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    • Popmusik kann nur existieren, weil sie sich einerseits einschleicht und süchtig macht, andererseits aber auch schnell wieder abnutzt und dann gern mal ein etwas schales Gefühl hinterlässt. Aber der nächste Hit kommt ja zuverlässig. Vieles von dem, was einst unverzichtbar war, ist inzwischen so abgenutzt. Leider gilt das nicht nur für die Fließbandhits. Ein paar Töne und schon ist alles wieder da. Klar, es gibt Ausnahmen, Stücke, die eben nicht in allen Oldieparaden aufgeführt werden, sondern in den Archiven verstauben, weil sie ein paar Minuten zu lang sind oder nie massentauglich waren.

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  7. Wunderbar getroffen, Manfred. Und wenn ich mir die aktuellen Dokumentationen über das kurze Leben des Elvis und das noch kürzere des Jimi Hendrix anschaue, was ich gerne tue, dann, um meinen damaligen Vorlieben auf die Schliche zu kommen. Warum, so frage ich mich, gab es viele Fans wie mich? Entschieden sie wie ich oder ich wie sie? Lässt Geschmack sich doch steuern? Entscheide ich auch sonst in unbewusster Abhängigkeit von einem Mainstream, Sidestream oder Minoritystream über meine Brille, mein Hörgerät, später meinen Rollator? Oder bin ich doch ein Individuum, so wie damals, als Scott McKenzie von San Francisco sang und ich den Song als Stück von mir liebte und wie eine alte Liebe noch immer aufbewahre? Ein Rätsel, das ich noch lösen möchte.

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  8. Ich fand den Text nicht schön, und auch nicht richtig. Dieses Altersgenöle, Musik früher, Musik heute. Musik ist Politik, und wenn sie früher gut war, ist sie heute noch gut, weil geschichtlich. Musik ist immer altuell, wie Heinrich von Kleist noch heute aktuell ist. Nein, kein guter Text. Ein schlechtes unüberlegtes Alterswerk. – Meine Meinung.

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    • Danke für deine ehrliche Kritik. Du weißt, dass ich das schätze, auch wenn du mal wieder zum groben Keil greifst. Ich kann deine Einschätzung meines Textes hinsichtlich seiner Form akzeptieren, ich würde hier nicht schreiben, wenn ich nicht damit leben könnte, dass meine Texte nicht gemocht werden. Es stimmt, wenn du sagst, dass es ein Alterswerk ist. Natürlich schwingt in diesem Text auch ein Stück Vorwurf an die Zeit mit, die weder mich noch meine Generation, aber auch nicht die Musik und die Literatur geschont hat. Da ist auch enttäuschte Liebe, denn was haben wir nicht alles von der progressiven Musik erwartet? Das war für uns doch nicht nur Musik, das war der Aufbruch, die Revolution die neue, andere und auf jeden Fall bessere Zeit. Da gab es, so habe ich es erlebt, einen Moment, in dem es so etwas wie eine große Gemeinsamkeit gab, eine zwischen den Musikern und der Jugend. Die zersplitterte spätestens mit der Gigantomanie des Rocks. Musik, die damals gut war, ist heute noch gut, nein, das würde ich nicht unterschreiben, weil ich zumindest auch vieles toll fand, was einfach gut gemachte, aber letztlich billige Massenware war. Klar, da ist auch viel, was heute noch funktioniert und es gibt auch heute gute neue Künstler. Aber, um es auf einen Begriff zu bringen: Damals waren wir im Angriff, voller Erwartungen, jetzt ist Verteidigung angesagt.

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      • Da sind wir mal wieder beisammen, und seit vielen Jahren schätze ich Deine Invektiven, weißt Du. Ja, die Gigantomanie auch in der Konzertkultur wie im von mir geliebeten Fußball, schrecklich, hat den, unseren Aufbruch mit Musik plattgemacht. Und ja, auch ich habe zu minimalaesthetischer Musik getanzt und glückliche Augenblicke gehabt. So ist das Leben. Mit meinen 60 Jahren kann ich aber doch immer noch gerne zurückhören, und mit Ohrerfahrung vieles lieben, was war. Ich höre sogar noch gerne den alten Punk, obwohl der als Musik nie wirklich meine erste Wahl war, aber als Bühnenpolitik. Ich liebe Alterwerke, aber die Jugend ist das Fundament. Kurz: Erkenntnis ist seit 1848 gleich geblieben. 😉 Living easy, loving free:

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    • Altersgenöle ist zwar ein quasimusikalisches Wörtchen, das sich wunderbar vertonen ließe. Aber um das Alter geht es gerade nicht, und auch nicht um‘s Klagen. Sondern um das Geheimnis der Zeiten. Alter Zeiten.
      Finde ich.

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