Berlinbesuch

Foto: Elfie Voita

Es gibt, habe ich gehört, Städte, die man liebt, weil sie so schön sind. Amsterdam zum Beispiel. Es gibt auch die Stadt, die man um seiner selbst willen liebt, weil sie Heimat ist und so vertraut wie die eigene Haut, die man, auch wenn sie mal Pickel oder Wunden hat, doch nicht verlässt. Das wäre ja mal eine ganz neue Definition von Reisen: aus der Haut fahren!

Dann sind da noch die Städte, die man gar nicht richtig sehen, nicht richtig spüren kann, weil sie so aufgeladen sind mit Geschichte, mit Erinnerungen, mit Bildern, die sich über die reale Stadt legen und sie fast unsichtbar machen. Städte, in denen man nicht zuhause ist und nicht zuhause sein kann, weil es sie überhaupt nicht gibt, weil es sie so, wie man sie im Kopf hat, nicht gibt und vielleicht auch nie gegeben hat.

Berlin ist so eine Stadt. Amsterdam nicht. Nicht, weil Amsterdam nur eine schöne Oberfläche, ein touristisches Gesicht besäße und keine Tiefe, oh doch, und ein bisschen davon weiß ich und kenne ich, aber es ist so schön, dass das allein schon reicht, dass ich immer wieder nur hinsehen muss, stehenbleiben muss und gucken und mich umdrehen und schau mal da und sieh mal dort sagen und fotografieren muss.

Berlin, da muss ich eigentlich überhaupt nicht hin. Das kenne ich schon, kannte ich, bevor ich da war und, obwohl ich nichts finde und überhaupt nicht weiß, was eigentlich wo ist, denke ich, so wird es sein und dann ist es auch so. Dagegen kann die Stadt überhaupt nicht an. Klar, sie kann mich begeistern, aber das habe ich ja schon erwartet, weil: Es ist ja Berlin. Da gibt es Dinge, Sachen, Menschen, die gibt es sonst eben nicht. Das habe ich doch gewusst!

Enttäuschen kann Berlin mich auch, denn da sind die Hochhäuser, der Potsdamer Platz und diese großspurige Fassade, Berlin eben, war wohl schon so, nicht der Platz, nur das Großkotzige, als der Kaiser noch das Sagen hatte. Und der Verkehr auf den breiten Straßen, auf denen die SA marschiert und die Volksarmee und die Rote Armee und die Amerikaner. Da schießen die Freikorps und jemand ruft die Republik aus und Kurt Tucholsky schreibt. Hitler erschießt sich und die Mauer steht und fällt.  John F. Kennedy und Willy Brandt und Walter Ulbricht und Benno Ohnesorg und Ton, Steine, Scherben und Bert Brecht und. Die Stasi und die Gestapo. Die Industriebarone und die Hinterhöfe, der Alexanderplatz und Döblin und es hört einfach nicht auf. Wo die Bilder enden, fangen die Geschichten an.

Ich muss da nicht hin, die Stadt kommt zu mir, ist ja schon wieder da, Berlin besucht mich.

10 Gedanken zu “Berlinbesuch

  1. Berlin. Es ist wie mit einem Menschen, über den jeder spricht, den jeder schonmal getroffen hat und den man fast täglich im Fernsehen sieht. Ob man will oder nicht; man macht sich ein Bild. Ich bin durch Berlin gelaufen, als die Mauer noch stand. Schulausflug. Ein Tag auch im Osten. Ich trage ein paar Resterinnerungen mit mir herum, Schnee, die Farbe Grau, einen Stadtgeruch, der in jeder Stadt anders ist, ein Biermann, der uns Zeichnungen zeigt und ein paar politische Lieder singt, Volkspolizisten, die den jeanstragenden Wessikindern hinterherpöbeln und befremdliche Eindrücke vielfacher Art auf beiden Seiten der Mauer. Verbote, Angst und starker Wille.

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    • Ich kenne die Stadt auch seit den späten sechziger Jahren. Klassenfahrt, Mauer gucken. Ein Tagen im Osten. Ja, es roch da anders, es klang anders, es fühlte sich anders an. Dann die „Wende“, das erste Mal durch das Brandenburger Tor gehen. Die Stadt kann einen, wenn man in diesem Land lebt, nicht ganz unberührt lassen.

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  2. Ich kenne keine Stadt, die sich so schnell verändert wie Berlin. 1989 zog ein Freund in diese Stadt, und seitdem bin ich mindestens einmal im Jahr da – unglaublich, was sich in den 30 Jahren verändert hat, im Kleinen wie im Großen, als müsse sie Geschichte ent- und sofort wieder verwerfen, und die Reste schauen wir uns als Touristen dann an. Deine Aufzählung gibt einen Ahnung davon.
    Zu Fontanes Zeit – das ist jetzt nicht soo lange her – gab es am Kurfürstendamm noch Gemüsegärten, davon sieht man heute freilich nichts mehr.

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    • An anderer Stelle habe ich mal geschrieben, dass mir das Ruhrgebiet an vielen Stellen vertraut ist, auch in eigentlich fremden Städten. Mit Ostfriesland geht es mir ähnlich. Berlin ist und bleibt mir fremd, das hat nichts mit Ortskenntnis zu tun. Es ist vielleicht dieser Wandel, den du benennst, der das bewirkt.

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    • Das ging mir eigentlich auch immer so. Es gibt aber die ruhigen Orte, die nicht im Zentrum des touristischen Interesses stehen. Mich von Menschenmassen durch irgendwelche Straßen schieben zu lassen… gut, in Corona-Zeiten passiert das nicht so oft – brauche ich nicht. Aber es ist die Nähe zur Geschichte, zur Kultur dieser Stadt, die mich immer wieder reizt.

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