Dornröschen oder die Handwerker

Neulich kaufte mir meine Frau zwei neue Bücher. Nicht nur das, ich durfte sie mir sogar selbst aussuchen. Ich betone das nur deshalb, weil es eher ungewöhnlich ist, dass ich mir etwas aussuchen darf. Meistens bringt sie mir etwas mit. Kleidung zum Beispiel. Wenn ich Glück habe, bringt sie mir zwei Sachen zur Auswahl mit, aber nur dann, wenn sie sich nicht ganz sicher war. Meistens ist sie das.

Ab und zu muss ich natürlich mit, zur Anprobe, weil ich wieder mal aus allem raus gewachsen bin: Wir betreten den Laden, die Verkäuferin kommt auf uns zu, taxiert mich kurz und spricht dann mit meiner Frau. „Was braucht er denn?“ Und dann unterhalten sie sich in einer weiblichen Fachsprache, die sich mir weitgehend verschließt: über Größen, Längen, Qualitäten und was auch immer noch eine Rolle spielen mag beim Erwerb einer Hose, einer Jacke, eines Pullovers oder sonst noch zu erstehender Utensilien. Immer wieder werde ich, werden wir Männer dort unter den fadenscheinigsten Vorwänden („Nur wegen der Größe!“) genötigt, Kleidungsstücke anzuziehen, mit denen wir uns in freier Wildbahn nirgends sehen lassen könnten. Und warum? Weil es Sachen sind, die der gedachte Idealpartner hätte tragen können, Brad Pitt oder George Clooney oder sonst wer. Wir aber, die Durchschnittsmänner, sehen komplett lächerlich darin aus – und das lässt man uns dann auch wissen.

Auf geradezu klassische Art belegt ein Erlebnis, das ich kürzlich in der Umkleidekabine eines Herrenfachgeschäfts hatte, die untergeordnete Rolle, die uns Männern beim Kauf von Textilien zugedacht ist. Während ich eine Hose nach der anderen anprobierte, die meine Frau heranschleppte, wurde ich wider Willen Zeuge eines Gesprächs zwischen der Partnerin meines Zellennachbarn und der Verkäuferin, die Nachschub für das fröhliche Verkleiden heranwuchtete. „Nein, das mag ich nicht!“ beschied die Begleiterin sie. Nicht: „Nein, das mag er nicht“. Nicht einmal: „Nein, das steht ihm nicht“. Nein: „Das mag ich nicht“. Kürzer und treffender kann man die Machtverhältnisse beim Textilkauf nicht ausdrücken.

Gut, bei Büchern ist es ein wenig anders, dennoch hätte ich skeptisch werden müssen, als sie sagte, ich dürfe mir gleich zwei kaufen. Statt dessen machte ich den Fehler, sie zu fragen, womit ich dieses große Glück verdient hätte und sie machte den noch größeren Fehler, mir auf diese dumme Frage auch noch zu antworten und sprach: „Wenn du liest, stehst du beim Renovieren wenigstens nicht im Weg herum und machst auch nichts kaputt.“

Dabei ist es oft genug so, dass man einen Handwerker braucht. Wie es um die bestellt ist, lässt sich am besten mit dem Anfang des Märchens vom Dornröschen erzählen. Dort heißt es nämlich, dass ein König und eine Königin sich sehnlichst ein Kind wünschten und – aufgemerkt – kriegten immer keins. So ist es mit den Handwerkern auch. Eine andere Theorie besagt, dass Handwerker in einem parallelen Universum leben, in dem es eine andere Uhrzeit und vermutlich sogar einen anderen Kalender gibt.

Ich behaupte nicht, dass ich ein guter Handwerker bin. Ich behaupte nicht einmal, dass ich ein schlechter Handwerker bin. Es gibt Leute, die der Auffassung sind, dass ich zwei linke Hände habe – und zwar an jedem Arm. Aber das ist übertrieben, glaube ich jedenfalls. Immerhin traue ich mir einiges zu, okay, nicht gerade viel, aber doch manches. Ich wechsele Glühbirnen aus, (an dieser Stelle folgte bei der Abfassung des Textes eine längere Phase des Nachdenkens), streiche Wände an, tapeziere sogar. Für unser Treppenhaus habe ich eine eigene Technik entwickelt, von der Treppe aus die gegenüberliegende Schräge zu tapezieren. Diese Technik ist allerdings auf mich persönlich zugeschnitten und funktioniert auch nur, solange ich nicht altersbedingt schrumpfe. Meine Vorgehensweise sieht so aus, dass ich mich auf Zehenspitzen auf die oberste Stufe stelle, ganz vorn, noch weiter vorn, auf den äußersten Rand der Stufe. Die zu klebende Tapete halte ich mit meinen hoch erhobenen, noch etwas höher, ja… Händen vor mir und lasse mich dann nach vorn kippen. Wenn die Tapete an der Schräge kleben bleibt, habe ich weit genug vorne gestanden. Stürze ich hingegen die Treppe hinunter… aber das ist bisher noch nicht passiert.

Jetzt dürfte auch deutlich sein, warum ich nicht in Anwesenheit anderer Menschen arbeiten kann. Ich ertrage weder deren mitleidige Blicke noch die Panik in ihren Augen. Andererseits bin ich durchaus geneigt, meine Erfahrungen mit anderen Heimwerkern zu teilen. Ich denke zum Beispiel an ein Lehrbuch mit dem Titel „Handwerker wider Willen“ mit Kapiteln wie „Die wichtigsten Werkzeuge – und wie man die typischen Verletzungen behandelt, die sie verursachen.“ Schließlich gibt es durchaus mehr Menschen, bei  denen eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft mit einer totalen handwerklichen Unfähigkeit einhergeht, eine wirklich unglückliche Kombination. Aber vermutlich gibt es das im Baumarkt neben den Montageanleitungen und Do-it-yourself-DVDs schon längst.

Handwerk hat, wenn man von der notwendigen fachlichen Qualifikation einmal absieht, natürlich auch noch eine physische Seite. Männer zeigen ihre Kraft und Geschicklichkeit, manche jedenfalls. Andere, so wie ich, haben schon Schwielen an den Händen, wenn sie den Schraubenzieher aus dem Keller geholt haben. Abgesehen davon, dass ich mir schon vorher die Finger am Werkzeugkasten geklemmt habe.

Im Normalfall beginnt alles mit einem Problem und meinem Angebot, es in absehbarer Zeit, wenn auch nicht sofort, in Angriff nehmen zu wollen. Besser nicht gleich, manche Dinge lösen sich von selbst, andere werden einfach vergessen.

Wenn es dann heißt, jetzt wird in die Hände gespuckt und dann geht es los, verspüre ich nicht nur einen leichten Ekel, sondern bin mir auch nicht sicher, ob das bei offenen Wunden so gut ist. Was anderen das Augenmaß, ist mir halt das Hansaplast.

Damit sind wir auch schon beim Thema Flüssigkeitsverlust bei körperlichen Arbeiten, aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass noch das wenigste Schweiß ist, das meiste sind Blut und Tränen, weshalb ja wohl auch Blut, Schweiß und Tränen sprichwörtlich geworden sind. Ob-wohl ich bereits schwitze, wenn ich an die bevorstehenden Arbeiten denke.

Nach ungefähr zwei Stunden harter Arbeit sagt mir dann zum Beispiel jemand, dass es einen Fliesenbohrer gibt, mit dem ich spielend die benötigten Löcher im Bad hätte bohren können (und ich erinnere mich daran, dass wir so was im Werkzeugkasten haben, verschweige es aber schamhaft). Dann kommt meine Frau vorbei und erinnert mich daran, dass ich vergessen habe, mich vor Arbeitsbeginn umzuziehen. Jetzt ist es dafür natürlich zu spät.

Obwohl ich für alles länger brauche, bin ich meistens schneller fertig als alle anderen. Natürlich nicht mit der Arbeit, sondern durch die Arbeit. So kann ich mich dann unbehelligt an die vorbereiteten Brötchen machen. Und wenn es dann heißt: „Das ist aber für alle!“ dann kann ich ehrlichen Herzens antworten: „Oh – ich bin alle. Gerade heute bin ich so was von alle!“

Da stöhnt der Fachmann und der Laie windet sich.

15 Gedanken zu “Dornröschen oder die Handwerker

  1. Danke für ein paar hochamüsanten Minuten, die ich bei der Lektüre dieses Textes gehabt habe! 🙂
    Ich schmeiß mich weg, und kriege das Bild eines oben an der Treppe stehenden, nach vorne zur gegenüberliegenden Schräge kippenden Mannes nicht mehr aus dem Kopf. ;-D

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  2. Dein Bericht über das Einkleiden von Männern durch ihre Frauen, war genau das richtige für eine verregnete Mittagspause. Ich konnte es nicht ganz glauben. Meine Kollegin sah mich allerdings streng an und bestätigte die Verfahrensweise, da man sonst Gefahr liefe…. lassen wir das, es wäre eine eigene Gesichte. Vielleicht schreibt sie mir die mal auf. Bis dahin sorge ich mich etwas um dich und hoffe, dass die Schräge so schnell nicht mehr tapeziert werden muss.

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