Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah begleitete Kara Ben Nemsi durch den Orient, durch Afrika oder den Balkan – und mich zum Küchenschrank. Zu dem mit den Schiebetüren unter den Küchenfenstern. Links davon brummte der Kühlschrank, aber der interessierte mich nicht.
Wenn Karl May seine Helden in einem Zelt in der Wüste fremdartige Köstlichkeiten genießen ließ, lief mir das Wasser im Munde zusammen. Da war es praktisch, dass meine Schlafcouch in der Küche unserer Zweizimmerwohnung stand.
Unbemerkt schleiche ich mich an, das Linoleum unter meinen nackten Füßen knackt nicht… oder was war das? Nein, nur der Kühlschrank, der sich schüttelt. Nirgendwo lauern feindliche Posten. Trotz der fast vollständigen Dunkelheit, kein Mond, keine Sterne leuchten in unsere Essschlafküche, komme ich gut voran. Die Nacht ist kühl, wie es selbst in der heißesten Wüste vorkommen soll. Besonders im Schlafanzug, Papa hat mal wieder das Küchenfenster offen gelassen. Leise öffne ich die rechte Schiebetür des Schranks, die, hinter der sich das Stück Bauernwurst verbirgt, eine harte, würzige Wurst, die wir immer in einem Kaufhaus in der Innenstadt kaufen.
Ich lausche noch einmal, nein, keine Geräusche in der Wohnung, dann schneide ich mit dem großen, scharfen Brotmesser ein kleines, gut, nicht ganz so kleines Stück ab und löse gekonnt die Pelle. Noch ein Stück trockenes Brot dazu und, ich mag es kaum sagen, ein paar Tropfen Maggi darauf. Vermutlich als Ersatz für all die exotischen Gewürze, die es in unserem Pfeffer-und-Salz-Haushalt noch nicht gibt.
Ich war wohl nicht der Einzige, den Karl May nicht nur mit Abenteuern, sondern auch mit Appetit versorgte, denn es gibt inzwischen sogar ein Kochbuch, das sich auf den sächsischen Schriftsteller und sein Werk bezieht: Zu Gast an fremden Feuern.
Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte es das schon damals gegeben. Möglicherweise hätten meine Eltern mich mit Pfannen und Töpfen jonglierend am Küchenherd vorgefunden und mein Leben wäre gänzlich anders verlaufen. Was wieder einmal sehr schön zeigt, welchen Einfluss gute Literatur auf Menschen haben könnte, wenn sie denn verfügbar wäre. So musste ich halt Karl May lesen, Bauernwurst mit trockenem Brot und Maggi essen und BWL studieren. Nicht, dass ich mich beklagen würde, aber Maggi?
Schön beschrieben, ein bisschen Karl May Träume dürfen schon sein…
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Ja. Aber der Karl May, den man als Kind gelesen hat, ist für den Erwachsenen nicht mehr erreichbar. Da lass ich mir meine Erinnerungen durch die Bücher nicht kaputt machen.
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Genau, Erinnerung verklärt und wenn man versucht das nochmal zu erleben, fällt man meistens auf die Schnau…
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Das Lesen meines letzten Karl May Romans ist mehr als 50 Jahre her, doch der vorzügliche Karl-May-Roman des vorzüglichen Schriftstellers Erich Loest „Swallow, mein wackerer Mustang“ hat mir vor ein paar Jahren ein sehr schönes Leseerlebnis verschafft.
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Danke für den Tipp. Ich habe es zwischendurch mal wieder versucht, aber es geht einfach nicht mehr. Die Art, eine Geschichte zu erzählen, die Grundhaltung, die dahinter steht, das ist für Kinder oder Jugendliche mal akzeptabel gewesen, heute hat das höchstens literaturgeschichtliche Bedeutung. Oder eben als Hintergrund für eigene Erinnerungen.
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Wie gesagt: Ich finde die Karl-May-Biographie von Erich Loest sehr lesenswert, weil er darin aufzeigt, wie verlockend einfach und wie gefährlich es ist, den pubertären Phantasien nachzugeben.
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Geschafft. Jetzt will auch ich ein Stück gutes Brot. Mit Butter. Und Schnittlauch.
Du entschuldigst mich…
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Schnittlauch würde ich jetzt auch vorziehen.
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Stichwort Schnittlauch: Beim Wandern habe ich in der Nähe von uns ein richtiges „Feld“ von wildem Schnittlauch gefunden. Köstlich und sehr intensiv!
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Du machst mich neugierig!
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Oh, der ist selten geworden und ich würde nichts gegen ein feines Butterbrot mit diesem Schnittlauch einzuwenden haben 😉
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Wir hatten zuhause nur 2 Bände: Winnetou und Durchs wilde Kurdistan. Aber wir waren 2 Mädchen und 9 Jungs …
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Mädchen mochten die Filme lieber als die Bücher. Jedenfalls ist das in meiner Erinnerung so. Meine Schwester hat nie Karl May gelesen. Na gut, vielleicht habe ich sie auch nicht gelassen. Wir hatten zwar mehr Bände, aber die wurden nur zu Weihnachten bzw. bei anderen entsprechenden Gelegenheiten ergänzt. Die meisten habe ich deshalb mehrfach gelesen.
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