Sommernacht mit Schwarzgelb

Trotz aller Erfolge, die Markus bisher verbucht hatte, und das Seepferdchen zählte er dabei längst nicht mehr mit, vielleicht sogar wegen seiner Erfolge in beruflicher und sozialer Hinsicht war Markus zu seinem großen Leidwesen Single. Fast hätte er die Hoffnung aufgegeben, doch noch eine ordnende weibliche Hand für seinen Junggesellenhaushalt zu finden, da fiel sein Blick auf eine Statistik.

49 Prozent der Bevölkerung waren Männer, 51 Prozent eben nicht. Wenn man wie Markus ein gewisses Grundverständnis für mathematische Probleme mitbrachte, erkannte man schnell, dass von 100 Menschen folglich 51 Frauen sein mussten – und nur 49 Männer. Dachte man diese Tatsachen zu Ende und unterstellte man, dass 48 Männer bereits eine Frau gefunden hatten und er, Markus, also der Neunundvierzigste und Single war, dann blieben noch zwei Frauen übrig.

Damit reduzierte sich sein Problem darauf, diese beiden Frauen zu finden und sich zwischen ihnen zu entscheiden.

Dass die Damen nicht an ihm interessiert sein könnten, das schloss Markus aus. Sie hatten nämlich keine Alternative. Alle anderen waren ja vergeben. Und falls sich eine tatsächlich für ein Leben im Kloster entscheiden sollte, gut, dann löste sich sein Entscheidungsproblem in Wohlgefallen auf. Mehr als eine Frau hatte Markus noch nie gewollt. So groß war seine Wohnung nicht und Frauen sollten im Unterhalt auch recht teuer sein.

Möglicherweise finden Sie seine statistischen Erwägungen nicht bis ins Letzte schlüssig, nicht ganz zu Ende gedacht, kurz: fragwürdig. Ja, es gibt da vielleicht kleinere Unebenheiten, aber ich werde einen Teufel tun und Markus hier bloßstellen. Nein, da müssen Sie schon selbst ran und während Sie an dieser Aufgabe herumkauen, erzähle ich schon mal weiter. Sie können dann ja später nachkommen.

Markus hielt sich im Übrigen für ein Feuerwerk. Ein kleines, etwas behäbiges und eher leises Feuerwerk, falls es so etwas gab. Aber ein Feuerwerk,  ganz bestimmt. Er brauchte nur eine Chance, dann würde es schon funken. Und er wusste auch schon, dass sein Moment kommen würde. Die heißeste Nacht des Jahres stand bevor. Jetzt nicht klimatisch, obwohl man das ja nie wissen konnte und im Hochsommer standen die Chancen dafür auch nicht so schlecht, sondern in Anführungszeichen. Mit Datum und Uhrzeit überall in der Stadt plakatiert. Und Markus besaß eine Eintrittskarte.

Emma war eine Heldin. Sie wusste das nicht, schließlich wird man nicht Heldin, wie man Bäckerin wird, weil man den Betrieb vom Vater übernimmt. Sie lief auch nicht mit einem Zweihänder durch die Fußgängerzone. Sie würde, wenn die Situation da war, ihre Heldinnenqualitäten entdecken, käme die Situation nie, würde ihr auch nichts fehlen.

Wenn ich jetzt sage, dass Katrin eine Schönheit war, wenden Sie dieses neu erworbene Wissen gleich gegen Emma an, nicht wahr? Dabei habe ich nichts Negatives über sie gesagt, aber nein, Sie wollen es ja besser wissen. Und nein, mit gutem Aussehen geht nicht automatisch eine Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten einher, obwohl das manchmal vielleicht praktisch wäre.

Man hat das ja oft, dass an einem Tisch eine Schönheit und eine Heldin sitzen. Für Markus war alles klar, als er in besagter Sommernacht die beiden Damen sah. Der Himmel riss auf, also symbolisch, es war keine Garten-, sondern schon eine Hallenveranstaltung. In einem dieser Zweckbauten, einem, bei dem es jemand offenbar für zwecklos gehalten hatte, über Fragen der Architektur auch nur ansatzweise nachzudenken. Ein großer rosa Pfeil durchstieß die Decke, also immer noch symbolisch, und zeigte auf den Tisch mit den Mädels. Das war sein Moment.

Wie unterschiedlich wir doch die Welt wahrnehmen. Markus sah zwei Frauen, also genaugenommen eine, in ein, wie soll ich es beschreiben, überirdisches Licht getaucht und die beiden Frauen sahen, nun, Markus eben. Das Licht, das Markus als überirdisch erlebte, war eine defekte Neonröhre, das Geräusch hingegen, von Markus und den beiden Frauen zunächst unter anderem wegen der Neonröhre und der dezenten Loungemusik überhört, war gänzlich fehl am Platze.

Eine Wespe, eine Biene vielleicht, jedenfalls eine Summe und so, wie sie herumsauste, möglicherweise eine Quersumme. Ja, noch war den Damen nach Scherzen zumute, doch gleich darauf lag Markus ihnen zu Füßen. Nein, nicht wie Sie jetzt denken, anbetend oder schmachtend, sondern in Folge eines anaphylaktischen Schocks. Ob es eine Wespe oder Biene war, es war jedenfalls genau das Insekt, auf dessen Gift Markus allergisch reagierte. Okay, es war eine Wespe, jetzt weiß ich es auch. Emma nahm sofort den Kampf auf, leider nicht um Markus sondern gegen die Wespe. Katrin sah immer noch gut aus, wenn auch nicht mehr in Farbe sondern eher in Schwarzweiß. Sie öffnete ihre Handtasche: Pfefferspray? Nein. Sie versuchte, sich auf ihren einige Jahre zurückliegenden Erste-Hilfe-Kurs zu besinnen, aber mehr, als die Erinnerung daran, dass sie diesen Kurs absolvierte hatte, war nicht mehr zu holen. Markus verfärbte sich derweilen und war ganz kurz davor, die Atmung einzustellen, als der Kellner vorbeikam.

Später, als Markus langsam wieder zu sich kam, erinnerte er sich an eine intensive körperliche Begegnung mit einem jungen Mann, an fremde Lippen auf seinen Lippen, fremde Hände auf seinem Körper. Jetzt könnten Sie einwenden, dass das alles beim Online-Dating nicht passiert wäre und da haben sie selbstverständlich Recht. Es wäre tatsächlich niemand vorbeigekommen, der Markus nach dem Wespenstich gerettet hätte.

6 Gedanken zu “Sommernacht mit Schwarzgelb

  1. Wie gemein, Wespenstich, anaphylaktischer Schock und Von-Mund-zu-Mund-Beatmung durch einem Kellner ist ja dreifaches Pech. Date verpasst=vierfaches. Hättest du den armen Markus nicht wenigstens einer der Damen in den Schoß fallen lassen können?

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  2. Da hat am Ende die Mathematik nicht zum happy end geführt. Herrlich zu lesen! Ein Kompliment für so viel wunderschöne Leichtigkeit, die der Text ausstrahlt. Als wäre es dir einfach aus den Fingern geflossen. Toll.

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