Abgefüllt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arthur_Szyk_(1894-1951)._Arabian_Nights_Entertainments,_The_Husband_and_the_Parrot_(1948),_New_Canaan,_CT.jpg

Die Lichter der Stadt verloschen, schon blickte der Mond gütig hinab auf Gläubige und Ungläubige und die Sterne funkelten am Firmament. Die Hitze des Tages war einer angenehmen Kühle gewichen und aus den vielen Zimmern des Palastes waren noch Musik und Lachen zu vernehmen, doch langsam kehrte Ruhe ein, legte sich wie eine weiche Decke auf die Stadt.

„Dieser Stress, auf Anhieb kreativ sein zu müssen, ich halte das nicht mehr aus. Nacht für Nacht eine neue Geschichte.“ Scheherazade saß in ihren prächtigen Nachtgewändern schluchzend auf dem geräumigen Bett, während Schahrayâr, der König von Persien, gerade im Bad seinen Bart bürstete. Dinharazade aber, ihre Schwester, die treu an ihrer Seite ausgeharrt und mehr mitbekommen hatte, als eine Schwester, und sei es auch eine Lieblingsschwester, je mitbekommen sollte, kniete vor ihr, umschlang die Zitternde mit ihren Armen, tröstete und beruhigte sie und bat sie schließlich, wie sie es seit x-Nächten getan hatte, um eine Geschichte.

„In der Zeit des Herrschers Harun al Raschid“, so begann Scheherazade, „lebte in Bagdad ein Mann, der besaß das zweite Gesicht. In jenen fernen Tagen verstand man darunter nicht, dass er wie Silvio Berlusconi geliftet worden war, sondern dass ihm der Schöpfer die Macht gegeben hatte, die Zukunft zu schauen.

Der Mann, ein kleiner Kaufmann, der in seinem Viertel mit Datteln, Feigen, Granatäpfeln und Rohöl handelte und den jeder Achmed nannte, bewahrte in einem kunstvoll geschnitzten und reich verzierten Ebenholzschränkchen zwei Flaschen auf. In der einen befand sich Gin, den er von seinen Reisen an die Enden der Welt mitgebracht hatte, die andere aber hatte er einst von seinem alten Vater erhalten, der ihm den heiligen Eid abnahm, die Flasche nur in allergrößter Not zu öffnen.

Nun trug es sich zu, dass Achmed den Abschluss eines großen Liefervertrages mit einem russischen Investor feiern durfte. Es wurde aufgetragen, was Keller und Küche hergaben, schöne Frauen tanzten und sangen und weise Männer führten ernsthafte Gespräche, jedenfalls wenn die schönen Frauen nicht gerade tanzten.

Zu später Stunde, als alle anderen Gäste bereits gegangen waren und sein trinkfester Gast die letzten edlen Flaschen geleert hatte, die noch im Keller zu finden waren, erinnerte sich Achmed an die beiden Flaschen in dem Ebenholzschränkchen und da er selbst schon lange keine Macht mehr über seine Beine besaß, bat er seinen Gast, den Gin zu holen und beschrieb ihm die Flasche sehr genau. Ausdrücklich aber verbot er ihm, die andere Flasche auch nur anzurühren.

Der Ungläubige aber, dessen Neugier durch Achmeds Warnungen nur angestachelt worden war, nahm die eine Flasche, schnupperte an ihrem Inhalt, leerte die Flasche bis zur Hälfte und stellte sie zufrieden auf den Tisch. Die andere aber betrachtete er von allen Seiten, konnte aber weder ein Mindesthaltbarkeitsdatum noch einen Hinweis auf die Zusammensetzung, das Mischungsverhältnis oder den Alkoholgehalt entdecken.

Da überkam ihn der Übermut und er füllte den Inhalt der verbotenen Flasche in die Ginflasche und erzeugte so etwas, dass später unter ähnlichen Bedingungen als Weingeist bezeichnet wurde, im vorliegenden Falle aber Gin mit Dschinn ergab, denn es war eine dieser seltenen Flaschen, in die ein mächtiger Geist verbannt worden war. Zum großen Glück des fremdländischen Investors entkam der Dschinn nicht und der Ungläubige verschloss die Flasche wieder. Er trug sie wie versprochen zu seinem Gastgeber, der aber längst tief und fest eingeschlafen war. Der russische Händler grummelte etwas unverständliches, zuckte die Achseln und verließ das Haus Achmeds, um sich in das Nachtleben Bagdads zu stürzen.

Achmed aber erwachte am späten Vormittag, als die Sonne schon hoch stand, mit rasenden Kopfschmerzen und weil es ein seit alters her bekanntes Rezept ist, den Morgen mit dem gleichen Getränk zu beginnen, mit dem man den Abend beschlossen hat, griff er zu der einzigen Flasche, die noch nicht ganz geleert war und entkorkte sie.

Wir überspringen die Rituale der gegenseitigen Bedrohung, der miesen Tricks und der unterwürfigen Schauspielerei und kommen gleich zu den an dieser Stelle vorgesehenen drei Wünschen.

Es gab natürlich einen ganzen Beipackzettel mit Einschränkungen, möglichen Nebenwirkungen und den Verweis darauf, dass beim Wünschen darauf zu achten sei, dass die Gesetze des jeweiligen Landes eingehalten würden, doch irgendwann war Achmed so weit, zumal die Zeit drängte und der Dschinn los wollte, weil er noch einiges an Begeisterung zu verbreiten hatte.

In tiefem Ernst sprach Achmed, derweil er seinen schon ergrauten Bart kraulte und den Dschinn streng anschaute: „Mein ersten Wunsch…,“

Lassen Sie es uns auch hier ein wenig abkürzen, diese Orientalen sind immer so weitschweifig und wenn Sie sich das alles anhören sollten, bliebe Ihnen vermutlich nur noch ein Wunsch, der nach einem raschen und gnädigen Ende… zumindest dieser Geschichte. Achmed wünschte sich also ein gesundes Gesundheitssystem, ein gerechtes Steuersystem und regelmäßig ein Glas guten Rotwein.

Falls Sie jetzt erwartet haben sollten, dass Achmed von dem angetrunkenen Dschinn wirklich Lösungsvorschläge für drängende Probleme unseres Landes bekam, dann sind Sie hier genau richtig: Sie glauben wirklich noch jedes Märchen, dass man Ihnen erzählt. Das mit dem Glas Rotwein allerdings, das klappt bis heute ganz vorzüglich.“

 

6 Gedanken zu “Abgefüllt

  1. Und weil in jedem Märchen ein Funke Wahrheit enthalten ist, werde ich das Glas Rotwein gerne in meinem Abend einbauen. 😉
    Eine schöne Erzählungen. Die Sprünge in der zweiten Hälfte gefallen mir. Obwohl ich nicht glaube, sonst den Wunsch nach einem Ende verspürt zu haben.

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  2. Ich hätte schon auch noch etwas länger zugehört (oder „zugelesen“). Man ist fast geneigt, Deine Enkelkinder (?) zu beneiden, wenn Du so ins erzählen kommst… und dann für uns Ältere noch diese gesellschaftskritischen Pointen 😉

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    • Keine Enkelkinder. Aber solange die Welt zuhört, gut, die Welt ist jetzt vielleicht etwas hoch gegriffen, mein kleines Stückchen der digitalen Welt. Oder besser: der Spielplatz, den mir wordpress einräumt. Danke für deine freundliche Reaktion, Beat.

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