Viel versprechend

Von János Korom Dr. from Wien, Austria – 2013 Wien 0351a, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31440938

Er hatte ein neues Buch zu lesen begonnen, einen Autor, von dem er dachte, er könne so interessant sein, dass es sich lohnen würde, auch seine weiteren Bücher zu lese. Das enthöbe ihn nämlich der Mühe, in weihnachtlich vollen Buchhandlungen zwischen Hunderten von Büchern eine mehr oder weniger willkürliche Auswahl zu treffen und doch wieder eine literarische Enttäuschung zu erleben, obwohl er sich doch nach Klappentexten und Rezensionen richtete, ja viele Bücher und besonders CDs nur wegen der Kritiken gekauft hatte, nicht einmal in der Erwartung, dass seine Neuerwerbungen den Versprechungen der Kritik auch tatsächlich genügen könnten, nein, einfach deshalb, weil er den Stil eines Kritikers so mochte.

Jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm auch ein, dass das auch für das Kino galt. Wenn früher Lutz Gräfe, der Kinokritiker von WDR 5, einen Film in seiner lakonischen Art besprach, die immer etwas an Robert de Niro erinnerte, wenn er von Christian Brückner synchronisiert wurde, dann konnte er den Empfehlungen kaum widerstehen, selbst wenn er schon oft enttäuscht worden war.

Oh Mann, wie fremdbestimmt war er eigentlich?  Wie leicht zu leiten und zu beeinflussen? An diesem Punkt seiner Introspektion musste er sich noch etwas eingestehen, etwas wirklich Lächerliches: Wenn nämlich in einer wissenschaftlichen Rundfunksendung über eine neue Therapie berichtet wurde, die erstmalig Heilungschancen für eine bisher unheilbare Krankheit zu versprechen schien, dann konnte er nie ein leises Bedauern unterdrücken, nicht an dieser Krankheit zu leiden. Nicht etwa, weil er gern litt, sondern weil er gern die aufkeimende Hoffnung erfahren hätte. Das war doch wirklich schrecklich! Wie trost- und hoffnungslos musste sein Leben sein, dass er sich so sehr nach ein wenig Hoffnung sehnte.

8 Gedanken zu “Viel versprechend

  1. Diese Form der Fremdbestimmung war vor Zeiten des Internets so normal, das man gar nicht darüber nachdachte. Andererseits betrachteten sich Journalisten selbstverständlich als Gatekeeper. Manchmal wünsche ich mir die Naivität zurück, mit der man das hingenommen hat. Kurios finde ich das in deinem Text Letztgenannte. Es ist vielleicht verwandt mit dem Gefühl, dass man just die Krankheit bei sich vermutet, von der gerade berichtet wurde. Morbides Wunschdenken?

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    • Ja, es geht wohl um Fremdbestimmung, um das Geführt werden, das schließlich genossen wird, weil es Sicherheit gibt. Denn der, der empfehlen darf, ist mit der Autorität des Experten ausgestattet, weiß mehr, kann mehr und teilt seine Wissen großzügig mit uns Ahnungslosen. Der letzte Teil treibt das, so war wohl meine Intention, ins Extreme. Die angebotene Lösung, letztlich das Produkt, auch wenn es ein wissenschaftliches bzw. medizinisches Produkt ist, wird durch den Bericht darüber erstrebenswert und wenn man krank sein muss, um das Produkt nutzen, d. h. konsumieren zu können, dann wünscht man sich eben – fast – diese Krankheit.

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  2. Also ich weiß nicht … Ich kaue auch gerade an „Letztgenannten“, verstehe es aber nicht so, dass ER vermutet, die erörterte Krankheit zu haben, sondern – im Gegenteil – sehr genau weiß, nicht daran zu leiden und dies bedauert. Und während ich bei Buchrezensionen oder Filmkritiken genau die Person sein könnte, die aus Sympathie für den Kritiker das falsche Buch kauft oder in den falschen Film geht, ist es noch niemandem gelungen, mir eine Krankheit schön zu reden. Ich würde sogar sagen, die Reaktion in den Fällen a) und b) hat nichts mit der Reaktion im Fall c) zu tun. – Könnte vielleicht mal ein hauptamtlicher Psychologe sich äußern?

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      • Vielleicht fehlen mir nur die entsprechenden eigenen Erfahrung, oder – eher noch – mich irritiert, dass ich dieses „Hereinfallen“ auf Kritiken aus Sympathie für den Kritiker sehr gut kenne, während ich bei „Medizinischen Ratgebern“ sowieso möglichst gleich wegschalte – schon um nicht plötzlich Symptome an mir zu entdecken. Für mich ist das eine andere und auch sehr viel schwierigere Baustelle. Eher ein Sonderfall, während mit Sicherheit viele von uns immer wieder erleben, das eine Kritik uns das Gefühl gibt, der Kritiker würde mehr oder weniger unseren Geschmack teilen, sich als (für uns) irreführend erweist.

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  3. Kino Kino, der Grafe Lutz, klar, aber was ich seit gut zwölf Jahren mal wieder gesehen habe war: Easy Rider. Der Fonda, der Hopper, der Nickelson, ihr Ritt durch die Trump-Staaten, Hippies, Deppen, Rassisten, zwei Chopper, drei Irre. USA rules, bei Gewehr. Starkes Kino.

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