Der Friedhof von Prag, Eco und die Protokolle der Weisen von Zion

Foto: Elfie Voita

Die Protokolle der Weisen von Zion. Nie davon gehört? Das wäre ja mal ein gutes Zeichen.

Vermutlich gab es zu jeder Zeit Versuche, irgendwem die Schuld für den ganzen Schlamassel aufzudrücken. Der Homo Sapiens Sapiens, der erstmals einen Bezugsschein für eine Höhle ausfüllen musste, gab die Schuld dafür sicher dem Neandertaler, dem blöden Höhlenmenschen. Später wurden die, zu deren Religion oder Tradition der Sündenbock gehörte und die sich das Wort Schlamassel ausgedacht haben, zum Premiumfeind, zum Universalübel. Übrigens habe ich bis gerade nie darüber nachgedacht, dass in Schlamassel ja auch der Massel steckt, Schlamassel also einfach kein Massel ist. Manchmal hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech hinzu, wie es mal ein Bundesligaprofi formuliert hat.

Weil die Welt aber immer komplizierter wurde und immer mehr Menschen nicht verstanden, warum gerade sie nicht reich und berühmt wurden, dafür aber den Kopf für alles hinzuhalten hatten und anschließend auch noch einen Tritt in den Allerwertesten bekamen, bedurfte es einer Erklärung. Nein, nicht die von Herrn Marx. Die war auch kompliziert und hätte unangenehme Folgen für das Zusammenleben in der Gesellschaft gehabt.

Viel besser war es da, eine Verschwörung anzunehmen. Eine, der zufolge die Juden, die ja, wie die Kirche lehrte, schon Christus auf dem Gewissen hatten, die Weltherrschaft anstrebten. Dann hatte man die Schuldigen, konnten ihnen den Kampf ansagen und das Böse aus der Welt schaffen. Jetzt ist es immer besser, nicht nur etwas über jemanden zu behaupten, etwas, das wie üble Nachrede klingen könnte, sondern Beweise aus erster Hand vorzulegen, Dokumente, Mitschriften, Protokolle eben. Die Führer der Juden, so wurde also behauptet, trafen sich immer wieder, um ihren Plan zur Übernahme der Weltherrschaft abzustimmen. In Prag. Auf dem Friedhof. Die Protokolle der Weisen von Zion sind, nach allem, was ich darüber gelesen habe, lange Zeit ein höchst wirksames Instrument der Antisemiten gewesen, obwohl sie nachweisbar auf literatische Quellen zurückgehen, auch auf antifreimaurerische Literatur. Wenn schert es denn, dass etwas schlecht gefälscht ist, solange es funktioniert! Und es funktionierte.

„Der Friedhof in Prag“ stand auf meiner Leseliste, nachdem ich auf dem Friedhof in Prag war. Selbstverständlich gibt es mehrere Friedhöfe in Prag, nehme ich jedenfalls an, ich habe mich nicht persönlich davon überzeugt, aber Kafka z. B. soll auf einem anderem als dem Friedhof in Prag liegen. Der Friedhof in Prag, der sofort jedem einfällt, der einmal in Prag war und sich mit der deutschen und jüdischen Geschichte dieser Stadt beschäftigt hat, ja, auch mit der tschechischen und österreichischen, also irgendwie mit der k.und k.-Historie, ist der alte jüdische Friedhof, der, wie vieles in den Zeiten des Massentourismus, längst zu einem Besuchermagnet geworden ist und doch seine sehr eigene Ausstrahlung behalten hat.

Friedhöfe sind ein Orte der Toten und der Lebenden, aber dieser Friedhof scheint viel mehr als alle anderen ein Ort der Toten zu sein, durch die Dichte der Gräber, das Über- und Durcheinander der Bestattungen, das Alter der Gräber und die Namen und Geschichten der Toten. Umberto Eco hat diesen Friedhof für den gleichnamigen Roman benutzt, nein, das stimmt nicht, er bezieht sich nicht auf den realen Friedhof, sondern lässt seine Hauptperson, den Fälscher Simonini, anhand einer Abbildung in einem Buch diesen Friedhof zum Ausgangspunkt einer weltweiten Verschwörung machen. Simonini verfasst die Protokolle der Weisen von Zion. Eco nimmt sich viele Seiten und viele Quellen, viele Zitate und viele Personen der Zeitgeschichte, um die Entstehung dieses Machwerks zu schildern. Manchmal ist das interessant. Meistens ist es mühsam, offen gesagt habe ich mich gelangweilt. Eigentlich habe ich das Hörbuch nur deshalb zu Ende gehört, weil es von Eco war und weil ich seine Mischung von Faktenreichtum und Fiktion immer gemocht habe. Für dieses Buch hat er zu viel Material gesammelt, dass er nicht aussortieren konnte, nicht weglassen mochte. Das Buch ist sein eigener Anhang, sein eigenes Quellenverzeichnis, nur ein Roman, nein, ein lesbarer Roman ist es nicht.

Leider.

13 Gedanken zu “Der Friedhof von Prag, Eco und die Protokolle der Weisen von Zion

  1. Stark. Das Foto der gedrängten Steine. Das Wort „Universalübel“. Der Spruch von Jürgen „Schlange“ Wegmann, der als Topstürmer beim VfL Bochum und dem FC Bayern sein Wesen trieb: „Da hat man schon kein Glück und dann kommt noch Pech dazu.“ Und Kafka, immer sicher am anderen, am falschen Platz. In seinem Tagebuch sagt er etwa: Vormittags erklärt irgendwer der ganzen Welt den Krieg. Nachmittags Schwimmschule.

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  2. Das ging mir bei der Lektüre ähnlich – die Geschichte der Hauptperson ist vertrackt und leider etwas uninteressant, ich hatte nicht viel Lust, dem viel Aufmerksamkeit zu schenken, dazu ist die Geschichte einfach zu wenig spannend. Genau wie Du habe ich mich ein bißchen gelangweit. Überrascht war ich dann allerdings, als ich las, daß die beschriebenen Hintergründe der Entstehung der „Protokolle“ auf wahren Quellen und Fakten beruht. Das alles zusammenzutragen ist das eigentliche Verdienst Ecos – daß dabei nur ein mittelmäßiger Roman zustande gekommen ist, ist natürlich schade.
    Als ich mich angelegentlich der Beschäftigung mit Texten von Hannah Arendt vor Jahren darum bemühte, die „Protokolle“ zu kaufen, mußte ich feststellen, daß sie offenbar auf irgendeinem Index stehen – man bekommt sie nicht, nur Bücher über das Thema. Anscheinend wird immer noch befürchtet, daß sie in den falschen Händen immer noch eine fatale Wirkung haben könnten.

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  3. Das von dir geschilderte Problem in Ecos Roman ist mir schon bei Das Foucaultsche Pendel aufgestoßen, in das er sein Wissen über die Geheimgesellschaften des Barock gestopft hat wie in eine Presswurst. Einen späteren Roman von Eco habe ich aus Angst vor seiner Faktenhuberei nicht gelesen. Dein Urteil bekräftigt das.

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  4. Leider, leider ist das Perfekt hier fehl am Platze: Diese Protokolle kennt zwar zum Glück in Deutschland hoffentlich bald niemand mehr (bzw. niemand nimmt sie mehr ernst), im arabischen Raum werden sie aber immer noch gelesen und für bare Münze gehalten ….

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