Denkste

Lächeln, sagt meine Frau. Sagt sie immer, bei allen Fotos. Ich habe es ausprobiert, gefällt mir nicht. Ich komm dann so altersmilde rüber. Leicht dement. Also verwende ich meinen Allzweckgesichtsausdruck auch für Fotos. Na, meinetwegen wird den Gelotologen, so heißen nämlich die Leute, die sich wissenschaftlich mit dem Lachen beschäftigen, das Lachen nicht vergehen.

Ist es nicht merkwürdig, dass wir uns für jedes Foto zum Affen machen müssen? Nein, Pardon, bei Affen steht das, was für uns wie ein Lachen aussieht, für Aufregung und Stress. Wie ich gestresst aussehe, möchte ich gar nicht wissen. Auf so etwas Flüchtigem wie einem Foto wird gelächelt, Skulpturen, die für Jahrhunderte in der Gegend herumstehen, kommen hingegen fast immer ohne ein Lächeln aus.

Michelangelo hätte bestimmt auch ein bezauberndes Lächeln aus dem Stein herausgeschlagen, aber nein, sein David guckt, als hätte ihn gerade jemand vorsätzlich angerempelt. Okay, falls das Goliath gewesen sein sollte, entschuldigt das ein fehlendes Lächeln.

Rodins Denker ist auch eher in sich gekehrt. Man sagt ja durchaus, dass jemand in sich hinein lächelt, aber auch das tut der Denker nicht. Ich weiß das, ich habe ihn gestern noch gesehen. Also nicht das Original, obwohl das jetzt auch nicht so schwer wäre. In Bielefeld steht, bzw. sitzt einer. Ich bin ja so naiv, wenn es um große Kunst geht, ich denke, ein Original ist ein Original. Bei drucktechnisch hergestellter Grafik gibt es eine nummerierte Auflage, das war es dann aber auch.

Auguste Rodin war da praktischer veranlagt. Von seinem Denker z. B. gibt es mehr als 20 Bronze- und Gipsabgüsse. Er selbst hat das Ding, wenn ich so despektierlich sein darf, überhaupt nicht aus dem Stein geschlagen, Rodin hat in Ton modelliert. Die Übertragung in ein anderes Material oder maßstabgerecht in eine andere Größe übernahm seine Werkstatt, in der bis zu 50 Leute beschäftigt waren.

Um aber etwas modellieren oder zeichnen zu können, war Rodin immer auf Modelle angewiesen, und damit sind wir auch schon an dem Teil der Geschichte, der mir besonders gut gefällt. Als Modell für den Denker, der übrigens Dante Alighieri darstellen soll, diente Rodin ein französischer Preisboxer und Ringer. Ich hör besser hier auf, ich glaube, ich muss gleich lächeln.

23 Gedanken zu “Denkste

  1. Beim Fotografieren zu lächeln ist nicht mein Problem. Das Problem ist immer, dass der gemeine Hobby-Fotograf immer in dem Augenblick abdrückt, wenn ich die Augen geschlossen habe. Das gibt mir zu denken …

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  2. Die Eingangsszene wirft doch ein schönes Licht auf eure Beziehung. Dass deine Frau noch Interesse hat, dich zu fotografieren und dass ihr etwas daran liegt, dass du auf dem Foto gut aussiehst. Man selbst ist ja selten zufrieden und weiß, dass es besser ist, nicht gut aussehen zu wollen. Eine Exfreundin, von Beruf Fotografin verwickelte ihre Modelle in ein Gespräch, wenn sie Portäts machen wollte.
    Dass dem „Denker“ ein Preisboxer/Ringer Modell stand, wusste ich nicht, aber man sieht es, wenn mans weiß. Zu denken wie Rodins Denker, ist bestimmt anstrengend und erfordert Muskelkraft.

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  3. Bei einem Schüleraustausch mit Amerikanern fiel mir auf, wie profimässig sie (die Amerikaner) auf Anhieb ein ZahnpastaReklamelächen parat haben, wenn ein Objektiv auf sie gerichtet ist.

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  4. Lieber Herr Voita!
    Wenn Sie nicht dazugeschrieben hätten, dass es sich um eine Plastik von Rodin handelt, hätte ich es glatt für ein Bildnis Ihrer Person gehalten. Sinnierend über Maulwurfshaufen und Herzkartfoffeln 🙂
    Herzliche Grüße an den Denker
    Mallybeau

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  5. Wer mag bloß für den DAVID Modell gestanden haben? Auf jeden Fall einer mit einer unproportioniert großen Hand. Oder war das M.s Interpretation? Wer weiß? auf jeden Fall gibt es den David hundert- und tausendfach, oben auf der Piazzale (?), unten vor dem Museum, im Museum und in den Andenkenbuden 😉
    LG, Ingrid

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  6. Mein Ex-Mann sagte immer, er lächle nicht auf Fotos, weil er sonst nicht ernst genommen würde. Und da fiel mir ein, dass auf alten Fotos auch oft alle sehr ernst schauten, wohl um respektierlich zu wirken. Das Grinsen auf Fotos entwickelte sich wohl erst in unserer sogenannten „Fun-Gesellschaft“

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