Alles wird gut. Oder auch nicht.

Was hättest du denn getan? fragte eine Freundin. Wir diskutierten die Weltlage, das Aufkommen neuer nationalistischer Parteien und die ungerechte Weltordnung. Flüchtlinge und Islam. Plötzlich waren wir vom Allgemeinen zum Konkreten gekommen, zur Judenverfolgung während des Nationalsozialismus. Zur Reichspogromnacht. Und dann ist alles so nah. Die Kneipe, in der sich die SA versammelte, bevor es losging. Die geschändeten Gräber auf dem jüdischen Friedhof. Die Stolpersteine vor den Häusern, in denen einst jüdische Mitbürger lebten.

In der Stadt war das so, auf dem Land war es kaum anders, da, wo doch die sozialen Bindungen scheinbar enger waren, wo man den Nachbarn kannte. War man einfach Antisemit, so wie man katholisch oder evangelisch war? War man gleichgültig? Das kann ich nicht glauben. Traute man sich nicht? Und was hättest du getan?

Wir wissen von Menschen, die etwas getan, etwas riskiert haben. Aber die übergroße Mehrheit hat zugeschaut. Ihren Nutzen daraus gezogen. Hätte ich etwas getan?

Was waren das für Menschen, die nicht nur zuschauten? Es waren die Organisierten, die Kommunisten, die Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, manche Christen, viel zu wenige. Damals waren aber noch viele organisiert. Ob der NABU oder der Kunstkreis geeignete Widerstandsorganisationen wären? Der VHS-Kurs?

Was wird sein, wenn demnächst der Ausländer der Feind ist, den es zu verfolgen gilt, weil er unsere Arbeitsplätze und Frauen bedroht?

Wie schnell das gehen kann, das sehen wir in England nach der Brexit-Entscheidung, in den USA nach der Wahl Trumps. Wenn wir unsere Grenzen gegen den Ansturm der Flüchtlinge verteidigen? Auch mit militärischen Mitteln verteidigen? Wenn wir Europäer wieder in den Krieg gegeneinander ziehen, weil irgendwer ja Schuld daran sein muss, dass es nicht besser wird, dass wir nicht reicher werden.

Was kann ich tun?

Was werde ich tun?

 

 

17 Gedanken zu “Alles wird gut. Oder auch nicht.

  1. Lieber Herr Voita!
    Wie gut, dass uns die Maulwürfe bereits Gänge gegraben haben, die wir im Notfall als Fluchtwege nutzen können. Ich denke, Sie müssten ausgezeichnet gewappnet sein 🙂
    Herzliche Maulwurfsgrüße
    Mallybeau

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    • 1977 gab es einen Hit in den Niederlanden: Vluchten kan niet meer, ‚k zou niet weten hoe
      Vluchten kan niet meer, ‚k zou niet weten waar naar toe
      Hoe ver moet je gaan
      De verre landen zijn oorlogslanden
      Veiligheidsraadvergaderingslanden, ontbladeringslanden, toeristenstranden
      Hoe ver moet je gaan
      Vluchten kan niet meer
      übersetzt so ungefähr:
      Flüchten geht nicht mehr, ich wüsste nicht wie
      Flüchten geht nicht mehr, ich wüsste nicht wohin
      Wie weit muss man gehen
      Die fernen Länder sind Kriegsländer
      Sicherheitsratssitzungsländer, Entlaubungsländer, Touristenstrände
      Wie weit muss man gehen
      Flüchten geht nicht mehr.

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      • Ah, wie wunderbar, dass uns nun die Maulwürfe die Alternative aufzeigen und uns zu einem Leben im Untergrund einladen. Das wird der Hit, der alles über den Haufen wirft! 🙂

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  2. Lesen hilft. Denken hilft. Vor allem: Menschbleiben und dafür Mut haben hilft. Ob auf dem Lande, in der Luft oder der Stadt. – Der Vater meines Onkels vom damaligen Ludendorff-Club im Heimatdorf knüpfte noch im dunnemaligen Mai (!) mit seinen asozialen Verblendeten einen per Fallschirm sich vorm Abschuß gerettet habenden britischen Flieger flugs am Baume auf. – – – – – Meine Mutter wußte noch in den Jahren, wo ich nachfragte, nix von Judentransporten, obwohl sie lang und breit mit Fotos in der Osnabrücker Zeitung dokumentiert waren, wie ich später als Student ermittelt habe. – – – – – Ich habe viele Stolpersteine in meiner Biographie, und die Unkenntnis ist heute selbst bei Gutmeinenden enorm. Vorgestern wurden in Frankfurt 13 neue Stolpersteine von Günther Demnig verlegt. Die Rundschau beschrieb das. Dann kommentiert eine auf Facebook: „Nur 13?“ – Und hat natürlich nicht gelesen, daß bald 2000 Erinnerungssteine im schönen Frankfurt am Main gelegt sind. Also: Lesen hilft. Wissen hilft. Falsche Solidarität hilft nicht. – – – – – Toll gewähltes Foto!

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    • Die kommentierende gutmeinende Frau der FR halte ich übrigens für die neue Nazisse, eher als grobschlchtige sog. Männer: die, die nie etwas merken wird aus Blumen, Tee, Joga und sonstiger Esoterik. Die falsche Solidarität ist mir – Erfahrung! – die schlimmste.

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    • Lesen allein macht es wohl noch nicht aus. Ich kennen junge Menschen, die lesen und die alles Wesentliche zu wissen: über die jüdische Weltverschwörung, das Attentat des CIA auf die Twin Towers, die Kontrolle aller internationalen Mainstreammedien durch die Nato, den geplanten 3. Weltkrieg duch Hillary Clinton, der Dank sei Gott gerade noch einmal abgewendet werden konnte etc.
      Zum Lesen müsste wohl noch eine gewisse Kritik- und Unterscheidungsfähigkeit kommen. Eine Mammutaufgabe, wo doch allein schon diese letzte Bemerkung erst einmal auf die Vertrauenswürdigkeit und die „geheimen Agenden“ des Schreibers überprüft werden müsste… 😉

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  3. Was mich beaengstigt ist die zunehmende Polarisierung. Ueberall in der demolkratischen Welt wenden sich Menschen von Liberalitaet und Pluralismus ab. Sie versuchen ihre Aengste vor einer unsicheren Zukunft damit zu bewaeltigen, dass sie Grenzen suchen, die vor allem dazu dienen andere auszugrenzen – erst gedanklich, ideologisch, dann physisch. Je unsicherer die Menschen werden, desto enger setzen sie die Grenzen und desto brutaler werden sie gegenueber denen die sich ausserhalb der gesetzten Grenzen befinden.
    Gehoerst du einer ideologischen / religioesen / ethnischen Gruppe an, so bist du automatisch von anderen ausgegrenzt, ungewuerdigt, ja sogar angegriffen und in Gefahr gebracht. Diese Entwicklung der zunehmenden Extremisierung in alle Richtungen finde ich alarmierend.
    Ehrlich gesagt finde ich, dass man in Deutschland noch relativ kritisch mit sich selbst und der Gesellschaft umgeht. Was bei den Amis abgeht finde ich haarstraebend, in der Tuerkei haben die Freidenker schon laengst verloren und muessen um ihr Leben bangen, in Muslimischen Staaten gibt es nur schwarz oder weiss und du kannst nicht einmal selber waehlen, wohin du gehoerst.
    Was kann man tun? Kritisch bleiben und keine Intolleranz akzeptieren, auf keinen Fall, von keiner Seite.

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    • Wir unterstellen immer, dass wir Teil einer großen, oft schweigenden Mehrheit sind, die eigentlich für Liberalität und Toleranz steht, für eine demokratische Gesellschaft – aber der aufkommende Nationalismus und die Bereitschaft, Hass offen auszuleben, stellen für mich diesen Konsenz in Frage. Haben wir uns vielleicht nur etwas vorgemacht, wenn wir gedacht haben, dieses Land – und andere europäische Länder – sei geheilt vom Wahnsinn? Hoffentlich zeigen sich die Demokraten diesmal als gefestigt, hoffentlich sind die Gerichte diesmal konsequent – und hoffentlich werden auch Probleme gelöst, die nicht zuletzt in Ostdeutschland Menschen den Eindruck vermitteln, abgehängt und vergessen zu sein.

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      • Ich denke trotzdem, dass die Gefahren heute etwas anders liegen. Vor lauter Angst vor dem Nationalsozialismus (den Deutscland bereits hinter sich hat, aber anscheinend noch nicht ueberwunden) fuehlt man sich so sehr zu Toleranz verpflichtet, dass man Gefahr laeuft Intoleranz gegen sich selbst und die eigenen Werte zu billigen und diese dadurch in Frage zu stellen.
        Wuensche eine positive Woche.
        Ruth

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      • Du berührst den heiklen Punkt: Wer ist diese grosse und schweigenden Mehrheit, die sich in den westlichen Demokratien nie äussert und nicht zur Urne geht? Zur Erinnerung: totalitäre Herrschaft – im Vergleich zu Tyranneien und Diktaturen – hatte in der Regel am Ursprung eine demkratische Legitimierung und konnten auf die Unterstützung der Massen bauen.

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    • „Man zieht sich zurück.“ Normal. Macht dicht. Abschottung. Nicht nur als private Reaktion. – Ich denke, es liegt eben an falscher Liberalität, nicht wirklicher Offenheit, an einem bestimmbar begrenzten Pluralismus. Und alle merken das, das etwas nicht stimmt mit den offiziellen Reden. – Die meisten Reaktionen sind freilich haarsträubend, und setzten nicht auf kritisches Verhalten, sondern auf Mauerbau.

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      • Ich finde ja, Lachen hilft. Satirische Einstellung zu Polit-Talk-Shows etwa. Lachen am Fernseh, gerade nicht bei humorigen Sendungen, sondern ernstgemeinten. Na ja, ich lache gern und bin eigentlich auch nur fernab vom richtigen Weg, blank verzweifelt … 😉

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  4. Gute Fragen! Ich habe begonnen, mich durch Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ zu arbeiten, zumindest mal durch den 3. Teil. Eine sehr herausfordernde Lektüre. Und so erschreckend aktuell!

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