Literaturpreis

 

Es war kalt und dunkel. Nebelschwaden waberten über den Weg, ein Käuzchen rief und gleich würde bestimmt auch noch das ferne Schlagen einer Kirchturmuhr zu hören sein.

Max Grafenburg warf noch einmal einen Blick auf die Uhr. Genau…jetzt.

Er zählte die Glockenschläge, Mitternacht. Der Nebel vor ihm begann sich zu einem Ring zu formen, drehte sich und stieg dann spiralförmig auf. Etwas Dunkles erschien darin, drehte sich kurz mit und schließlich stand leicht schwankend ein schwarz gekleideter Mann mitten auf dem Kreuzweg.

Max meinte, ein Grollen zu hören, nein, eher einen Chor, ein Stimmengewirr, Männer, Frauen und Kinder, klagende Laute, irres Gelächter und Rufe in vielen verschiedenen Sprachen. Das Grollen verdichtete sich, ähnelte mehr dem Rauschen einer nahen Autobahn, schließlich räusperte sich der Mann.

„Huch…“ entfuhr es Max.

„Das sagen alle!“ Der Mann grinste breit. Viele Zähne.

„Max, nicht wahr?“ stellte er dann fest, „Ich habe vergeblich versucht, Ihre Adresse herauszubekommen. Mit dem Datenschutz ist das alles so mühsam geworden. Aber zum Glück haben Sie mich ja gefunden.“

„War gar nicht so schwer. Vollmond, Mitternacht, Kreuzweg…“

„Mussten Sie das jetzt unbedingt auch noch aussprechen, jetzt weiß doch jeder, der diese Geschichte liest, wie er Kontakt zu mir aufnehmen kann.“

Max nickte nicht sonderlich schuldbewusst. „Wie soll ich Sie…“

„Wie Sie mich anreden sollen? Da wir schon bei den Vornamen sind… sagen Sie doch einfach Lutz. Aber wie schon gesagt, ich wollte Ihnen ohnehin ein Angebot machen. Ich kenne Ihre bisherigen Veröffentlichungen. Und Ihre Umsätze. Salopp formuliert: Da geht noch was.“

Dann hatte dieser Lutz sein Geschäftsmodell erläutert. Die Fähigkeit, perfekt zu schreiben, gäbe es gegen einen geringen, gegen den bei diesen Geschäften üblichen Preis und dann führte Lutz eine lange Liste großer Namen an, die nicht erst bei Dr. Faust begann und so manchen Nobelpreisträger umfasste.

Es knackste im Unterholz, dann erschienen zwei Wölfe auf der Lichtung, sahen Lutz und zogen sich mit eingekniffenen Schwänzen und schreckensweiten Augen zurück.

„Falls Sie einwilligen, und daran zweifele ich nicht, weshalb sonst sollten Sie hier sein, erhalten Sie von mir eine goldene Feder, müssten aber akzeptieren, dass Ihre Seele, wenn Ihr letztes Stündlein geschlagen hat, an mich geht.“

„Bei Ihren Problemen, meine Anschrift ausfindig zu machen…“

„Oh… unterschätzen Sie mich nicht, Max. Das ist wie bei einem Hai und einem Tropfen Blut im Ozean…“ Lutz grinste wieder. Haifischartig.

Max trat automatisch einen Schritt zurück, besann sich aber, es bestand schließlich keine Gefahr.

„Eine außergewöhnliche Fähigkeit hat natürlich einen hohen Preis. Mal angenommen, es spricht sich rum: Seele verkauft, kein Erfolg. Das ruiniert doch Ihr Geschäftsmodell, oder?“

Das Grinsen wurde breiter. „Noch jeder, mit dem ich dieses Geschäft geschlossen habe, war erfolgreich.“

Max redete gleich weiter. „Sie haben mich auch nicht auf mein Rücktrittsrecht hingewiesen, bei Haustürgeschäften sind das 14 Tage. Und über Risiken und Nebenwirkungen haben Sie auch nichts gesagt. Halleluja-Allergie oder was weiß ich, was da alles passieren kann.“

Lutz schüttelte entschieden den Kopf, konnte aber nicht verhindern, dass etwas Rauch aus seinen Ohren trat. Ein Uhu stürzte direkt neben ihm ab.

„Mein Problem… ach, ich sag’s jetzt einfach mal frei heraus: Ich hab gar keine Seele. Ich habe sogar schon über eine Transplantation nachgedacht. Da ist nichts, was ich Ihnen verschreiben könnte. Weiß nicht, was ich damit gemacht habe, ob mir jemand die Seele aus dem Leib geprügelt hat oder ob ich sie versoffen habe, jedenfalls hat mir noch jeder Lektor bestätigt, dass meine Bücher glänzend geschrieben seien… aber leider irgendwie seelenlos.“

Nun war es an Lutz, überrascht zu sein. „Aber was wollen Sie denn dann von mir? Da kann ich doch nichts für Sie tun.“

Max schüttelte den Kopf. „Wir haben hier eine echte no-win-Situation und die sollten wir in eine win-win-Situation verändern. Dazu gehört nur etwas guter Wille Ihrerseits.“.

„Guter Wille gehört absolut nicht zu meinen Stärken.“ meinte Lutz anmerken zu müssen.

„Zweite Hand? Gut gebraucht, mit ein paar Narben? Meinetwegen auch eine rabenschwarze. Es sollte doch kein Problem für Sie sein, mir eine Seele zu verschaffen! Natürlich nehme ich dann auch gern Ihre goldene Feder.“  schmeichelte Max. „Und die Sache mit dem letzten Stündlein, die machen wir natürlich genau so, wie Sie sich das vorstellen.“

Noch lange, nachdem Max zufrieden davon geradelt war, stand Lutz grübelnd auf dem Kreuzweg. Irgendetwas an dem Geschäft, so schien ihm, stimmte nicht.

 

8 Gedanken zu “Literaturpreis

  1. Lieber Manfred, erst machte ich mir etwas Sorgen. Ob am Ende eine Seele verkauft wurde. So etwas geht ja selten gut aus. Da der Protagonist aber als seelenlos beschrieben wurde, handelt es sich augenscheinlich um keine wahre Begebenheit mit dir in der Hauptrolle.
    Beruhigt konnte ich dann den schönen Text genießen und schmunzeln.

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  2. Auf dem Buchmarkt landet so manches von selelenlosen Schreibern, aber wenige Edelfedern sind massentauglich. Darum ist fraglich, ob allein die goldene Feder den schriftstellerischen Erfolg mit sich bringt. Oder beinhaltet die goldene Feder auch hohe Auflagen, Stapelware und Abverkauf mit irrwitzigen Umsätzen auf dem Buchmarkt? Hier wäre Lutz nochmals zu befragen. Der Autorenname Max Grafenburg ist schon mal gut zu vermarkten, denn sowohl Maximilian als auch Grafenburg sind Hochwertwörter. Aber dem Lutz würde ich nicht trauen. Am Ende landet Max Grafenburg einen Bestseller im Stil von Rosamunde Pilcher. Sein Bestseller wird für das ZDF oder für Romance TV verfilmt, und Grafenburg kann sich in Künstlerkreisen nicht mehr sehen lassen.

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    • Wen interessiert der künftige Ruhm, wenn jetzt die Kasse klingelt? Doch eigentlich nur die, bei denen jetzt die Kasse noch nicht klingelt, oder? Ein Autor, der Max Grafenburg heißt, muss romantische Komödien schreiben, gern mit anschließender Verfilmung für das ZDF. Vielleicht sollte ich mir das Pseudonym sichern.

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      • Nachruhm ist billig, genau. Ein Max Brod verhalf immerhin einem Frank Kafka zum Kaisertitel der Literaturgeschichte, doch Kafka: da schon tot. – Aber: Dieser Lutz ist suspekt, ihm geht es wohl um Lizenzen, ja um Buchstabenmacherei in der Druckerei. Und Max? Ja, mit Moritz hätte er auch eine Chance, samt Witwe Bolte in den Olymp der zu spät prämierten Dichter aufzusteigen. „Aber wehe, wehe, wehe! / Wenn ich auf das Ende sehe!“ Denn das bleibt mir ein Rätsel. Doch ist nicht Literatur etwas mit Rätselcharakter?

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  3. Zuerst dachte ich, da schau her, eine Autobiografie.
    Aber je weiter ich las, umso mehr wurde mir bewusst, das haben Sie gar nicht nötig. Sie hätten diesem Lutz einen Tritt gegeben, dass es nur so geraucht hätte … 🙂
    PS: Eine sehr schöne Geschichte …

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