Literarisches Amsterdam (1)

Noch ein paar Tage, dann sind wir wieder einmal in Amsterdam. Ein literarischer Rundgang steht an, organisiert vom Literaturbüro NRW. Was werden wir sehen und hören? Literatur und Amsterdam, da gibt es so einiges. Wikipedia listet 33 Autorinnen und Autoren auf, die in Amsterdam gelebt und gearbeitet haben. Ergänzen, denke ich, lasse es aber. Wo anfangen? Joost van den Vondel fehlt, einer der bedeutendsten Autoren des goldenen Zeitalters der Niederlande.

Aber wie gesagt: Wo anfangen? Kein Vorwurf an den oder die Verfasser des Eintrags, es waren und sind sehr viele, die in Amsterdam geschrieben haben.

Janwillem van de Wetering hat zwar auch in Amsterdam gelebt, seine Kriminalromane entstanden aber in Maine. Ha… man sollte doch nichts recherchieren, das bringt einem nur Arbeit ein. Jetzt habe ich doch gerade nachgeschaut, wo genau van de Wetering gelebt hat, in Surry im Hancock County (Maine) nämlich. Bei der Gelegenheit musste ich jedoch gleich ein Vorurteil revidieren, ich nahm nämlich an, er habe seine Bücher auf Englisch geschrieben, aber nein, oder doch, ja, auch, aber er schrieb sie zweimal, einmal nämlich auch auf Niederländisch. Und die beiden Versionen sollen teilweise stark voneinander abweichen. Jetzt nicht aufspringen und nachschauen, das habe ich nämlich auch gleich erledigt: Die deutschen Ausgaben, die bis in die achtziger Jahren erschienen sind, beziehen sich auf die englische Fassung. Also muss ich bei Gelegenheit noch mal die niederländische Ausgabe lesen.

Van de Wetering bietet sich sicher für eine Führung an, aber Kriminalromane werden von Literaturwissenschaftlern gern mal außen vor gelassen. Anne Frank… ja, klar. Aber da war doch wohl schon jeder.

Thomas Rosenboom dürfte unvermeidlich sein. Geht man vom Bahnhof aus in die Stadt, kommt man direkt auf das Victoria-Hotel zu. Warum da ein Haus aus dem 17. Jahrhundert einfach eingebaut wurde, dass erklärt Rosenboom seinen Lesern in seinem Roman „Publieke Werken“, in der deutschen Übersetzung „Neue Zeiten“, der zu einem der besten 10 niederländischen Romane aller Zeiten gewählt wurde. Was auch immer man von solchen Ranglisten halten mag.

Multatuli? Ich weiß nicht, was sich zeigen lässt von der Welt der Kaffeekaufleute, zu denen Droogstoppel gehört, von Java und dem vergangenen Kolonialreich. Eine niederländische Führung wäre ohne „Max Havelaar“ gänzlich undenkbar, das angeblich wichtigste Buch, das auf Niederländisch geschrieben wurde.

Harry Mulisch? Der immer wieder für den Nobelpreis gehandelt wurde?

Oder – und das würde mich zugegebenermaßen sehr interessieren – Amsterdam als Ort des Exils in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Klaus Mann, der Querido-Verlag, das Hotel American, aber auch Albert Vigoleis Thelen, der vor und nach dem Krieg dort gelebt hat. Konrad Merz und andere vergessene Autoren.

„Dieses Emigrantendeutsch brauchen wir nicht!“, so reagierte Hans Werner Richter, Kopf der Gruppe 47, nachdem Thelen in den frühen fünfziger Jahren aus seinem Werk „Das zweite Gesicht“ gelesen hatte.

Für einige der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, deren Leben, zumindest aber künstlerische Existenz während der Nazi-Herrschaft bedroht waren, endet das Exil nie.

Teil 2

11 Gedanken zu “Literarisches Amsterdam (1)

  1. Auf literarischen Spuren zu reisen, ist immer ein interessantes Vorhaben. Ich beschäftige mich gerade mit dem literarischen Berlin, und da ich hier lebe, verhindert nichts und niemand, dass ich in einem Brunnen von märchenhafter Tiefe versinke.

    Re: Emigrantendeutsch – Habe heute früh ein Interview mit dem russisch-amerikanischen Lyriker Eugene Ostashevsky gehört. Ich bin zwar nicht begeistert von der Dada-Renaissance, aber seine Idee, innerhalb eines Textes zwischen den Sprachen zu wechseln, finde ich interessant.

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    • Wenn „unsere“ Migranten ihre alltägliche Sprache in Literatur umsetzten, ergäbe sich schnell etwas Vergleichbares. Wie selbstverständlich wird da zwischen Türkisch und Deutsch oder zwischen Russisch und Deutsch gewechselt. Wobei mir die Kompetenz fehlt, die Qualität des Türkischen oder Russischen zu beurteilen. Im 19. Jahrhundert waren französische Einsprengsel in Texten ja auch noch üblich, aber das ist wohl eher vergleichbar mit der Verwendung englischer Begriffe in moderner Literatur.
      Amsterdam hat einen Vorteil gegenüber Berlin: Es ist kleiner, kompakter und damit ist vieles in kürzerer Zeit zu erschließen. Wenn man nicht gerade in Berlin wohnt, muss man sich schon einen genauen Plan machen, will man sich nicht hoffnungslos verzetteln und seine Zeit in S- und U-Bahnen verbringen.

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      • Aber auch wenn man in Berlin wohnt … Bei jeder Recherche komme ich vom Hundertsten ins Tausendste, und vieles davon ist zu interessant, um es einfach links liegen zu lassen.

        Als ich in Spanien lebte, wechselten meine Tochter und ich oft zwischen den Sprachen, ohne darüber nachzudenken – genau wie ich es hier oft in Bus und Bahn höre. Sprache ist – wie Kleidung – (auch) ein Lebensgefühl, und wer zwei Gefühle lebt, kommt kaum umhin, sie auch auf diese Weise auszudrücken.

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  2. Was ist mit dem Philosophen Johan Cruiff, dessen berühmteste Aussprüche längst Allgemeingut in den Niederlanden sind:

    „Ieder nadeel heb zijn voordeel‘

    „Als wij de bal hebben kunnen zij niet scoren“

    ‚Voordat ik een fout maak, maak ik die fout niet‘

    Viel Vergnügen in Amsterdam!

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  3. Keine Ahnung von niederländischer Literatur (ich). Am Samstag las ich, dass Margriet de Moors „Erst grau dann weiß dann blau“ das diesjährige ‚Buch für die Stadt‘ geworden ist. Es gibt eine preiswerte Sonderausgabe. Auch einen dazugehörigen Artikel über M. de Moor und etwas über einen Vergleich von Übersetzungen fand ich sehr interessant. Da fällt mir ein, ich habe doch mal ihren Roman über die große Sturmflut gelesen. Sehr beeindruckend.

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    • Ja, den habe ich auch gelesen, ging mir auch so! Erst grau… kenne ich nicht! Margriet de Moor habe ich bei einer Lesung erlebt, allerdings auf Deutsch. Wie wir erst beim Einlass wirklich feststellten, war es eine Benefiz-Veranstaltung mit gepfefferten Eintrittspreisen, Literatur und Häppchen. Aber weil ich sie nun mal sehen und hören wollte…

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