Osterspaziergang

Bild: Leonie Voita

Bild: Leonie Voita

Zugegeben, ich mag auch den Frühling, das leuchtende Grün und das zarte Rosa oder Weiß der Blüten. Aber für mich stimmt inzwischen, was mir eine Zeichenlehrerin vor vielen Jahren, ich schreib lieber nicht ‚vor vierzig Jahren‘, dann fühle ich mich so alt, gesagt hat und was ich damals noch nicht verstand. Sie stellte eine Vase auf den Tisch und in der Vase befand sich eine Rose, meinetwegen auch eine Tulpe oder eine Nelke, nein, keine andere Blume, die könnte ich nämlich nicht benennen.

Die jeweilige Blume hatte ihr Verfallsdatum zuverlässig deutlich überschritten, anders ausgedrückt: Sie verwelkte. Unsere Zeichenlehrerin – und nein, ich war und bin kein begnadeter Zeichner – erklärte, dass diese Blume einfach mehr hergäbe. Jung und schön wie ich damals war, mochte ich nicht einsehen, dass etwas künstlerisch interessanter sein konnte, als die frisch erblühte Blume.

War die Jugend nicht attraktiver als das Alter? Nein, natürlich nicht. Jetzt sehe ich das selbstverständlich ein, ich musste eben nur selber älter werden. Keine Frage, die welkende Blume ist schön, der verrottende Stamm spricht mich mehr an, als es die frisch angeschnittene Birke tun könnte, die mir ihre makellosen Jahresringe anbietet. Ja, auch der Verfall hat seinen Reiz – aber um da wirklich mithalten zu können, fehlen mir immer noch ein paar Jahre.

18 Gedanken zu “Osterspaziergang

  1. Bei Blumen, verrottendem Holz oder den wunderschönen Gesichtern ganz alter Menschen bin ich bei dir. Auch alte Häuser mag ich. Aber das ich vierzig werde in drei Monaten…geht mir gewaltig auf die Nerven. Ich warte jetzt auf die alters Milde, die sich dringend vor den nächsten Fältchen einstellen muss.

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  2. Ich mag auch das Neue und Hübsche, aber auch das Verwelkte und Verdorrte hat seinen Reiz. Beides zu schätzen ist eine große Bereicherung. Und Gesichter mit Falten finde ich wunderschön. Sehe ich die glatt gebügelten Gesichter der Stars, dann sehe ich nur Masken, aber keine Persönlichkeit mehr.

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  3. Hallo Manfred,frohe Ostern noch.Also mit dem älter werden ist das so eine Sache,aber kann man was daran ändern?Dein Foto ist super,das unverhohlen dargebotene Alter des Stammes und der gleichzeitige Verfall in seiner Unaufhaltsamkeit.LG Peter

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    • Ja, dir auch noch frohe Ostern, Peter. Es gibt, glaube ich, für jeden einen Punkt, an dem er sich damit abfindet, nicht mehr jung zu sein und einen weiteren, an dem er sich eingesteht, alt zu sein. Dann ist es, wie du sagst, egal, man kann ja nichts dran ändern.

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  4. Beliebt bei Kunstlehrern ist auch der alte Schuh, weil weitaus interssanter als ein neuer. Allerdings erinnere ich mich noch gut, dass zum Osterspaziergang neue Sachen getragen wurden.Wenn neue Schuh angeschafft wurden, dann zu Ostern. Meine Frau hat es bei meinen Kindern auch noch so gehandhabt.

    Verfallsprozesse in der Natur sind faszinierend, nur bei Lebewesen schrecken wir zurück, weils an den Tod gemahnt. Die eigenen mag man ebenfalls nicht haben. Ich fühle mich innwändig immer jünger als außen. Jedesmal wenn ich zufällig mein Spiegelbild sehe, bin ich befremdet und denke, das bin ich nicht.

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  5. Verfall?
    Verwandlung!
    Was da in der Natur als Verfall erscheinen mag, ist Verwandlung von einer Daseinsform in eine andere und bietet dabei einander Nahrung. Sogar am morschen Stamm arbeiten Pilze, die die Baumreste zu fruchtbaren Humus verwandeln, aus dem wieder neues Grün wachsen. In der Natur verschwindet nichts einfach so. Es ändert sich in seiner Erscheinung.

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  6. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit ist ein anderes Kapitel, das da aufgeschlagen wird. Je nachdem, welche geistige und spirituelle Richtung sich der Mensch gibt.
    Allerdings habe ich selbst viel Kraft gewonnen aus der Natur, nachdem (im Herbst 2014) meine jüngere Schwester mit 45 Jahren überraschend früh gestorben ist.

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    • Verfall erinnert wohl immer auch an die eigene Sterblichkeit und wie wir damit umgehen können, ist sicher eine sehr persönliche Entscheidung – oder vielleicht weniger eine bewusste Entscheidung, sondern mehr das Gefühl des Einzelnen, was ihm in einer konkreten Situation hilft. Die Natur ist da ganz sicher eine unerschöpfliche Kraftquelle.

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  7. Auch mit den Jahren hat der Frühling für mich nie seinen Zauber verloren, die Zeit von März bis Mai ist die Schönste des Jahres – vielleicht liegt es daran, dass ich selbst Frühlingskind bin. Ich hasse den „Winter“ (der bei uns nur noch ein grau gestrichener Herbst ist). Der Herbst selbst ist schön, aber zu kurz. Leider geht auch der Frühling viel zu schnell vorbei und die Sommer sind heiß in Frankfurt. Verfall hat durchaus seinen Reiz – aber die frisch aufgeblühte Blüte mit ihrem Duft, ihrer Farbe ist mir allemal lieber als eine Verschrumpelte. Allerdings verbanne ich Blumen auch nicht in Vasen. Sie sollen draußen blühen und uns dort bezaubern. Alles soll an seinem Platz bleiben! Die langen Abende in den nächsten Wochen und Monaten laden ein, die Natur intensiv zu erkunden… 🙂

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