Leipzig 2016 (2)

Was macht man eigentlich auf einer Buchmesse? Lesen doch wohl nicht. Jedenfalls keine Bücher. Diesmal hatte ich die App der Leipziger Buchmesse auf dem Handy, unpraktisch, wie sich herausstellte. Immer wieder die Passwort-Abfrage, das Aufrufen der App, Verzögerung, dann die Merkliste. Der Katalog war allerdings auch nicht besser. Leipzig liest. Eigentlich wird Leipzig vorgelesen. 3.200 Veranstaltungen an fünf Tagen, viele davon auf dem Messegelände, aber auch an diversen Orten in der Stadt. Wir hatten uns für FLUTCH entschieden, den Abend mit flämischen und niederländischen Autoren. Saskia de Coster und Leon de Winter waren die bekanntesten Künstler an einem Abend, der nicht rundum gelang. Nicht alle beherrschten das Deutsche so sicher, dass ihnen zuzuhören ein Genuss war. Gerade Lyrik lebt von jedem einzelnen Wort, während man bei  mir ganze Absätze verpassen darf, ohne anschließend das Gefühl zu haben, irgendetwas zu vermissen.

Saskia de Coster hatte gegen einen souveränen Leon de Winter nicht den Hauch einer Chance, de Winter spricht gut Deutsch und ist Entertainer, fühlte sich wohl auf der Bühne, wandte sich dem Publikum zu und erzählte. Saskia de Coster hätte vielleicht ebenso viel zu sagen, aber ihr fehlten schlicht die Worte. Die ausgezeichnete Pianistin dufte erst nach der Pause ihre kleinen Meisterstücke zwischen den Auftritten der Autoren und Autorinnen abliefern.

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Die Entdeckung des Abends war für mich Suzanna Jansen mit ihrem Sachbuch „Das Paradies der Armen“. Vor etwa zweihundert Jahren entstand in Veenhuizen in der Provinz Drenthe das zu jener Zeit größte Umerziehungslager Europas. 60.000 Menschen haben in diesen Lagern gelebt, statistisch gibt es eine Million Niederländer, deren Vorfahren in diesem Armenparadies leben mussten. Dahinter stand die schlichte Idee, dass, wer arm ist, das zunächst einmal wegen seiner schlechten Verhaltensweisen, seiner mangelnden Erziehung, seines fehlenden Anstands ist. Kinder wurden dort geboren, Menschen lebten dort und starben dort – und dann wurde es vergessen. Vollständig vergessen, bis Suzanna Jansen ihre Familiengeschichte erforschte.

11 Gedanken zu “Leipzig 2016 (2)

  1. Besser ist’s in deinem Bericht von der Leipziger Buchmesse keinen Abschnitt zu überspringen. Dann hätte ich nichts erfahren von der schillernden Saskia de Coster und von Suzanna Jansen und ihrem Buch Het Pauperparadijs. Gerade Jansens Thema ist bei uns auch fast vergessen. Es gab im 19.Jahrhundert ebenso in Deutschland Besserungs- oder Korrektionsanstalten für das verarmte Stadtproletariat wie das Hamburger „Rauhe Haus“. Häufig wurden auch den rechtlosen Fahrenden die Kinder weggenommen und in solche Besserungsanstalten gesteckt.

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  2. Mir sind die Messen inzwischen zu anstrengend – ich gehe auch nicht mehr auf die Frankfurter Buchmesse – verfolge aber immer gerne aus der Ferne, was sich so tut an der Bücherfront. 🙂

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      • Je älter ich werde, desto mehr gehen mir solche Menschenansammlungen gegen den Strich. Ich meide inzwischen auch Volksfeste oder große Konzerte. Eine kleine Lesung oder ein Clubkonzert sind natürlich etwas anderes. 😉

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      • Die großen Konzerte brauche ich auch nicht mehr… oder vielleicht doch, ich würde da Ausnahmen machen. Van Morrison, Peter Gabriel, Mark Knopfler, lieber natürlich in kleinerem Rahmen, aber den gibt es wohl nicht für diese Künstler. Sonst schätze ich auch sehr die Lesung oder das Konzert vor hundert Zuschauern.

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