Ins Graue

FarbenFoto: Elfie Voita, Bearbeitung: Manfred Voita

Große Herausforderungen brauche ich nicht, ein gerissenes Schuhband reicht mir schon, um in Schwierigkeiten zu geraten. Der giftige kleine Spitz vom Nachbarn an der Ecke hat mir als Kind schon manches Mal den Schulweg vergällt, Tiger oder Löwen haben mir noch nie gefehlt. Und nein, ich will weder zum Mond noch zum Mars, ich ertrage mein Übergewicht auch ohne Schwerelosigkeit. „Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg“, sagen die Niederländer. Falls es der Übersetzung bedarf: Sei einfach normal, das ist verrückt genug.

Ich glaube, ich bin ein Alltagsmensch. Nicht einer von der Sorte, die Christel Lechner in vielen Städten zur Schau stellt. Große, voluminöse Betonfiguren, die dennoch etwas Anrührendes haben. Gut, meine Gelenkigkeit befindet sich auf vergleichbarem Niveau und manchmal, aber nur manchmal, bin ich auch ein Betonkopf. Vor allem aber bin ich ein Alltagsmensch.

Alltag? Der, abgesehen vom Gründonnerstag, einzige Tag, der eine Farbe hat, und was für eine: grau. Als wäre das eine Farbe! Katzen sind nachts angeblich grau. Wir wissen, was damit gemeint ist, denn bei Dunkelheit sehen wir keine Farben, Unterschiede verschwinden. Deshalb macht Schwarz auch schlank, oder, wenn die Nacht nur schwarz genug ist, gleich unsichtbar. Zurück zum Alltag, er ist grau wie die Katzen bei Nacht. Wenn jemand daran zweifeln sollte, ich habe Google auf meiner Seite: 18.200 Ergebnisse in 0,34 Sekunden. Beweist nichts? Ha, ich habe auch die Gegenprobe gemacht. Die Suche nach dem bunten Alltag bringt nur 1.640 Ergebnisse in 0,42 Sekunden. Offenbar braucht Google länger, um weniger zu finden. Das erinnert mich an meine Töchter… aber das wäre ein anderes Thema.

„Heute ist nicht alle Tage“, heißt es, wenn Paulchen Panther sich wieder einmal fragt, wer denn an der Uhr gedreht hat, weil er sich anders nicht erklären kann, dass die Zeit so rasch vergangen ist . Was will der Dichter uns damit sagen? Offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Eberhard Storeck sich dabei gedacht hat. Vermutlich spielt er darauf an, dass die eben zu Ende gehende Folge keineswegs die letzte des rosaroten Panthers war. Es kommt noch eine. Und dann noch eine. Das ist das Prinzip einer Serie. Immer schön eine Folge nach der anderen, ob es nun der rosarote Panther oder die Lindenstraße ist.

Da sind wir wieder bei unserem Thema, dem Alltag. Immer schön ein Tag nach dem anderen, nie zwei gleichzeitig, sondern genau so, wie es der Serienjunkie mag, lückenlos. Nahtlos aufeinander folgend. Täglich. Alltäglich. Und wie bei Paulchen Panther vergeht auch die alltägliche Zeit. Aufstehen, frühstücken – und im Handumdrehen stehe ich schon wieder im Schlafanzug vor meinen Bett und frage mich, wo der Tag geblieben ist. Und das ist gut so. Nicht, weil ich zu viel Zeit habe, sondern weil der Tag gefüllt war mit Leben. Mit Dingen, die ich kann, mit Menschen, die ich mag, ja, auch mit Dingen, die ich nicht kann und mit Menschen, die mich nicht mögen. Und zwischendurch, wenn ich aus dem Fenster schaue oder über die Straße gehe, dann merke ich plötzlich, dass ich glücklich bin. Halt, stopp: Das sollte jetzt nicht heißen, dass es Glück nur im Alltag gibt, aber so wie schwarz andere Farben zum Leuchten bringt, so ist es auch der graue Alltag, der viele andere Farben strahlen lässt.

Alltag ist normal und normal ist super. Ich fahr jetzt tanken.

11 Gedanken zu “Ins Graue

      • So oder so,
        wir haben keine Wahl,
        wir müssen täglich durch ihn durch,
        ob wir wollen oder nicht,
        ob mit abwechslungsreichen Abenteuern oder nicht…

        denn genau soooooo…
        ist das moderne Leben 🙂

        Liebe Nachmittagsgrüße
        vom Lu Finbar

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      • Es kommt mir so vor, als hättest du damit recht, Manfred,

        das ist mir selber so noch gar nicht aufgefallen,

        das hat aber wohl eindeutig damit zu tun, dass ich sehr achtsam lebe, ja, die Achtsamkeit quasi täglich im Alltag intensiv praktiziere,

        was man wohl meinen Fotos ansieht,

        jedenfalls solch aufmerksam durchs Leben gehende Menschen wie du…

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  1. Das ist ein schönes Loblied auf den Alltag. Es lohnt, den Alltag genau zu betrachten, zu schauen, was ihn prägt und wie er strukturiert ist. In der Rückschau wird deutlich, dass Dinge, die einst alltäglich waren, einfach aus dem Alltag verschwinden. Was du voim gerissenen Schhuband sagst, kann ich gut nachvollziehen. Nach meinem Schlaganfall musste ist die meisten alltäglichen Verrichtungen neu lernen. Da erst wurde mir klar, wie komplex die Anforderungen des Alltags sind. Hezute bin ich glücklich, das ich vieles wieder kann, nicht so geschickt aber es gibt ja keinen Schönheitspreis 😉

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    • Stephen Stills sang ‚Love the one you’re with“ und meinte damit bestimmt nicht den Alltag, aber in der Fußballersprache ausgedrückt, hat der Alltag vermutlich 95 % Ballbesitz, man kann ihn nicht ignorieren oder verteufeln, ohne auf sein eigenes Leben zu pfeifen. Wie du sehr schön deutlich machst, ist der Alltag alles andere als unkompliziert, was man merkt, wenn man aus diesem Alltag gerissen wird und ihn neu erlernen muss. Wir brauchen die Routinen, wir brauchen aber auch das offene Auge für das alltäglich Leben. „Life is what happens to you while you’re busy making other plans“ schrieb John Lennon in „Beautiful Boy“.

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  2. Morgen in zwei Wochen ist der 29. Februar. Erfreulicherweise fällt er auf einen Montag, also auf einen Alltag – und das, obwohl es ihn nur alle vier Jahre ein Mal gibt. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn an diesem Tag der Himmel so strahlendblau wäre, wie man es von einem besonders sonntäglichen Sonntag erwartet. Aber was ist schon ein blauer Himmel an einem Sonntag? Mir fällt das besonders schöne Blau des Himmel stets nur an Alltagen auf.

    Liebe Grüße an diesem grauen Sonntag
    von Chris (Alltagsgenießerin)

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    • Eine schöne Beobachtung, bei der mir einfällt, dass ich oft morgens sehr früh, wenn ich auf dem Weg zu Bahn oder Bus bin, das Licht über einem kleinen See, den Sonnenaufgang oder auch nur den Kontrast zwischen der Reklamebeleuchtung einer Tankstelle und dem Morgenhimmel sehe. Nur im Alltag, weil ich im Urlaub oder an freien Tagen nie so früh unterwegs wäre.
      Liebe Grüße zurück aus dem grauen, aber bisher trockenen Warendorf
      Manfred

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  3. Genau so sehe ich das auch, mit dem Grau und dem Bunt. Wenn das Grau nicht wäre, würde uns das Bunte vielleicht zu viel? außerdem empfinde ich den Alltag gar nicht als grau. Die kleinen Glücksmomente kann man suchen und finden und sie besprenkeln den Alltag. Ab und zu mal kräftig Farbe, aber es muss nicht immer sein.
    LG, Ingrid

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